Strix | Page 7

Svend Fleuron

etwas vor, wie er so mancher andern trauernden Mutter gesungen hat.
Und Strix nimmt den Trost an -- und vergißt dann schließlich die
Jungen!
Als sie sich aber im nächsten Frühling auf ihre zwei rauhschaligen,
runden Eier setzt, hat sie sich gegen die Schlechtigkeit der Welt
gesichert: diesmal brütet sie hoch oben in einem alten, ausgebesserten
Bussardhorst.
Eines Tages kommt ein Mensch durch den Wald.
Es ist ein kleiner, untersetzter Mann mit einer langen Hakennase, die
wie ein Hahnenschnabel vorspringt, und mit kleinen, stechenden
Augen.
Er hinkt ... kla-datsch klingt es, wenn er geht.

Er hat eine bunte Sportmütze auf dem Kopf und trägt eine dicke,
blauschimmernde Joppe. Über der Schulter hängt an einem dünnen
Bindfaden eine alte verbeulte Botanisiertrommel. Ein paar
Klettersporen, nachlässig in Zeitungspapier gewickelt, gucken ihm aus
einer Tasche und aus der andern baumeln die Enden einer
selbstverfertigten Strickleiter.
Der Mann ist Leuchtturmwärter auf einem kleinen Leuchtturm weit
draußen am Auslauf der Förde. In seiner freien Zeit, oder wenn er die
Aufsicht über den Leuchtturm seiner Frau übergeben kann, ist er ein
eifriger Trapper -- heute ist er auf dem Jagdpfad.
Sein Bezirk reicht so weit, wie der Himmel blau ist.
Im Frühling durchpflügt er alle Wälder nach Raubvogeleiern und alle
umliegenden Heiden, Moore und Sümpfe nach andern Vogeleiern. Er
begnügt sich nicht mit nur einem einzelnen Ei von jeder Art, nein, er
hat Verwendung für mehr und nimmt selten weniger als das vollzählige
Gelege. Im Sommer, wenn die Vögel ausgebrütet haben, findet man ihn
wieder; jetzt ist er darauf aus, daunige Junge in den verschiedenen
Stadien zu beschaffen. Er sammelt nicht für sich selbst, sondern für ein
paar große Geschäfte, von denen Schulen, Privatsammler und zufällige
Liebhaber unter dem Publikum ihre Versorgung bekommen.
Die Natur soll in die Stube hinein -- tot oder lebendig -- aber in die
Stube hinein soll sie! Auf Kommoden und Bücherschränken, in
Naturaliensammlungen der Schulen oder in den Glaskästen der Museen
erblickt man die letzten Überreste der ursprünglichen Fauna des Landes;
hier steht sie ausgestopft mit starren Glasaugen. Jeder zweite, dritte
Vogel, der früher so allgemein war, daß er in die Sagen des Landes
verwoben wurde, ist jetzt bald selbst nur noch eine Sage. Sie werden zu
Geld gemacht, sie werden aus den Wolken und von den Baumwipfeln
herabgeholt, um die Taschen der Leute mit klingender Münze zu füllen,
der letzte Adler, wie die unverletzlich erklärten Störche! Die Menschen
wollen die seltenen Exemplare besitzen, wollen sie in die Hand nehmen
und vorzeigen können.
»Vogelhansen« oder ganz einfach »Vogel«, wie er genannt wird, hat

sich sein Gewerbe zum Spezialfach ausgebildet, und er verdient in der
Hauptgeschäftszeit einen guten Tagelohn damit. Er ist als verwegener
unermüdlicher Bursche bekannt, der klug ist in allem, was in sein Fach
schlägt -- er ruht nicht, bis er seine Beute in der Botanisiertrommel hat.
Als Sohn eines Holzhauers hier aus der Gegend, ist er von
Kindesbeinen an gewöhnt, im Walde umherzustreifen. Auf einer Fahrt
als Schiffsjunge hatte er in seiner grünen Jugend das Unglück, vom
Mast zu fallen und einen häßlichen Bruch des linken Schenkels
davonzutragen, was ihm in späteren Jahren die neuerrichtete
Leuchtturmwärterstellung draußen am Auslauf der Förde verschaffte.
Und Dank seiner Klettersporen und seiner unbezwinglichen
Leidenschaft ist er noch immer imstande, selbst in den Wipfel der
unzugänglichsten Buche hinaufzugelangen.
Im vergangenen Jahr, als er seinen großen Fang hier im Walde machte
und -- von den schreienden und fauchenden Hähern geleitet -- Strix'
zwei possierliche, voll befiederte Junge fand, hatte er in der Nacht
zuvor einen Besuch auf ein paar Höfen abgestattet, die in einem kleinen
grünen Tal jenseits der Heide lagen. Nach Erkundigung bei einem
seiner vielen Bekannten aus der Zeit, als er noch bei den Eltern im
Hegemeisterhäuschen am Hochwalde wohnte, hatte er in Erfahrung
gebracht, daß sich auf dem Scheunenflügel des südlich gelegenen
Hofes ein Storchennest befand. Das war genug für Vogelhansen. In der
Dunkelheit der Nacht radelte er die Meile über die Heide und traf um
Mitternacht an Ort und Stelle ein.
Er findet den Hof und sieht zu seiner Freude den Storchenvater auf
einem Bein, den Kopf unter dem Flügel, auf dem Nestrande neben der
brütenden Störchin schlafen. Eine Brandstiege nehmen und sie
anstellen, ist ein Leichtes für »Vogel«, und da das Nest gerade dort
liegt, wo zwei zusammengebaute Flügel sich kreuzen, gelingt es ihm,
auf Socken auf das Strohdach hinaufzuklettern.
Der Storchenvater wehrt tapfer sein Nest gegen diesen Räuber,
namentlich die Störchin geht scharf vor; sie klammert sich an dem Nest
fest und will ihm auf keine Weise gestatten, mit der Hand über den
Rand des Nestes zu gelangen. Sie schlägt und hackt ihn in Schulter und

Arm, so daß seine Kleider lange Risse davontragen.
Da greift Vogelhansen in die Tasche, zieht eine Flasche mit Ammoniak
heraus und schleudert der Störchin ein paar gehörige Schüsse ins
Gesicht. Das hilft -- wenige Sekunden später
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