Siddhartha | Page 5

Herman Hesse
dies alles zu wissen, wenn man das Eine und Einzige nicht wu?te, das Wichtigste, das allein Wichtige?
Gewi?, viele Verse der heiligen B��cher, zumal in den Upanishaden des Samaveda, sprachen von diesem Innersten und Letzten, herrliche Verse. "Deine Seele ist die ganze Welt", stand da geschrieben, und geschrieben stand, da? der Mensch im Schlafe, im Tiefschlaf, zu seinem Innersten eingehe und im Atman wohne. Wunderbare Weisheit stand in diesen Versen, alles Wissen der Weisesten stand hier in magischen Worten gesammelt, rein wie von Bienen gesammelter Honig. Nein, nicht gering zu achten war das Ungeheure an Erkenntnis, das hier von unz?hlbaren Geschlechterfolgen weiser Brahmanen gesammelt und bewahrt lag.--Aber wo waren die Brahmanen, wo die Priester, wo die Weisen oder B��?er, denen es gelungen war, dieses tiefste Wissen nicht blo? zu wissen, sondern zu leben? Wo war der Kundige, der das Daheimsein im Atman aus dem Schlafe her��berzauberte ins Wachsein, in das Leben, in Schritt und Tritt, in Wort und Tat? Viele ehrw��rdige Brahmanen kannte Siddhartha, seinen Vater vor allen, den Reinen, den Gelehrten, den h?chst Ehrw��rdigen. Zu bewundern war sein Vater, still und edel war sein Gehaben, rein sein Leben, weise sein Wort, feine und adlige Gedanken wohnten in seiner Stirn--aber auch er, der so viel Wissende, lebte er denn in Seligkeit, hatte er Frieden, war er nicht auch nur ein Suchender, ein D��rstender? Mu?te er nicht immer und immer wieder an heiligen Quellen, ein Durstender, trinken, am Opfer, an den B��chern, an der Wechselrede der Brahmanen? Warum mu?te er, der Untadelige, jeden Tag S��nde abwaschen, jeden Tag sich um Reinigung m��hen, jeden Tag von neuem? War denn nicht Atman in ihm, flo? denn nicht in seinem eigenen Herzen der Urquell? Ihn mu?te man finden, den Urquell im eigenen Ich, ihn mu?te man zu eigen haben! Alles andre war Suchen, war Umweg, war Verirrung.
So waren Siddharthas Gedanken, dies war sein Durst, dies sein Leiden.
Oft sprach er aus einem Chandogya-Upanishad sich die Worte vor: "F��rwahr, der Name des Brahman ist satyam--wahrlich, wer solches wei?, der geht t?glich ein in die himmlische Welt." Oft schien sie nahe, die himmlische Welt, aber niemals hatte er sie ganz erreicht, nie den letzten Durst gel?scht. Und von allen Weisen und Weisesten die er kannte und deren Belehrung er geno?, von ihnen allen war keiner, der sie ganz erreicht hatte, die himmlische Welt, der ihn ganz gel?scht hatte, den,ewigen Durst.
"Govinda," sprach Siddhartha zu seinem Freunde, "Govinda, Lieber, komm mit mir unter den Banyanenbaum, wir wollen der Versenkung pflegen."
Sie gingen zum Banyanenbaum, sie setzten sich nieder, hier Siddhartha, zwanzig Schritte weiter Govinda. Indem er sich niedersetzte, bereit, das Om zu sprechen, wiederholte Siddhartha murmelnd den Vers:
Om ist Bogen, der Pfeil ist Seele, Das Brahman ist des Pfeiles Ziel, Das soll man unentwegt treffen.
Als die gewohnte Zeit der Versenkungs��bung hingegangen war, erhob sich Govinda. Der Abend war gekommen, Zeit war es, die Waschung der Abendstunde vorzunehmen. Er rief Siddharthas Namen. Siddhartha gab nicht Antwort. Siddhartha sa? versunken, seine Augen standen starr auf ein sehr fernes Ziel gerichtet, seine Zungenspitze stand ein wenig zwischen den Z?hnen hervor, er schien nicht zu atmen. So sa? er, in Versenkung geh��llt, Om denkend, seine Seele als Pfeil nach dem Brahman ausgesandt.
Einst waren Samanas durch Siddharthas Stadt gezogen, pilgernde Asketen, drei d��rre, erloschene M?nner, nicht alt noch jung, mit staubigen und blutigen Schultern, nahezu nackt von der Sonne versengt, von Einsamkeit umgeben, fremd und feind der Welt, Fremdlinge und hagere Schakale im Reich der Menschen. Hinter ihnen her wehte hei? ein Duft von stiller Leidenschaft, von zerst?rendem Dienst, von mitleidloser Entselbstung.
Am Abend, nach der Stunde der Betrachtung, sprach Siddhartha zu Govinda: "Morgen in der Fr��he, mein Freund, wird Siddhartha zu den Samanas gehen. Er wird ein Samana werden."
Govinda erbleichte, da er die Worte h?rte und im unbewegten Gesicht seines Freundes den Entschlu? los, unablenkbar wie der vom Bogen losgeschnellte Pfeil. Alsbald und beim ersten Blick erkannte Govinda: Nun beginnt es, nun geht Siddhartha seinen Weg, nun beginnt sein Schicksal zu sprossen, und mit seinem das meine. Und er wurde bleich wie eine trockene Bananenschale.
"O Siddhartha," rief er, "wird das dein Vater dir erlauben?"
Siddhartha blickte her��ber wie ein Erwachender. Pfeilschnell las er in Govindas Seele, las die Angst, las die Ergebung.
"O Govinda," sprach er leise, "wir wollen nicht Worte verschwenden. Morgen mit Tagesanbruch werde ich das Leben der Samanas beginnen. Rede nicht mehr davon."
Siddhartha trat in die Kammer, wo sein Vater auf einer Matte aus Bast sa?, und trat hinter seinen Vater und blieb da stehen, bis sein Vater f��hlte, da? einer hinter ihm stehe. Sprach der Brahmane: "Bist du es, Siddhartha? So sage, was zu sagen du gekommen bist."
Sprach Siddhartha: "Mit deiner Erlaubnis, mein Vater. Ich bin gekommen, dir zu sagen, da? mich verlangt, morgen dein Haus zu verlassen und zu den Asketen zu gehen. Ein Samana zu werden ist mein Verlangen. M?ge mein Vater
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