Schatzkaestlein des rheinischen | Page 5

Johann Peter Hebel
Der Spitzbube aber nahm einen Sprung in den Wald und sagte: "Schiesst herzhaft los, gn?diger Herr; sie ist nicht geladen." Der Herr drückte ab, und es ging wirklich nicht los, wie nebenstehende Figur beweist; denn sonst müsste man Rauch sehen. Er liess den Ladstock in den Lauf fallen, und es war kein K?rnlein Pulver darin. Der Dieb aber war unterdessen schon tief im Wald, und der vornehme Engl?nder ging schamrot zurück, dass er sich also habe in Schrecken setzen lassen, und dachte an vieles.

Brassenheimer Siegesnachrichten vom Jahre 1813
Im Sp?tjahr 1813 erfuhren wir Brassenheimer von dem Krieg in Sachsen auch lange nichts anders, als lauter Liebes und Gutes, wer n?mlich franz?sisch gesinnt war, und niemand hatte bei Turmstrafe das Herz, etwas anderes zu wissen, noch viel weniger zu sagen, ausgenommen ein lustiger Kumpan, der Spielmann in der untern Gasse, hat's gemerkt. Was tut der Spielmann? Er geht ins Amtshaus. "Herr Amtmann, die Hochzeiten- und Kirchweiht?nze wollen heuer gar nicht recht geraten. Wolltet Ihr mir und meinen Kameraden nicht erlauben, dann und wann an einem Sonntag abends im Roten L?wen eine Kom?die zu spielen für ein Geringes?" Der Amtmann erwiderte: "Reichenauer, das lob' ich an Euch, dass Ihr Euch lieber auf eine geziemliche Art forthelfen und Euern Mitbürgern einen lustigen Abend dafür machen wollt, als dass Ihr wieder Schulden macht oder stehlt." Also kündeten sie auf den n?chsten Sonntag eine nagelneue Kom?die an. Es sei die neueste, sagten sie, die es gibt. In derselben Kom?die musste einer mitspielen, der hiess Franz, und hatte eine Frau mit Namen Viktoria, ein gar stattliches, handfestes Weibsbild. Im Verlauf der Kom?die musste es sich schicken, dass der Franz mit einem fremden Mann Verdruss bekam. Der Zank gebar Schimpf, der Schimpf gebar Schl?ge, und wer die meisten bekam, war nicht der fremde Mann, sondern der Franz, also dass er zuletzt seine Frau zu Hilfe rief. Weil sie aber Viktoria hiess, konnte er nicht Apollonia oder Kunigunda rufen, und also fügete es sich, dass, je mehr er Schl?ge bekam und je besser sie aufsassen, desto lauter rief er: "Viktoria! Viktoria!" Daran haben wir Brassenheimer, was verst?ndige Leute unter uns sind, zum ersten Mal gemerkt, wie es damals in Sachsen stehen mochte, und was es zu bedeuten hatte, wenn man schrie: "Viktoria! Viktoria!" Der Herr Amtmann hat zum Glück nichts gemerkt.

Brennende Menschen
Zwar von feurigen Mannen hat man schon oft geh?rt, aber seltener von brennenden Frauen. Eine Apothekersfrau geht nachts mit der Magd in den Keller und will etwas holen. Die Magd steigt mit dem Licht auf eine Stellasche, greift auf den Schaft, wirft eine grosse Flasche voll Branntwein um, worin ungef?hr 6-8 Mass waren, und zerbricht sie, der Branntwein str?mt pl?tzlich herab, so über die Magd, so über die Frau. Das Licht kommt der Magd an den ?rmel. Die Magd fangt an lichterloh zu brennen, rot mit gelbem Schein. Die Frau will ihr zu Hilfe eilen. Die Frau brennt auch an. Beide rennen brennend die Treppe hinauf in den Hof. Der Apothekerjung sieht's und springt davon, meint, es woll' ihn einer holen, mit dem man nicht gern geht, den der Hausfreund nicht nennen darf. Im Hof am Brunnen begiessen sie sich mit Wasser. Das Wasser wird nicht Meister über den Branntewein. Endlich wirft sich die Magd auf den Dunghaufen im Hof und w?lzt sich darauf. Die Frau wirft sich ebenfalls auf den Dunghaufen und w?lzt sich auch. Beide l?schten aus; die Magd wurde noch geheilt, aber die Frau musste sterben. Merke: Wenn man brennt, muss man sich auf einem Misthaufen w?lzen. Solches ist auch gut für die, welche den Branntewein inwendig im Leib haben.--

Brotlose Kunst
In der Stadt Aachen ist eine Fabrik, in welcher nichts als N?hnadeln gemacht werden. Das ist keine brotlose Kunst. Denn es werden in jeder Woche 200 Pfund Nadeln verfertigt, von denen 5000 Stück auf ein Pfund gehen; Facit: eine Million, und der Meister Schneider und die N?herin und jede Hausmutter weiss wohl, wieviel man für einen Kreuzer bekommt, und es ist nicht schwer auszurechnen, wie viel Geld an den Aachener Nadeln in der Fabrik selbst und durch den Handel j?hrlich verdient und gewonnen wird. Das Werk geht durch Maschinen, und die meisten Arbeiter sind Kinder von acht bis zehn Jahren. Ein Fremder besichtigte einst diese Arbeiten und wunderte sich, dass es m?glich sei, in die allerfeinsten Nadeln mit einem noch feinern Instrument ein Loch zu stechen, durch welches nur der allerfeinste, fast unsichtbare Faden kann gezogen werden. Aber ein M?gdlein, welchem der Fremde eben zuschaute, zog sich hierauf ein langes Haar aus dem Kopfe, stach mit einer der feinsten Nadeln ein Loch dadurch, nahm das eine Ende des Haares, bog es um und zog es durch die ?ffnung zu einer artigen Schleife oder, wie man's sonst nennt, Schlupf oder Letsch.
Das war so brotlos eben auch nicht. Denn das M?gdlein bot dieses künstlich geschlungene Haar dem
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