Roemische Geschichte, Band 4 | Page 9

Theodor Mommsen
blieb nur die Wahl, mit dem Schwert in der Hand sich durchzuschlagen oder auf die von den Numantinern gestellten Bedingungen Frieden zu schliessen. Mehr als der Konsul, der persoenlich ein Ehrenmann, aber schwach und wenig bekannt war, bewirkte Tiberius Gracchus, der als Quaestor im Heere diente, durch sein von dem Vater, dem weisen Ordner der Ebroprovinz, auf ihn vererbtes Ansehen bei den Keltiberern, dass die Numantiner sich mit einem billigen, von allen Stabsoffizieren beschworenen Friedensvertrag genuegen liessen. Allein der Senat rief nicht bloss den Feldherrn sofort zurueck, sondern liess auch nach langer Beratung bei der Buergerschaft darauf antragen, den Vertrag zu behandeln wie einst den caudinischen, das heisst, ihm die Ratifikation zu verweigern und die Verantwortlichkeit dafuer auf diejenigen abzuwaelzen, die ihn geschlossen hatten. Von Rechts wegen haetten dies saemtliche Offiziere sein muessen, die den Vertrag beschworen hatten; allein Gracchus und die uebrigen wurden durch ihre Verbindungen gerettet; Mancinus allein, der nicht den Kreisen der hoechsten Aristokratie angehoerte, ward bestimmt, fuer eigene und fremde Schuld zu buessen. Seiner Insignien entkleidet, ward der roemische Konsular zu den feindlichen Vorposten gefuehrt, und da die Numantiner ihn anzunehmen verweigerten, um nicht auch ihrerseits den Vertrag als nichtig anzuerkennen, stand der ehemalige Oberfeldherr, im Hemd und die Haende auf den Ruecken gebunden, einen Tag lang vor den Toren von Numantia, Freunden und Feinden ein klaegliches Schauspiel. Jedoch fuer Mancinus' Nachfolger, seinen Kollegen im Konsulat, Marcus Aemilius Lepidus, schien die bittere Lehre voellig verloren. Waehrend die Verhandlungen ueber den Vertrag mit Mancinus in Rom schwebten, griff er unter nichtigen Vorwaenden, eben wie sechzehn Jahre zuvor Lucullus, das freie Volk der Vaccaeer an und begann in Gemeinschaft mit dem Feldherrn der jenseitigen Provinz Pallantia zu belagern (618 136). Ein Senatsbeschluss befahl ihm, von dem Krieg abzustehen; nichtsdestoweniger setzte er, unter dem Vorwand, dass die Umstaende inzwischen sich geaendert haetten, die Belagerung fort. Dabei war er als Soldat gerade so schlecht wie als Buerger; nachdem er so lange vor der grossen und festen Stadt gelegen hatte, bis ihm in dem rauhen feindlichen Land die Zufuhr ausgegangen war, musste er mit Zuruecklassung aller Verwundeten und Kranken den Rueckzug beginnen, auf dem die verfolgenden Pallantiner die Haelfte seiner Soldaten aufrieben und, wenn sie die Verfolgung nicht zu frueh abgebrochen haetten, das schon in voller Aufloesung begriffene roemische Heer wahrscheinlich ganz vernichtet haben wuerden. Dafuer ward denn dem hochgeborenen General bei seiner Heimkehr eine Geldbusse auferlegt. Seine Nachfolger Lucius Furius Philus (618 136) und Quintus Calpurnius Piso (619 135) hatten wieder gegen die Numantiner Krieg zu fuehren, und da sie eben gar nichts taten, kamen sie gluecklich ohne Niederlage heim. Selbst die roemische Regierung fing endlich an einzusehen, dass man so nicht laenger fortfahren koenne; man entschloss sich, die Bezwingung der kleinen spanischen Landstadt ausserordentlicherweise dem ersten Feldherrn Roms, Scipio Aemilianus, zu uebertragen. Die Geldmittel zur Kriegfuehrung wurden ihm freilich dabei mit verkehrter Kargheit zugemessen und die verlangte Erlaubnis, Soldaten auszuheben, sogar geradezu verweigert, wobei Koterieintrigen und die Furcht, der souveraenen Buergerschaft laestig zu werden, zusammengewirkt haben moegen. Indes begleitete ihn freiwillig eine grosse Anzahl von Freunden und Klienten, unter ihnen sein Bruder Maximus Aemilianus, der vor einigen Jahren mit Auszeichnung gegen Viriathus kommandiert hatte. Gestuetzt auf diese zuverlaessige Schar, die als Feldherrnwache konstituiert ward, begann Scipio das tief zerruettete Heer zu reorganisieren (620 134). Vor allen Dingen musste der Tross das Lager raeumen - es fanden sich bis 2000 Dirnen und eine Unzahl Wahrsager und Pfaffen von allen Sorten -, und da der Soldat zum Fechten unbrauchbar war, musste er wenigstens schanzen und marschieren. Den ersten Sommer vermied der Feldherr jeden Kampf mit den Numantinern; er begnuegte sich, die Vorraete in der Umgegend zu vernichten und die Vaccaeer, die den Numantinern Korn verkauften, zu zuechtigen und zur Anerkennung der Oberhoheit Roms zu zwingen. Erst gegen den Winter zog Scipio sein Heer um Numantia zusammen; ausser dem numidischen Kontingent von Reitern, Fusssoldaten und zwoelf Elefanten unter Anfuehrung des Prinzen Jugurtha und den zahlreichen spanischen Zuzuegen waren es vier Legionen, ueberhaupt eine Heermasse von 60000 Mann, die eine Stadt mit einer waffenfaehigen Buergerschaft von hoechstens 8000 Koepfen einschloss. Dennoch boten die Belagerten oftmals den Kampf an; allein Scipio, wohl erkennend, dass die vieljaehrige Zuchtlosigkeit nicht mit einem Schlag sich ausrotten lasse, verweigerte jedes Gefecht, und wo es dennoch bei den Ausfaellen der Belagerten dazu kam, rechtfertigte die feige, kaum durch das persoenliche Erscheinen des Feldherrn gehemmte Flucht der Legionaere diese Taktik nur zu sehr. Nie hat ein Feldherr seine Soldaten veraechtlicher behandelt als Scipio die numantinische Armee; und nicht bloss mit bitteren Reden, sondern vor allem durch die Tat bewies er ihr, was er von ihr halte. Zum erstenmal fuehrten die Roemer, wo es nur auf sie ankam, das Schwert zu brauchen, den Kampf mit Hacke und Spaten. Rings um die ganze Stadtmauer von reichlich einer halben deutschen Meile im Umfang
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