doch jede Spur schlechterdings ausgeloescht. Die Elemente der aeltesten Geschichte sind die Voelkerindividuen, die Staemme. Unter denen, die uns spaeterhin in Italien begegnen, ist von einzelnen, wie von den Hellenen, die Einwanderung, von anderen, wie von den Brettiern und den Bewohnern der sabinischen Landschaft, die Denationalisierung geschichtlich bezeugt. Nach Ausscheidung beider Gattungen bleiben eine Anzahl Staemme uebrig, deren Wanderungen nicht mehr mit dem Zeugnis der Geschichte, sondern hoechstens auf aprioristischem Wege sich nachweisen lassen und deren Nationalitaet nicht nachweislich eine durchgreifende Umgestaltung von aussen her erfahren hat; diese sind es, deren nationale Individualitaet die Forschung zunaechst festzustellen hat. Waeren wir dabei einzig angewiesen auf den wirren Wust der Voelkernamen und der zerruetteten, angeblich geschichtlichen Ueberlieferung, welche aus wenigen brauchbaren Notizen zivilisierter Reisender und einer Masse meistens geringhaltiger Sagen, gewoehnlich ohne Sinn fuer Sage wie fuer Geschichte zusammengesetzt und konventionell fixiert ist, so muesste man die Aufgabe als eine hoffnungslose abweisen. Allein noch fliesst auch fuer uns eine Quelle der Ueberlieferung, welche zwar auch nur Bruchstuecke, aber doch authentische gewaehrt; es sind dies die einheimischen Sprachen der in Italien seit unvordenklicher Zeit ansaessigen Staemme. Ihnen, die mit dem Volke selbst geworden sind, war der Stempel des Werdens zu tief eingepraegt, um durch die nachfolgende Kultur gaenzlich verwischt zu werden. Ist von den italischen Sprachen auch nur eine vollstaendig bekannt, so sind doch von mehreren anderen hinreichende Ueberreste erhalten, um der Geschichtsforschung fuer die Stammverschiedenheit oder Stammverwandtschaft und deren Grade zwischen den einzelnen Sprachen und Voelkern einen Anhalt zu gewaehren. So lehrt uns die Sprachforschung drei italische Urstaemme unterscheiden, den iapygischen, den etruskischen und den italischen, wie wir ihn nennen wollen, von welchen der letztere in zwei Hauptzweige sich spaltet: das latinische Idiom und dasjenige, dem die Dialekte der Umbrer, Marser, Volsker und Samniten angehoeren. Von dem iapygischen Stamm haben wir nur geringe Kunde. Im aeussersten Suedosten Italiens, auf der messapischen oder kalabrischen Halbinsel, sind Inschriften in einer eigentuemlichen verschollenen Sprache ^1 in ziemlicher Anzahl gefunden worden, unzweifelhaft Truemmer des Idioms der Iapyger, welche auch die Oberlieferung mit grosser Bestimmtheit von den latinischen und samnitischen Staemmen unterscheidet; glaubwuerdige Angaben und zahlreiche Spuren fuehren dahin, dass die gleiche Sprache und der gleiche Stamm urspruenglich auch in Apulien heimisch war. Was wir von diesem Volke jetzt wissen, genuegt wohl, um dasselbe von den uebrigen Italikern bestimmt zu unterscheiden, nicht aber, um positiv den Platz zu bestimmen, welcher dieser Sprache und diesem Volk in der Geschichte des Menschengeschlechts zukommt. Die Inschriften sind nicht entraetselt, und es ist kaum zu hoffen, dass dies dereinst gelingen wird. Dass der Dialekt den indogermanischen beizuzaehlen ist, scheinen die Genetivformen aihi und ihi entsprechend dem sanskritischen asya, dem griechischen oio anzudeuten. Andere Kennzeichen, zum Beispiel der Gebrauch der aspirierten Konsonanten und das Vermeiden der Buchstaben m und t im Auslaut, zeigen diesen iapygischen in wesentlicher Verschiedenheit von den italischen und in einer gewissen Uebereinstimmung mit den griechischen Dialekten. Die Annahme einer vorzugsweise engen Verwandtschaft der iapygischen Nation mit den Hellenen findet weitere Unterstuetzung in den auf den Inschriften mehrfach hervortretenden griechischen Goetternamen und in der auffallenden, von der Sproedigkeit der uebrigen italischen Nationen scharf abstechenden Leichtigkeit, mit der die Iapyger sich hellenisierten: Apulien, das noch in Timaeos' Zeit (400 Roms, [350]) als ein barbarisches Land geschildert wird, ist im sechsten Jahrhundert der Stadt, ohne dass irgendeine unmittelbare Kolonisierung von Griechenland aus dort stattgefunden haette, eine durchaus griechische Landschaft geworden, und selbst bei dem rohen Stamm der Messapier zeigen sich vielfache Ansaetze zu einer analogen Entwicklung. Bei dieser allgemeinen Stamm- oder Wahlverwandtschaft der Iapyger mit den Hellenen, die aber doch keineswegs so weit reicht, dass man die Iapygersprache als einen rohen Dialekt des Hellenischen auffassen koennte, wird die Forschung vorlaeufig wenigstens stehen bleiben muessen, bis ein schaerferes und besser gesichertes Ergebnis zu erreichen steht ^2. Die Luecke ist indes nicht sehr empfindlich; denn nur weichend und verschwindend zeigt sich uns dieser beim Beginn unserer Geschichte schon im Untergehen begriffene Volksstamm. Der wenig widerstandsfaehige, leicht in andere Nationalitaeten sich aufloesende Charakter der iapygischen Nation passt wohl zu der Annahme, welche durch ihre geographische Lage wahrscheinlich gemacht wird, dass dies die aeltesten Einwanderer oder die historischen Autochthonen Italiens sind. Denn unzweifelhaft sind die aeltesten Wanderungen der Voelker alle zu Lande erfolgt; zumal die nach Italien gerichteten, dessen Kueste zur See nur von kundigen Schiffern erreicht werden kann und deshalb noch in Homers Zeit den Hellenen voellig unbekannt war. Kamen aber die frueheren Ansiedler ueber den Apennin, so kann, wie der Geolog aus der Schichtung der Gebirge ihre Entstehung erschliesst, auch der Geschichtsforscher die Vermutung wagen, dass die am weitesten nach Sueden geschobenen Staemme die aeltesten Bewohner Italiens sein werden; und eben an dessen aeusserstem suedoestlichen Saume begegnen wir der iapygischen Nation. ------------------------------------------------------- ^1 Ihren Klang moegen einige Grabschriften vergegenwaertigen, wie theotoras artahiaihi berenarrihino und dazihonas platorrihi bollihi. ^2 Man hat, freilich auf ueberhaupt
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