Robur der Sieger | Page 6

Jules Verne
unerschütterlicher Gesundheit, wie jener von unzweifelhafter Kühnheit, und sorgte er sich wenig darum, die gewissen Vorzüge des Junggesellenstandes gegen die oft zweifelhaften Vortheile der Ehe zu vertauschen. Wahrlich, das waren zwei M?nner, wie geschaffen, einander zu verstehen, die sich doch nicht verstanden, und Beide, was wohl zu bemerken ist, von ungemein stark entwickeltem Charakter, der Eine, Onkel Prudent, hitzig, der Andere, Phil Evans, eiskalt bis zum Ueberma?e.
Und woher kam es, da? Phil Evans nicht zum Vorsitzenden des Clubs ernannt worden war? Die Stimmenzahl für Onkel Prudent und für ihn war die genau gleiche gewesen. Wohl zwanzig Mal wurde die Abstimmung wiederholt, aber auch zwanzig Mal ergab sich eine Majorit?t weder für den Einen, noch für den Anderen. Das war eine peinliche Lage, welche wahrscheinlich die Lebenszeit der beiden Candidaten h?tte überdauern k?nnen.
Da schlug ein Mitglied des Clubs ein Mittel vor, die Stimmengleichheit aufzuheben. Es war Jem Cip, der Schatzmeister des Weldon-Institutes. Jem Cip war eingefleischter Vegetarianer, mit anderen Worten, ausschlie?licher Gemüseesser, einer der Leute, die jede Fleischnahrung, wie alle gegohrenen Getr?nke verwarfen -- halb Brahmanen und halb Muselm?nner -- der Rival eines Nievmann, Pitmann, Ward und Davie, welche der Secte dieser unschuldigen Thoren einen gewissen Namen gemacht haben.
Bei vorliegender Gelegenheit wurde Jem Cip von einem anderen Mitglied des Clubs unterstützt, von William T. Forbes, dem Director einer gro?en Anstalt, in der Glucose durch Behandlung von Lumpen mit Schwefels?ure hergestellt wurde -- ein Verfahren, nach dem man also Zucker aus alter W?sche zu erzeugen vermag. Es war ein gut situirter Mann, dieser William T. Forbes, und Vater von zwei reizenden, bejahrteren T?chtern, der Mi? Dorothee, genannt Doll, und der Mi? Martha, genannt Mat, die in der besten Gesellschaft von Philadelphia den Ton angaben.
Der von William T. Forbes nebst einigen Anderen unterstützte Vorschlag Jem Cip's ging nun dahin, den Vorsitzenden des Clubs durch den Mittelpunkt zu bestimmen.
Wahrlich, dieser Wahlmodus k?nnte in allen F?llen angewendet werden, wo es sich darum handelt, den Würdigsten zu erw?hlen, und sehr viele, h?chst vernünftige Amerikaner dachten auch schon daran, denselben bei der Ernennung des Pr?sidenten der Vereinigten Staaten zur Anwendung zu bringen.
Auf zwei tadellos wei?e Tafeln wurde hierzu je eine schwarze Linie gezogen. Die L?nge beider war mathematisch genau die gleiche, denn man hatte dieselbe mit ebenso viel Sorgfalt abgemessen, als handelte es sich dabei um die Grundlinien des ersten Dreiecks einer Triangulationsarbeit. Hierauf wurden beide Tafeln am n?mlichen Tage inmitten des Sitzungssaales der Gesellschaft aufgestellt; die beiden Wettbewerber versahen sich Jeder mit einer sehr feinspitzigen Nadel und gingen wieder gleichzeitig auf die, Jedem durch das Loos zugefallene Tafel zu. Derjenige der beiden Rivalen aber, welcher seine Nadel am n?chsten dem Mittelpunkte der Linie einstechen würde, sollte damit zum Vorsitzenden des Weldon-Institutes gew?hlt sein.
Es versteht sich von selbst, da? hierbei jedes Hilfsmittel, jedes Umhertappen verboten und nur die Sicherheit des Blicks entscheidend war. Es galt, nach volksthümlichem Ausdruck, den Zirkel im Auge zu haben.
Onkel Prudent stach seine Nadel ein und zu gleicher Zeit Phil Evans. Darauf wurde nachgemessen, welcher der beiden Konkurrenten sich dem Mittelpunkte am meisten gen?hert hatte.
Welches Wunder! Die beiden M?nner hatten so vortreffliches Augenma? entwickelt, da? die Messungen keinen sch?tzenswerthen Unterschied ergaben. War von ihnen auch nicht genau der mathematische Mittelpunkt getroffen worden, so erwies sich der Raum zwischen diesem und den beiden Nadeln kaum merkbar und schien bei beiden obendrein noch gleich gro? zu sein.
Die Versammlung befand sich nun in neuer Verlegenheit.
Zum Glück bestand eines der Mitglieder, Truk Milnor, darauf, die Messungen mit Hilfe eines mit Perreaux' mikrometischer Maschine getheilten Lineals noch einmal vorzunehmen, welche die M?glichkeit gew?hrt noch ein Fünfzehnhundertstel eines Millimeters abzulesen. Auf dem Lineal waren in der That fünfzehnhundert Abtheilungen auf einem solchen kleinen Raum mittelst Diamant eingeritzt, und bei Abmessung der Entfernung der Stiche von den betreffenden Mittelpunkten erhielt man folgendes Resultat:
Onkel Prudent hatte sich dem Mittelpunkt auf weniger als sechs fünfzehnhundertstel Millimeter gen?hert, Phil Evans auf nahezu neun fünfzehnhundertstel.
Daher kam es, da? Phil Evans nur Schriftführer des Weldon-Institutes wurde, w?hrend Onkel Prudent die Würde des Pr?sidenten desselben erhielt.
Einer Entfernung von drei fünfzehnhundertstel, mehr hatte es nicht bedurft, um Phil Evans mit Ha? gegen Onkel Prudent zu erfüllen, mit einem Ha?, der, wenn er ihn auch in sich verschlo?, doch nicht minder grimmig war.
Jener Zeit, und zwar seit dem letzten Viertel dieses neunzehnten Jahrhunderts, hatte die Frage der lenkbaren Ballons immerhin schon einige Fortschritte zu verzeichnen, die mit Triebschraube ausgerüsteten Gondeln, welche Henry Giffard 1852 an seinem verl?ngerten Ballon anbrachte, ferner Dupuy de L?me, 1872, die Gebrüder Tissandier 1883 und die Capit?ne Krebs und Renard im Jahre 1884 hatten mindestens einige Ergebnisse erzielt, denen man Rechnung tragen mu?te.
Doch wenn diese Apparate in einem schwereren Medium als sie selbst, unter dem Drucke einer Schraube man?vrirend, eine schr?ge Richtung gegen den Wind einhielten, sogar gegen einen widrigen Luftzug aufkamen, um nach ihrem Ausgangspunkt zurückzukehren, also wirklich gelenkt worden waren, so konnte
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