Rede zum Schuljahresabschluss | Page 5

Georg Wilhelm Friedrich Hegel
daß die mechanische
Seite davon mehr als bloß ein notwendiges Übel ist. Denn das
Mechanische ist das [dem] Geiste Fremde, für den es Interesse hat, das
in ihn hineingelegte Unverdaute zu verdauen, das in ihm noch Leblose

zu verständigen und zu seinem Eigentume zu machen.
Mit diesem mechanischen Momente der Spracherlernung verbindet sich
ohnehin sogleich das grammatische Studium, dessen Wert nicht hoch
genug angeschlagen werden kann, denn es macht den Anfang der
logischen Bildung aus,--eine Seite, die ich noch zuletzt berühre, weil
sie beinahe in Vergessenheit gekommen zu sein scheint. Die
Grammatik hat nämlich die Kategorien, die eigentümlichen
Erzeugnisse und Bestimmungen des Verstandes zu ihrem Inhalte; in ihr
fängt also der Verstand selbst an, gelernt zu werden. Diese geistigen
Wesenheiten, mit denen sie uns zuerst bekannt macht, sind etwas
höchst Fassliches für die Jugend, und wohl nichts Geistiges [ist]
fasslicher als sie; denn die noch nicht umfassende Kraft dieses Alters
vermag das Reiche in seiner Mannigfaltigkeit nicht aufzunehmen; jene
Abstraktionen aber sind das ganz Einfache. Sie sind gleichsam die
einzelnen Buchstaben, und zwar die Vokale des Geistigen, mit denen
wir anfangen, [um] es buchstabieren und dann lesen zu lernen.
--Alsdann trägt die Grammatik sie auch auf eine diesem Alter
angemessene Art vor, indem sie dieselben durch äusserliche
Hilfsmerkmale, welche die Sprache meist selbst enthält, unterscheiden
lehrt; um etwas besser, als jedermann rot und blau unterscheiden kann,
ohne die Definitionen dieser Farben nach der Newtonschen Hypothese
oder einer sonstigen Theorie angeben zu können, reicht jene Kenntnis
vorerst hin, und es ist höchst wichtig, auf diese Unterschiede
aufmerksam gemacht worden zu sein. Denn wenn die
Verstandesbedingungen, weil wir verständige Wesen sind, in uns sind
und wir dieselben unmittelbar verstehen, so besteht die erste Bildung
darin, sie zu haben, d.h. sie zum Gegenstande des Bewusstseins
gemacht zu haben und sie durch Merkmale unterscheiden zu können.
Indem wir durch die grammatische Terminologie uns in Abstraktionen
bewegen lernen und dies Studium als die elementarische Philosophie
anzusehen ist, so wird es wesentlich nicht bloß als Mittel, sondern als
Zweck--sowohl bei dem lateinischen als bei dem deutschen
Sprachunterricht--betrachtet. Der allgemeine oberflächliche Leichtsinn,
den zu vertreiben der ganze Ernst und die Gewalt der Erschütterungen,
die wir erlebt, erforderlich war, hatte, wie im Übrigen, so bekanntlich
auch hier das Verhältnis von Mittel und Zweck verkehrt und das
materielle Wissen einer Sprache höher als ihre verständige Seite

geachtet.--Das grammatische Erlernen einer alten Sprache hat zugleich
den Vorteil, anhaltende und unausgesetzte Vernunfttätigkeit sein zu
müssen; indem hier nicht, wie bei der Muttersprache, die unreflektierte
Gewohnheit die richtige Wortfügung herbeiführt, sondern es notwendig
ist, den durch den Verstand bestimmten Wert der Redeteile vor Augen
zu nehmen und die Regel zu ihrer Verbindung zu Hilfe zu rufen. Somit
aber findet ein beständiges Subsumieren des Besonderen unter das
Allgemeine und Besonderung des Allgemeinen statt, als worin ja die
Form der Vernunfttätigkeit besteht.--Das strenge grammatische
Studium ergibt sich also als eines der allgemeinsten und edelsten
Bildungsmittel.
Dies zusammen, das Studium der Alten in ihrer eigentümlichen
Sprache und das grammatische Studium, macht die Grundzüge des
Prinzips aus, welches unsere Anstalt charakterisiert. Dieses wichtige
Gut, so reich es schon an sich selbst ist, begreift darum nicht den
ganzen Umfang der Kenntnisse, in welche unsere vorbereitende Anstalt
einführt. Ausserdem, daß schon die Lektüre der alten Klassiker so
gewählt ist, um einen lehrreichen Inhalt darzubieten, befasst die Anstalt
auch den Unterricht fernerer Kenntnisse, die einen Wert an und für sich
haben, von besonderer Nützlichkeit oder auch eine Zierde sind. Ich
brauche diese Gegenstände hier nur zu nennen; ihr Umfang, ihre
Behandlungsweise, die geordnete Stufenfolge in denselben und in ihren
Verhältnissen zu anderen, die Übungen, die an sie angeknüpft werden,
ist in der gedruckt auszuteilenden Nachricht näher zu ersehen. Diese
Gegenstände sind also im allgemeinen: Religionsunterricht, deutsche
Sprache nebst Bekanntmachung mit den vaterländischen Klassikern,
Arithmetik, späterhin Algebra, Geometrie, Geographie, Geschichte,
Physiographie, welche die Kosmographie, Naturgeschichte und Physik
in sich begreift, philosophische Vorbereitungswissenschaften; ferner
französische, auch für die künftigen Theologen hebräische Sprache,
Zeichnen und Kalligraphie. Wie wenig diese Kenntisse vernachlässigt
werden, ergibt sich aus der einfachen Rechnung, daß, wenn wir die vier
letzteren Unterrichtsgegenstände nicht in Anschlag bringen, zwischen
jenen zuerst genannten und den alten Sprachen die Zeit des Unterrichts
in allen Klassen genau zur Hälfte geteilt ist; die erwähnten
Gegenstände aber mit eingerechnet, fällt auf das Studium der alten
Sprachen nicht die Hälfte, sondern nur zwei Fünfteile des ganzen

Unterrichts.
In diesem ersten verflossenen Studienjahre ist die Hauptsache instand
gesetzt worden und in Gang gekommen; das zweite Jahr wird an sich
auf nähere Bestimmung und Ausbildung einzelner Zweige, wie z.B. der
Anfangsgründe physikalischer Wissenschaften, näher bedacht sein
können, und die allerhöchste Gnade Seiner Königlichen Majestät wird
uns dazu, wie wir mit vertrauensvoller Zuversicht entgegensehen,
instand setzen.--Auch was in der äusseren Einrichtung und
Schicklichkeit noch abgeht--die Musen haben an sich wenig
Bedürfnisse und sind hier nicht verwöhnt--, was für die Betätigung der
äusseren disziplinarischen
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