Memoiren einer Sozialistin | Page 9

Lily Braun
ich heim, unempfindlich blieb ich f��r alle Vorw��rfe, die mich sonst so bitter trafen; das Erlebte hatte jede andre Empfindung in mir ausgel?scht. Nur der Gro?mutter vertraute ich fl��sternd das gro?e Geheimnis an: wie die Bergriesen vor mir lebendig geworden waren.
Im Herbst desselben Jahres kehrte Gro?mama nach Potsdam zur��ck, Mama und ich aber reisten nach Augsburg zu meines Vaters Schwester Klotilde. Sie hatte sich mit Baron Artern, dem j��ngeren Bruder ihrer Tante Kleve, bei der sie erzogen worden war, verm?hlt gehabt und war nach kurzem strahlendem Gl��ck Witwe geworden. Monatelang schien es, als ob ihr sehns��chtiger Wunsch, dem Toten zu folgen, erf��llt werden w��rde, und es war mein Vater, der ihr in dieser Zeit mit der ganzen hingebungsvollen Liebe und zarten R��cksicht, deren er f?hig war, zur Seite gestanden und sie dem Leben zur��ckgewonnen hatte. Er war es wohl auch gewesen, der ihr den Gedanken nahe legte, uns zu sich einzuladen. Es gibt kaum eine heilendere Kraft f��r alle Lebenswunden als die weichen H?nde, die klaren Augen und das helle Lachen eines Kindes, -- ihr war sie versagt geblieben; in mir, so hoffte mein Vater, sollte sie sie finden.
An einem tr��ben Oktoberabend kamen wir in Augsburg an. In Trauerlivree empfing uns der Diener am Bahnhof, dunkel war die Equipage, dunkel waren die engen winkligen Stra?en, und grau, wie leblos, starrten die alten H?user mir entgegen. In einen hallenden Torweg, den nur eine unruhig flackernde Lampe sp?rlich erhellte, bog der Wagen, und vor einer breiten, teppichbelegten Treppe mit kunstvollem schmiedeeisernem Gel?nder stiegen wir aus. Eine alte Dienerin mit gro?em Schl��sselbund ��ber der schwarzseidenen Sch��rze begr��?te uns zuerst; oben, wie eine F��rstin, wartete des Hauses Herrin auf uns. Der Kreppschleier verh��llte sie fast ganz, nur das wei?e Gesicht und die roten Haare leuchteten daraus hervor. Weinend umarmte sie ihre G?ste, und ersch��ttert von dem Eindruck der neuen Umgebung weinte ich mit ihr. ?Du gutes Kind,? sagte sie und k��?te mich z?rtlich; ich hatte ihr Herz gewonnen.
Ein seltsames Leben begann f��r mich in dem grauen Hause mit seinen langen, d��stern G?ngen, an deren W?nden ein dunkles Bild neben dem andern hing, mit seinen m?chtigen schwarzbraunen Schr?nken und den tiefen, tiefen Teppichen, ��ber die der Fu? unh?rbar hinglitt. Die T��ren waren mit Fries eingefa?t, um jedes Ger?usch zu vermeiden, und die Klingeln hatten einen dunkeln Ton. Meine Tante vertrug nicht den geringsten L?rm. Man hatte mir das streng eingesch?rft, aber ich w?re hier auch ohnedies ganz still gewesen. Nur im St��bchen bei der alten Kathrin, der Wirtschafterin, die mich schnell in ihr Herz schlo?, durfte ich lachen und toben, und drau?en bei allen den vielen Verwandten und Freunden f��hlte ich mich aus dem Traumreich in die Welt zur��ckversetzt. Die erste M?dcheneitelkeit ist damals von ihnen in mir gro?gezogen worden. Sie umgaben mich f?rmlich mit der wohligen weichen Treibhausluft der Bewunderung; und wenn meine Mutter auch, sobald wir allein waren, Worte wie Hagelschauer und Gewitterregen abk��hlend hernieder brausen lie?, so sah ich darin doch nichts weiter, als da? sie mir die Freude eben wieder einmal nicht g?nnen wolle. Hatte ich mich fr��her, weil ich anders war, zur��ckgesetzt gef��hlt, war ich mir im Vergleich zu meinen hell?ugigen Gespielen h??lich vorgekommen, so wurde ich allm?hlich meiner Besonderheit als eines Vorzugs bewu?t.
In meinem Zimmer, das ich allein bewohnte -- Mademoiselle war auf Urlaub bei ihren Eltern in der Schweiz geblieben --, stand ein verschlossener Schrank. Ich studierte durch die Glast��ren die Titel auf den R��cken der B��cher, soweit das meine ziemlich unzureichende Kenntnis der deutschen Buchstaben zulie?; franz?sisch war mir bisher allein gel?ufig geworden. Auf einer Reihe gro?er Quartb?nde wiederholten sich immer dieselben Worte: ?Die Geschichten aus tausend und einer Nacht.? ?Tausend und eine Nacht?, -- hie? nicht so das Buch mit den bunten Bildern, aus dem mir Gro?mama Aladins seltsame Abenteuer vorgelesen hatte? Niemand erz?hlte mir M?rchen in Augsburg, die alte Kathrin wu?te nur immer dieselben Gespenstergeschichten, ach, wenn ich doch selber lesen k?nnte! Heimlich versuchte ich, mit allen Schl��sseln, die mir erreichbar waren, den Schrank zu ?ffnen, um zu den Sch?tzen zu gelangen, die er barg. Endlich, endlich sprang er auf. Wie gut, da? ich Halsweh hatte und Tante und Mama allein spazieren gefahren waren! Mit klopfendem Herzen nahm ich einen Band nach dem andern heraus -- ich sehe noch ihr gebr?untes Leder vor mir und ihr gelbes, stockfleckiges Papier! -- und betrachtete die vielen Bilder darin: Geister und Ungeheuer, M?nner auf sich b?umenden Rossen mit krummen S?beln und hohem Turban und wunder-, wundersch?ne Frauen. Von nun an hatte ich h?ufig ?Halsschmerzen? und lie? mir mit r��hrender Geduld Einreibungen und Umschl?ge gefallen, trug auch klaglos das rote Flanelll?ppchen, das ich sonst nicht rasch genug hatte abrei?en k?nnen. Sobald ich allein war, vertiefte ich mich in die B��cher. Es waren unverk��rzte ��bersetzungen des herrlichen M?rchenschatzes; ich lernte lesen darin; der ganze Farbenreichtum, die ganze Glut des Orients
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