Mein erster Aufenthalt in Marokko und Reise südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet | Page 9

Gerhard Rohlfs
an einen einigen Gott und an dessen Liebling, Gott vertilge alle Christen und lasse sie ewig brennen!"--"Aber, o Wunder!" fing ein Dritter an, "seht den ungl?ubigen Hund, wie er die H?nde gefaltet hat (ich hatte mich auf türkisch niedergesetzt und in Gedanken die H?nde gefaltet), gewiss betet er seine sündhaften Gebete!" Ich entfaltete rasch meine H?nde, und ein Anderer ermahnte mich nun, nie wieder in der Gesellschaft von Gl?ubigen solche gottvergessenen Handlungen vorzunehmen.
[Fu?note 9: Ich übersetze das Wort "drif", dessen er sich bediente so, eigentlich bedeutet es zart, elegant, fein gebildet.]
So unangenehm es auch war, auf diese Art auf Tritt und Schritt wie ein kleines Kind geschulmeistert zu werden, so lernte ich doch dadurch rasch die Sitten in ihren kleinsten Einzelheiten kennen. Am peinlichsten war mir immer die Essstunde; abgesehen davon, dass am Boden hockend aus einer Schüssel gegessen wird, und Jeder mit halb oder gar nicht gewaschener Hand ins Essen f?hrt, haben alle Marokkaner die sehr unangenehme Angewohnheit, zwischen und gleich nach dem Essen laut aufzustossen. "Veizeih's [Verzeih's] Gott," ist das Einzige, was so ein alter Schlemmer mit seiner unsauberen Erleichterung zugleich ausruft, und ein "Gott sei gelobt" der Anwesenden giebt die Billigung derselben zu erkennen.
Als endlich das Wetter sich aufheiterte, setzte ich in Begleitung eines Bauern aus der Umgegend von Tetuan meine Reise nach Uesan fort. Durch die strotzenden G?rten hatten wir bald den Ued Kus erreicht, setzten über und gingen auf die Berge los; obschon man den Weg recht gut in Einem Tage machen kann, n?chtigten wir doch abermals, da der anhaltende Regen die Wege in dem Lehmboden fast grundlos gemacht hatte. Die Gegend wurde uns als gef?hrlich geschildert, doch schützte uns der Umstand, dass wir Uesan als Reiseziel hatten. Der Ruf des dortigen Grossscherif ist in der That so gross, dass Alle, die zu ihm pilgern, unter einem allgemein anerkannten Schutz stehen.
Die reizende Gegend, durch die wir zogen, jeder Hügel, jeder Berggipfel, wie in der Romagna mit einem Dorf oder St?dtchen, machte einen grossen Eindruck auf mich. Mit grosser Freigebigkeit wurden wir Mittags in einem Orte, Kaschuka genannt, bewirthet, angestaunt von der ganzen Bev?lkerung, welche wohl noch nie einen Deutschen gesehen hatte. In einem dem Grossscherif geh?renden Dorfe aus Zelten wurde übernachtet, und am anderen Morgen gegen 9 Uhr erreichten wir die heilige Pilgerstadt, das Mekka der Marokkaner.
Doch bevor ich den Leser mit Uesan bekannt mache, werfen wir auf Bodengestalt, Klima und Bev?lkerung des ganzen Reiches einen Blick.
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2. Bodengestalt und Klima
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Das am nordwestlichen Ende von Afrika gelegene Kaiserreich Marokko, Rharb el djoani[10] im Lande selbst genannt, ist von allen an das Mittelmeer grenzenden L?ndern Nordafrika's eins der am günstigsten gelegenen. Es würde zu nichts führen, wollten wir versuchen, die Gr?sse des Landes in Zahlen anzugeben; selbst eine allgemeine Bezeichnung, dass Marokko zwischen den so und so vielten L?ngen- und Breitengraden liege, giebt nur ann?hernd einen Begriff und wechselt je nachdem wir die bedeutenden Oasen von Gurara, Tuat und Tidikelt, die fast bis zum 26° N. B. nach dem Süden und bis zum 22° O. L. von Ferro reichen, hinzurechnen oder nicht. Halten wir diese letzte Ausdehnung fest und rechnen die grossen Strecken wüsten Terrains, welche zwischen den Oasen und dem atlantischen Ocean liegen, hinzu, so k?nnen wir uns den besten Begriff von der Gr?sse Marokko's machen, wenn wir dann aus der Karte ersehen, dass es um ein Drittel gr?sser ist, als Frankreich,[11] ohne diese Gebiete aber ungef?hr mit Deutschland eine gleiche Gr?sse hat.
[Fu?note 10: Der Name Maghreb el aksa ist im Lande selbst nicht bekannt und gebr?uchlich, wohl aber sagt man Rharb schlechtweg, oder Bled-es-Sidi-Mohammed, oder bled Fes nach der Hauptstadt. Das Wort djoani bedeutet nach Wetzstein das "innere" und "eigentliche", also der innere und eigentliche Westen.]
[Fu?note 11: Kl?den und Behm 12,210 Quadrat-Meilen. Renou 5775 Myriam.-Q.-M. Beaumier 5000 M.-Q.-M. Daniel ca. 13,000 Q.-M. A. Rey und Xavier Durrieu 24,379 Lieues car. Gr?berg de Hems? 219,400 Q.-M. italiane. Jardine 50,000 (englische) Q.-M. Donndorf 7425 Q.-M. J. Duval 57,000,000 Hectars und in Berlings Staatszeitung von 1778 giebt Tempelmann 6287 Q.-M. für Fes, Tafilet und Marokko an.]
Wenige L?nder von Afrika haben im Verh?ltniss zum Binnenlande eine so grosse Küstenentwickelung. Die Gestadel?nge Marokko's am atlantischen Ocean betr?gt 1265, die an der Meerenge von Gibraltar 60, die am Mittelmeere 425 Kilometer, w?hrend die Landgrenze nur eine L?nge von 250 Kilometer hat.[12]
[Fu?note 12: Nach Renou, der Tuat etc. nicht mit in seine Berechnungen gezogen hat.]
Was die Küsten ihrer Beschaffenheit nach anbetrifft, so fallen dieselben im Norden nach dem Mittelmeere steil ab mit unz?hligen Buchten, die aber zu klein sind, um einen guten Hafen zu bilden. Dennoch sind sie gross genug, um den Rif-Piraten mit ihren kleinen Fahrzeugen Versteck und Sicherheit gegen Sturm und stürmische Witterung zu gew?hren. Indess fehlen die guten Ankerpl?tze auch nicht. Zwischen den Djafarin-Inseln und an der Küste bei Melilla, bei
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