Maass für Maass | Page 2

William Shakespeare
Stelle. Unsre
Abreise von hier wird so schleunig seyn, daß wir Sachen von
Wichtigkeit unentschieden zurüklassen müssen. Wir werden euch, so
viel Zeit und Umstände zulassen, von unserm Befinden Nachricht
geben, und uns erkundigen, wie es hier stehe. Lebet also wohl; ich
überlasse euch der hoffnungsvollen Ausführung unsrer Aufträge.
Angelo. Erlaubet wenigstens, gnädigster Herr, daß wir euch einige
Umstände--
Herzog. Wir können keinen Augenblik länger verziehen. Auch habt ihr,
bey meiner Ehre, nicht nöthig euch das mindeste Bedenken zu machen.
Euer Werk ist, wie das unsrige, die Geseze so einzurichten und in
Würksamkeit zu sezen, wie ihr es am besten achtet. Gebt mir eure
Hand, ich werde in geheim abreisen. Ich liebe das Volk, aber ich seze
mich ihm nicht gern zur Schau aus; ob es gleich wohl thut, so bin ich
doch kein Liebhaber ihres lauten Zujauchzens, und habe keine grosse
Meynung von der Bescheidenheit derjenigen, die dergleichen Dinge
lieben. Noch einmal, lebet wohl.
Angelo. Der Himmel befördere euer Vorhaben.
Escalus. Und bringe euch glüklich zurük.
Herzog. Ich danke euch, lebet wohl.
(Er geht ab.)
Escalus. Ich muß euch, mein Herr, um Erlaubniß bitten, eine freye
Unterredung mit euch zu haben. Es ist mir daran gelegen, mein Amt
recht zu kennen. Ich habe eine Gewalt; aber ich bin nicht belehrt, wie

weit sie sich erstrekt.
Angelo. Es geht mir eben so; wir wollen uns mit einander
hinwegbegeben, und durch Vergleichung unsrer Instructionen uns ins
Klare sezen.
Escalus. Ich werde Euer Gnaden folgen.
(Sie gehen ab.)

Dritte Scene. (Eine Straasse.) (Lucio und zween Edelleute.)
Lucio. Wenn der Herzog, und die übrigen Herzoge sich mit dem König
von Ungarn nicht vergleichen können, so werden sich alle Herzoge
wider den König vereinigen.
1. Edelmann. Der Himmel geb uns seinen Frieden, aber nicht des
Königs in Ungarn seinen.
2. Edelmann. Amen!
Lucio. Du betest wie jener andächtiger Seeräuber, der mit den zehen
Gebotten zu Schiffe stieg, aber eines aus der andern Tafel auskrazte.
2. Edelmann. Du sollt nicht stehlen--
Lucio. Eben das.
1. Edelmann. Hatte er nicht Ursache? Das ist ein Gebott, das seine
Leute von ihrer Schuldigkeit abgehalten hätte; denn sie schiften sich
ein, um zu stehlen. Es ist nicht einer unter uns Soldaten, dem in dem
Gebet vor dem Essen, die Bitte für den Frieden gefiele.
2. Edelmann. Ich habe doch nie keinen Soldaten gehört, der sie
mißbilligt hätte.
Lucio. Das glaub ich dir; du bist vermuthlich nie dabey gewesen, wenn
man das Tischgebet gesprochen hat.
2. Edelmann. Nie? wenigstens ein duzendmal.
1. Edelmann. Wie? In Reimen?
Lucio. In allen Reim-Arten und in allen Sprachen.
1. Edelmann. Und auch in allen Religionen denk' ich.
Lucio. Warum das nicht?--Aber seht, seht, hier kommt Madam
Gutherzigkeit.
1. Edelmann. Wahrhaftig, die Krankheiten, die ich unter ihrem Dach
aufgelesen habe, kommen mich--
2. Edelmann. Wie hoch, wenn ich bitten darf?
1. Edelmann. Rathet?
2. Edelmann. Dreytausend Thaler jährlich?

1. Edelmann. Ja, und mehr.
Lucio. Eine französische Crone mehr.

Vierte Scene. (Die Kupplerin, die Vorigen.)
1. Edelmann. Wie gehts, Mutter, auf welcher Seite habt ihr das
Hüftweh am nachdrüklichsten?
Kupplerin. Gut, gut, dort wird einer ins Gefängniß geführt, der
fünftausend wie ihr seyd werth ist.
1. Edelmann. Wer ist das, ich bitte dich?
Kupplerin. Zum Henker, Junker, es ist Claudio; Signor Claudio.
1. Edelmann. Claudio ins Gefängniß? das kan nicht seyn.
Kupplerin. Ich weiß aber daß es ist; ich sah, wie er angehalten wurde;
ich sah ihn wegführen, und was noch mehr ist, in den nächsten drey
Tagen wird ihm der Kopf abgeschlagen werden.
Lucio. Das stünde mir gar nicht an; bist du dessen gewiß?
Kupplerin. Nur allzugewiß; und das alles, weil er der Fräulein Juliette
ein Kind gemacht hat.
Lucio. Glaubt mir, es kan seyn; er versprach mir, vor zwey Stunden
mich hier anzutreffen, und er war immer genau sein Wort zu halten.
1. Edelmann. Und überdas stimmt dieser Bericht mit dem öffentlichen
Ausruf ein.
Lucio. Kommt, wir wollen sehen, was an der Sache ist.

Fünfte Scene. (Die Kupplerin, Harlequin.)
Kupplerin. Was bringst du neues?
Harlequin. Seht ihr nicht den Mann dort, den man ins Gefängniß führt?
Kupplerin. Was hat er denn gemacht?
Harlequin. Eine Frau.
Kupplerin. Ich frage, was ist sein Verbrechen?
Harlequin. Daß er in einem fremden Bache Dreuschen gefangen hat.
Kupplerin. Wie? geht ein Mädchen mit einem Kind von ihm?
Harlequin. Nein, aber ein Weib geht mit einem Mädchen von ihm. Ihr
habt den Ausruf nicht gehört, habt ihr?
Kupplerin. Was für einen Ausruf, Mann?
Harlequin. Alle Häuser in den Vorstädten von Wien sollen
niedergerissen werden.

Kupplerin. Und was soll aus denen in der Stadt werden?
Harlequin. Die läßt man zum Saamen stehen; sie hätten auch weg
sollen, aber einige weise Bürger haben sich für sie ins Mittel
geschlagen.
Kupplerin. So sollen also alle unsre Schenk- und Spiel-Häuser in den
Vorstädten niedergerissen werden?
Harlequin. Bis auf den Grund, Madam.
Kupplerin. Wahrhaftig, es
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