Kriegsbüchlein für unsere Kinder | Page 3

Agnes Sapper
sie zusammennehmen. Sie
holte den Fahrplan, aber sie war kaum imstande, die kleinen Zahlen
pünktlich anzusehen. Krieg! Krieg! Das schreckliche Wort, das so
aufdringlich vorne in der Zeitung stand, raubte ihr die Besinnung. Sie
konnte es noch gar nicht fassen, daß sie so ahnungslos, so vergnügt und
glücklich in den Bergen herumgestiegen war, während ein so
grenzenloses Unglück über das Vaterland hereinbrach. Aber sie mußte
nun handeln, mußte packen, abreisen! Es war sechs Uhr abends; wenn
sie den Wagen bestellte, der sie von der Bahnstation hiehergebracht
hatte, so konnte sie noch den Nachtzug nach München erreichen.
"Lisbeth, fange an einzupacken; wie es kommt, nur schnell! Ich gehe
mit Karl ins Wirtshaus, um den Wagen nach der Bahn zu bestellen."
In der Dorfstraße, an einem Scheunentor, war ein großes Plakat
angeschlagen. "Sieh, Mutter," sagte Karl, "vom Kaiser von Österreich:
'An meine Völker!' Das möchte ich lesen."--"So lies, ich gehe zum
Wirt." Der Wirt aber war mit den Pferden fort. Er hatte einen
Leiterwagen voll einberufener Burschen zur Station fahren müssen und
konnte erst nachts zurückkommen. Andere Pferde gab's nicht--vor dem
nächsten Morgen war nichts zu machen. "Aber dann gewiß?" fragte
Frau Lißmann. "Um wieviel Uhr können wir wohl abfahren?" Die
Wirtin konnte dies nicht sagen, sie müßte erst mit ihrem Manne
sprechen. Sie lasse dann durch einen Burschen Bescheid sagen. "Um
neun Uhr vielleicht."--"So spät?"--Ja, die Pferde müßten doch ausruhen
und ihr Mann auch; der Knecht sei schon einberufen, und ihre zwei
Söhne, ihre einzigen Kinder, auch. Die Tränen traten ihr in die Augen.
Bekümmert verließ Frau Lißmann das Haus.
Karl hatte inzwischen den Ausruf des Kaisers gelesen, mit der
begeisterten Aufforderung, in den Krieg zu ziehen, der dem Vaterland
aufgezwungen war. Und unter dem Ausruf war ein Telegramm

angeschlagen, das besagte, daß auch Deutschland, als treuer
Bundesgenosse Österreichs, seine ganze Heeresmacht mobil mache. Da
fühlte der Junge, was das Großes bedeute; er spürte keine Lust mehr,
spazieren zu gehen. Nein, er begriff, daß der Mutter der Boden unter
den Füßen brannte und daß sie unglücklich war, nicht heim zu können,
wo man sie so nötig brauchte. Aber man mußte sich bis zum nächsten
Morgen gedulden. Die Koffer wurden gepackt und alles zur Abreise
gerichtet--daran sollte es wenigstens nicht fehlen! Dann kam die Nacht.
Sie brachte doch den Müden Schlaf; sie konnten sich ihm ja auch ruhig
überlassen, wenn doch vor neun Uhr keine Möglichkeit war,
fortzukommen.
Aber um fünf Uhr morgens klopfte die Hausfrau. Die Wirtin schicke
her; ihr Mann müsse Burschen zum Frühzug fahren, im Leiterwagen;
wenn sie aufsitzen wollten, es wäre noch Platz. Aber sie müßten gleich
kommen, es sei schon angespannt.
Keinen Augenblick besann sich Frau Lißmann. "Jawohl, wir kommen,
der Wirt soll doch ganz gewiß warten!--Auf, auf, Kinder! Nicht
waschen, nicht kämmen! Nur Kleider und Stiefel anziehen!" Die
Kinder fuhren aus den Betten und waren gleich munter. Sie lachten:
Nicht waschen, nicht kämmen? So ein Befehl von der Mutter? Nur so
vom Bett aus fort und mit Bauernburschen auf einen Leiterwagen!
Solch ein Abenteuer! Und wie die Mutter alles zusammenraffte und in
die Reisetasche stopfte und wie sie sich alle den Mund verbrannten an
der frisch abgekochten Milch, die die Bäurin schnell brachte! Und wie
sie dann, noch mit dem Frühstücksbrot in der Hand, über die
Dorfstraße dem Wirtshaus zuliefen und die Bäurin ihnen noch
nachsprang mit Schwamm und Kamm, die sie vergessen hatten!
Als sie vor dem Wirtshaus ankamen, stand da der Leiterwagen, aus
dem fünf Bauernburschen ihnen neugierig entgegen sahen und der Wirt
saß schon oben, die Peitsche in der Hand, stieg aber noch einmal ab, als
er sah, wie Frau Lißmann ratlos am Wagen stand und nicht wußte, wie
man den erklettern mußte. Er half kräftig nach und so saßen sie bald
alle drei nebeneinander auf quer herüber gelegtem Brett und die Fahrt
ging los. Mit viel Jauchzen und Winken, das aus allen Fenstern

erwidert wurde, verließen die Burschen das Dörfchen. Sie waren aus
benachbarten Höfen und Weilern zusammengekommen, lauter große,
kräftige Leute; guten Muts fuhren sie hinaus in den Krieg.
Die Zeit drängte, die Pferde wurden tüchtig angetrieben und der
Leiterwagen stieß, daß unsere drei leichten Städter, die noch nie in
einem Wagen ohne Federn gefahren waren, ordentlich in die Höhe
flogen und gar nicht wußten wie ihnen geschah. Lisbeth hielt sich
krampfhaft fest an den Brettern. Sie hatte noch immer Schwamm und
Kamm in der Hand und traute sich nicht loszulassen. Karl lachte und
hatte seinen Spaß an dem "Hopsen". Der Mutter war es weniger zum
Lachen; das Stoßen tat ihr weh. Einer der Burschen mußte es ihr
anmerken. Neben dem Wirt lag eine Pferdedecke, die langte er herunter.
"Frau," sagte er, "da setzen Sie sich drauf und das kleine Fräulein
auch."
Sie nahmen es dankbar an und nun war Freundschaft geschlossen
zwischen den Reisenden, ohne viel Worte, denn die holperige Fahrt
machte
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