Handlungsrahmen, in dem Produktion (Arbeit)
und die Produktionsmittel voneinander getrennt waren. Eine ähnliche
Differenzierung vollzog sich mit der Sprache, mit der diese Arbeiter
sich konstituierten. In dem Maße, in dem die Arbeit vom letztendlichen
Produkt der Arbeit entfremdet wurde, entstand auch eine Sprache des
Produktes.
Die Sprache der Produkte
Der ausschließlich auf die Notwendigkeiten des Lebens bezogene
Warenaustausch entsprach einer Skala, die Zusammenhang und
Homogenität garantierte. In dieser überschaubaren kleinen Welt
bedurfte es keiner Gebrauchsanweisungen für die im Tauschhandel
erworbenen Produkte. Der langsame Rhythmus der Produktionszyklen
blieb auf den natürlichen Lebensrhythmus bezogen. Dieser begrenzte
Markt war Teil eines sozialen Mechanismus, der alle Individuen in die
gleiche begrenzte Erfahrung einband und sie an ihr teilhaftig werden
ließ.
Die heutigen Märkte sind durch sehr komplexe
Vermittlungsmechanismen gekennzeichnet und stellen daher kein
Umfeld mehr für eine allen Menschen gemeinsame Erfahrung dar. Im
Gegenteil sind die heutigen Märkte eher Rahmen, innerhalb derer
verschiedene Formen menschlicher Erfahrung in Konkurrenz
zueinander treten. Das bedarf noch einiger Erläuterungen. Produkte
verkörpern nicht nur Materialien, Design und Fertigkeiten, sondern
auch eine Sprache für ihre optimale Funktionsfähigkeit. Insofern stellen
sie auch eine Vielzahl von Wegen dar, in denen sich die Menschen
durch die Sprache dieser Produkte konstituieren. Der Markt wird so zu
einem Umschlagsort für die vielen Sprachen, die die Produkte sprechen.
Die heute erreichten Effizienzebenen haben zu Erwartungen geführt,
die ihrerseits die komplexen Myriaden dessen ermöglichten, was heute
produziert wird. In diesem pragmatischen Rahmen spielt Schriftkultur
und Alphabetismus nur noch eine marginale Rolle.
Abgesehen von der Zurückdrängung der Schriftkultur müssen wir
allerdings noch einen anderen Preis bezahlen: Weil jedes Produkt nicht
nur seine eigene Sprache beinhaltet, sondern auch seine eigenen
Wertkriterien, verzeichnen wir insgesamt einen Qualitätsverlust. Fast
jedes Produkt ist nur noch eines unter vielen anderen, aus denen wir
auswählen; ein jedes trägt seine eigene Rechtfertigung in sich. Der
Wert wird dadurch relativiert, und oft genug liegt der Grund für einen
Kauf oder für die Suche nach etwas Neuem gar nicht im Wert des
Produkts. Grammatikregeln, die uns eine Vorstellung von der Ordnung
und der Qualität des Schriftgebrauchs vermittelten, sind auf Produkte
nicht anwendbar. Ebenso waren unsere Moralvorstellungen in die
Sprache eingebettet und durch Schrift und Bildung getragen. Die
Moralvorstellungen, die in den partiellen Alphabetismen der
miteinander konkurrierenden Produkte verkörpert sind, wollen den
Konsumenten nicht mehr als religiöse oder ethische Prinzipien
erscheinen, sondern allenfalls als Rechtfertigung für politischen Einfluß.
Über bestimmte Regulierungen des Marktes bringt sich die Politik als
Selbstbedienungsfaktor in die Handelsbeziehungen ein.
Handel und Schriftkultur
Früher haben die kleinen Geschäfte in unserer Nachbarschaft nicht nur
unseren täglichen Bedarf abgedeckt, sondern waren gleichzeitig
Kommunikationszentren. Ein Supermarkt muß sich an
Lagerkapazitäten und optimaler Raumnutzung, an schnellem
Warendurchgang und einer relativ geringen Verdienstspanne am
einzelnen Produkt orientieren: Hier sind Kommunikation und Gespräch
kontraproduktiv. Versandhäuser und elektronische Bestellung haben
das Gespräch völlig erübrigt. Sie operieren jenseits von Schriftlichkeit
und Schriftkultur und jenseits von menschlicher Interaktion. Die
Handelsabläufe sind auf ein Minimum reduziert: Auswahl, Bestätigung,
Angabe der Kreditkarte oder ihre automatische Erkennung und
Bestätigung durch einen Netzwerkservice.
Die auf der Schriftkultur basierenden Handelsformen haben alle
Merkmale der geschriebenen Sprache und des Lesens erfordert, so weit
sie sich auf diese Transaktion bezogen. Die Schriftkultur trug dazu bei,
daß die Bedürfnisse breiter ausgefächert und die Wünsche genauer
artikuliert wurden, dementsprechend konnten sich die Märkte
entwickeln und eine bis dahin nicht gekannte Effizienz erreichen. Die
dafür nötige Ausbildung und das Verbot von Kinderarbeit verkürzten
einerseits den produktiven Teil des menschlichen Lebens, andererseits
wurde dessen Effizienz durch die aus der Schriftkultur hervorgehenden
Lebensformen erhöht. Höhere Produktivität und eine breitere
Nachfrage optimierten die Marktzyklen. Seit der Zeit der phönizischen
Kaufleute haben die Schrift und die aus ihr hervorgehende Schriftkultur
ihren Beitrag geleistet zu den Strategien des Warentausches, zur
Besteuerung--die direkteste Form des politischen Eingriffs in den
Markt--und zu den regulierenden Eingriffen in die vielfältigen Formen,
in denen sich die Menschen im und durch den Markt konstituieren.
Schriftliche Verträge weckten Erwartungen bezüglich einer
weitergehenden, allgemeineren Planung auf der Grundlage der
Schriftlichkeit.
Zwischen der Gewinnung und Verarbeitung von Rohmaterialien und
dem Verkauf und Konsum eines Produktes sind viele Ebenen
geschaltet. Auf jeder Ebene ist eine andere Sprache wirksam,
manchmal sehr konkret, bisweilen sehr abstrakt. Diese Sprachen sollen
die Verarbeitungsprozesse und Handelsabläufe beschleunigen, die
Risiken reduzieren, den Profit erhöhen und die Effektivität weltweiter
Handelsbeziehungen sichern. Ohne negativen Einfluß auf die Effizienz
der Vermittlung können diese neuen Handelsformen jedoch nicht mehr
im Zentralismus einer Schriftkultur befangen bleiben. Die Ergebnisse
einer 70jährigen Planwirtschaft in der Sowjetunion und ihrer
Satellitenstaaten--allesamt hochgebildete Gesellschaften--ist hierfür ein
sichtbarer Beweis. Die Geschwindigkeit der heutigen Handelsabläufe
und der parallele Verlauf der Verhandlungen erfordern Sprachen von
optimaler Funktionalität und minimaler Ambiguität. Manche
Transaktionen müssen auf visuelle Argumente zurückgreifen, die über
die Möglichkeiten der Telekonferenz weit hinausgehen. Produkte und
Verfahren werden noch im Verlauf der Verhandlungen durch die
interaktive Verknüpfung aller am Design, an der Herstellung und an der
Vermarktung Beteiligten modifiziert.
Die
Continue reading on your phone by scaning this QR Code
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.