den jeweiligen Platz ihres Lebens und ihrer Arbeit, sondern an die ganze Welt.
Das allumfassende System der Kultur brach in viele Teilsysteme auf, und zwar keinesfalls nur in die von C. P. Snow beschriebenen zwei Kulturen der Naturwissenschaften und der Geisteswissenschaften. Die Marktmechanismen befreien sich zunehmend von den Konventionen der Schriftkultur. Wo immer schriftkulturelle Normen und Regelungen diese Emanzipation verhindern wollen--etwa durch Ma?nahmen der Regierung, b��rokratische Vorschriften von Beh?rden, durch Milit?r und Justiz--bezahlen wir daf��r mit geringerer Effizienz. Wie sehr Europa auch immer vereint sein wird, wenn sich die Mitgliedsstaaten nicht von den ihre Lebensf?higkeit beeintr?chtigenden schriftkulturellen Zw?ngen befreien, werden die anstehenden Konflikte nicht bew?ltigt, und die m?glichen L?sungen r��cken in weite Ferne.
Eine letzte Bemerkung: Die Publikationsindustrie der Wissenschaft kann noch immer nicht begreifen, da? jemand einen Gedanken findet, der nicht auf einem Zitat beruht. Im Einklang mit der Autorit?tsfixierung der Schriftkultur habe ich all jene Werke angef��hrt, die sich in irgendeiner Weise auf den Inhalt dieses Buches ausgewirkt haben. Nur sehr wenige werden im Text selbst erw?hnt. Ich habe mir erlaubt, der Entwicklung meines Gedankengangs Priorit?t vor den stereotypen Fu?notenverweisen einzur?umen. Das soll mich jedoch nicht daran hindern, neben Leibniz und Peirce den Einflu? zahlreicher weiterer Gelehrter anzuerkennen, insbesondere von Humberto Maturana, Terry Winograd, George Lakoff, Lotfi Zadeh, Hans Magnus Enzensberger, George Steiner, Marshall McLuhan, Ivan Illich, Jurij M. Lotman und sogar Jean Baudrillard, dem Essayisten des postindustriellen Zeitalters. Wenn ich irgend jemanden ungenau wiedergebe, geschieht dies nicht aus Mi?achtung seines Werks. In der Verfolgung des eigenen Erkenntnisinteresses und der eigenen Argumentation habe ich von ihren Gedanken eingebaut, was mir ein brauchbarer Baustein in meinem Gedankengeb?ude zu sein schien. F��r Entwurf und Bauweise trage allein ich die Verantwortung und stelle mich gern der Kritik. Das mindert nicht im geringsten meinen Dank an all jene, deren Fingerabdr��cke auf manchen Bausteinen zu erkennen sind.
In den f��nfzehn Jahren, in denen ich an diesem Buch gearbeitet habe, sind viele der von mir diskutierten Entwicklungen f��r jeden erkennbar eingetreten. Aber ich bin alles andere als ungl��cklich oder ��berrascht zu sehen, da? sich die Realit?t ver?ndert hat, noch bevor dieses Buch erscheinen konnte. Als ich die Gedanken, die schlie?lich in dieses Buch eingingen, erstmals mit Studenten diskutierte, in Vortr?gen vorstellte und vor politischen, administrativen oder wissenschaftlichen Kreisen ver?ffentlichte, hatte das Internet noch nicht die B?rse bestimmt, waren die B��cher ��ber den Zukunftsschock mit ihren sch?umenden Prophezeiungen noch nicht erschienen und hatte noch kein Unternehmen das gro?e Geld mit den Multimedien gemacht. Das Buch sollte indes nicht nur Vorg?nge und Tendenzen beschreiben, sondern auch ein Programm f��r praktisches Handeln entwickeln. Deshalb widme ich mich nach den theoretischen Teilen angewandten Fragestellungen. (In der deutschen Fassung wurden die Teile, die dem neuen Status der Familie, der Sexualit?t, dem Kochen und Essen sowie der Kunst und Literatur gewidmet sind, nicht ��bernommen). Abschlie?end versuche ich praktische Ma?nahmen vorzuschlagen, die sich als Alternativen zu den eingetretenen Pfaden verstehen. Ich w��rde es in der Tat gern sehen, wenn man meine Vorschl?ge pr��fen und anwenden, ��bernehmen und weiterentwickeln w��rde (ob unter W��rdigung meiner Urheberschaft oder nicht!). Und lieber w��rde ich eine kritische oder ablehnende Rezeption dieses Buches in Kauf nehmen, als die Tatsache, da? es unbemerkt bliebe.
BUCH I.
Kapitel 1:
Die Kluft zwischen Gestern und Morgen Kontrastfiguren
Heutzutage wird an einem einzigen Tag mehr Information produziert als in den vergangenen 300 Jahren zusammen. Die Bedeutung dieser trockenen Zahlen aus dem Bereich der Datenverarbeitung wollen wir an einem Beispiel verdeutlichen.
Die Friseurin Zizi und ihre Freunde vertreten den heutigen Zeitgeist und die lesef?hige Bev?lkerung mit durchschnittlicher Schulbildung. Hans Magnus Enzensberger vergleicht sie in seinen "Gesammelten Zerstreuungen" mit Pascal, der seine Arbeit ��ber die Kegelschnitte als 16j?hriger ver?ffentlicht hatte, mit Hugo Grotius, der im Alter von 15 Jahren seinen Hochschulabschlu? erwarb, und mit Melanchthon, der bereits mit zw?lf Jahren an der ber��hmten Heidelberger Universit?t eingeschrieben war. Zizi wei?, wo es langgeht. Sie ist wie eine leibhaftige Internetadresse: mehr Verbindungen als Inhalte, st?ndig im Aufbau begriffen. Sie beschreitet viele neue Wege, keiner wird beendet. ?ffentliche Mittel sichern ihr Wohlergehen, sie ist im Genu? aller Formen der Sozialhilfe, die die Gesellschaft zu bieten hat. Zizi parliert ��ber Steuern, ��ber Figuren aus Groschenheften und Fernsehserien oder ��ber Personen aus ihrem letzten Urlaub. Ihre Rede besteht aus Klischees aus dem Mund der allseits bewunderten Alltagshelden. Ihr Freund, der 34j?hrige Bruno G., hat einen Universit?tsabschlu? in politischer Wissenschaft, verdient sein Geld als Taxifahrer und ist sich ��ber seine weiteren Lebensziele v?llig im unklaren. Er kann die deutschen Fu?ballmeister seit 1936 auswendig hersagen, kennt die namentliche Aufstellung jeder Mannschaft und jedes Spielergebnis auswendig und wei? genau, welcher Trainer wann gefeuert wurde. Melanchthon lernte Lesen, Schreiben, Latein, Griechisch und Theologie. Er kannte zahlreiche Stellen aus der Bibel und aus den Werken antiker Schriftsteller auswendig. Seine Welt war klein. Um sie zu erkl?ren, brauchte man weder Mathematik noch Physik, sondern nur Philosophie. Da wir Melanchthon weder einer Multiple-choice-Pr��fung
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