Im Sonnenschein | Page 2

Theodor W. Storm
ließ die Feder fallen und warf sich an seine
Brust, daß sich ein leichtes Puderwölkchen über ihren Köpfen erhob.
Sie strich mit der Hand über seine glänzend schwarzen Haare. »Wie
eitel du bist!« sagte sie, indem sie den schönen Mann mit dem
Ausdruck wohlgefälligen Stolzes betrachtete.
Von der Stadt herüber kam der Schall einer Militärmusik. Die Augen
des jungen Kapitäns leuchteten. »Das ist mein Regiment!« sagte er und
hielt das Mädchen mit beiden Armen fest.
Sie bog sich lächelnd mit dem Oberkörper von ihm ab. »Es hilft dir
aber alles nicht!«
»Was soll denn daraus werden?«
Sie hob sich auf den Fußspitzen zu ihm heran und sagte: »Eine
Hochzeit!«
»Aber die Firma, Fränzchen!«
-- »Ich bin meines Vaters Tochter.« Und sie sah ihn mit ihren klugen
Augen an.
In diesem Augenblick drang, in scheinbar unmittelbarer Nähe, vom
obern Stockwerke des Hauses der Laut einer harten Stimme zu ihnen
herüber. Die Stare flogen schreiend durch den Garten; der junge
Offizier, wie in unwillkürlicher Bewegung, schloß das Mädchen fester
in seine Arme. »Was hast du?« sagte sie. »Die alten Herren haben die
erste Partie gespielt; nun stehen sie am Fenster, und Papa macht das
Wetter für die nächste Woche.«

Er sah durch die Tür in den sonnbeschienenen Garten hinaus. »Ich habe
dich,« sagte er. »Es darf nicht anders werden.«
Sie wiegte schweigend einigemal den Kopf; dann machte sie sich los
und drängte ihn gegen die Tür. »Geh nun!« sagte sie. »Ich komme bald;
ich laß dich nicht allein.«
Er faßte ihr zartes Gesichtchen in seine Hände und küßte sie. Dann ging
er zur Tür hinaus und seitwärts den Steig hinauf; an dem Ligusterzaun
entlang, der das tiefere Flußufer von dem Garten trennte. So, während
seine Augen dem unaufhaltsamen Vorüberströmen des Wassers folgten,
gelangte er an einen Platz, wo das marmorne Bild einer Flora inmitten
sauber geschorener Buchsbaumarabesken stand. Die zwischen den
Schnörkeln eingelegten Porzellanscherben und Glaskorallenschnüre
leuchteten zierlich aus dem Grün hervor; ein scharfes Arom erfüllte die
Luft, untermischt zuweilen mit dem Duft der Provinzrosen, die hier zu
Ende des Steiges an der Gartenmauer standen. In der Ecke zwischen
diesem und dem Ligusterzaun war eine Laube, tief verschattet von
wucherndem Geißblatt. Der Kapitän schnallte seinen Degen ab und
setzte sich auf die kleine Bank. Dann begann er, mit der Spitze seines
Rohrstocks einen Buchstaben um den andern in den Boden zu zeichnen,
die er immer wieder, als könne ein Geheimnis durch sie verraten
werden, bis auf den letzten Zug zerstörte. So trieb er es eine Zeitlang,
bis seine Augen an dem Schatten einer Geißblattranke haften blieben,
an deren Ende er die feinen Röhren der Blüte deutlich zu erkennen
vermochte. Bald im längeren Betrachten bemerkte er daran den
Schatten eines Lebendigen, der langsam an dem Stengel hinaufkroch.
Er sah dem eine Weile zu; dann aber stand er auf und blickte über sich
in das Gewirr der Ranken, um die gefährdete Blüte zu entdecken und
das Ungeziefer herunterzuschlagen. Aber die Sonnenstrahlen brachen
sich zwischen den Blättern und blendeten ihn; er mußte die Augen
abwenden. -- Als er sich wieder auf die Bank gesetzt hatte, sah er wie
zuvor die Ranke scharf und deutlich auf dem sonnigen Boden liegen;
nur zwischen den schlanken Kelchen der Schattenblüte haftete jetzt
eine dunkle Masse, die von Zeit zu Zeit durch zuckende Bewegungen
eine emsige tierische Tätigkeit verriet. Er wußte nicht, wie es ihn
überkam, er stieß nach dem arbeitenden Klumpen mit seinem

Rohrstock; aber über ihm ging der Sommerwind durch das Gezweige,
und die Schatten huschten ineinander und entwischten ihm. Er wurde
eifrig; er spreizte die Knie auseinander und wollte eben zu einem neuen
Stoße ausholen; da trat die Spitze eines seidenen Mädchenschuhs ihm
in die Sonne.
Er blickte auf, Franziska stand vor ihm, die Feder hinterm Ohr, deren
weiße Fahne wie ein Taubenfittig von dem gepuderten Köpfchen
abstand. Sie lachte eine ganze Weile; unhörbar erst, man sah es nur. Er
lehnte sich zurück und blickte sie voll Entzücken an; sie lachte so leicht,
so mühelos, es lief über sie hin wie ein Windhauch über den See; so
lachte niemand anders.
»Was treibst du da!« rief sie endlich.
»Dummes Zeug, Fränzchen; ich scharmutziere mit den Schatten.«
»Das kannst du bleiben lassen.«
Er wollte ihre beiden Hände fassen; sie aber, die in diesem Augenblick
sich nach der Gartenmauer umgesehen, zog ein Messerchen aus ihrer
Tasche und schnitt damit die aufgeblühten Rosen aus den Büschen.
»Ich werde Potpourri machen auf den Abend,« sagte sie, während sie
die Rosen an der Erde sorgfältig zu einem Häuflein zusammenlegte.
Er sah geduldig zu; er wußte schon, man mußte sie gewähren lassen.
»Und nun?« fragte er, nachdem sie das Messer wieder eingeschlagen
und in den Schlitz ihrer Robe hatte gleiten lassen.
»Nun? Konstantin! -- -- Beisammen sein und die Stunden schlagen
hören.« -- Und so geschah es. -- Vor ihnen drüben in dem
Zitronenbirnbaum flog der
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