Im Schatten der Titanen | Page 9

Lily Braun
der Glanz der üppigen Feste lie?en Jerome alles Leid vergessen und seiner Jugend schrankenlos froh werden. Bilder und Berichte der Zeit schildern ihn, wie er in wei?em, goldgesticktem Sammetkostüm, die wei?en, wallenden, von blitzender Brillantagraffe gehaltenen Federn auf dem Sammetbarett, das feingeschnittene dunkle Gesicht mit den gro?en gl?nzenden Augen von strahlendem Frohsinn erhellt, alle Herzen im Sturm zu erobern wu?te. Er und Pauline, seine Schwester, das waren im Kreise dieser napoleonischen Olympier die G?tter der Jugend und Sch?nheit, und die seligen Zeiten, da er als Knabe, von allen verw?hnt, unter den Zimmern des gro?en Bruders wohnte, schienen wiedergekehrt zu sein.
Voll neuer Hoffnungen und frischen Tatendrangs kehrte er nach Kassel zurück. Der Plan eines Kanals zwischen Elbe und Weser wurde ausgearbeitet, die Anlage eines Kriegshafens in Kuxhaven begonnen, wichtige und kostspielige Regulierungen der Elbe- und Wesermündungen in Angriff genommen. Da traf ihn ein neuer Schlag: Napoleon nahm den wertvollsten Teil der dem K?nigreich Westfalen inzwischen neu einverleibten hannoverschen Lande wieder in franz?sischen Besitz und hatte auf die Vorhaltungen des nach Paris entsandten Ministers von Bülow nur die eine Antwort: "Ich nehme es, weil ich es brauche." Jerome berief seine Minister und diktierte eine Note, durch die er in sch?rfster Form als Entsch?digung für Hannover Lippe, Anhalt, Waldeck, Schwarzburg und die s?chsischen Herzogtümer verlangte. Reinhard gegenüber sprach er wieder von seiner Abdankung, die mehr und mehr ein Gebot der Ehre für ihn sei. Der kaiserliche Gesandte berichtete unverzüglich über diese Unterredung nach Paris und fügte hinzu: "Wenn jemals der K?nig mir Gelegenheit gegeben hat, die Geradheit und Sicherheit seines Geistes zu bewundern und der Vornehmheit seiner Gesinnung Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, so war es bei dieser Gelegenheit."[29] "Ich glaube, h?tte Jerome eine Armee von 300000 Mann, er würde mir den Krieg erkl?ren!" rief Napoleon beim Empfang dieser Nachrichten.[30]
Aber so gro? auch Jeromes Entrüstung, so tief sein Stolz auch verletzt war -- eine Empfindung behielt zuletzt bei ihm immer die Oberhand: die Bewunderung und Ehrfurcht vor der Gr??e seines Bruders. Mitten im h?rtesten Winter nach der Zurücknahme von Hannover zog er sich, um seinen Schmerz in der Stille zu überwinden, auf das Land zurück und schrieb von da aus an den Kaiser: "Entspricht es Ew. Majest?t politischen Absichten, Westfalen mit dem Kaiserreiche zu vereinigen, so habe ich nur den einen Wunsch, davon sofort in Kenntnis gesetzt zu werden, um nicht in die Lage zu kommen, deren Ma?nahmen, trotz des besten Willens, mich ihnen stets anzupassen, fortw?hrend zu durchkreuzen ... Ich bin aller Opfer, aller Beweise meiner Anh?nglichkeit f?hig, wenn Ew. Majest?t es verlangt. Soll ich aber weiter regieren, so kann es nur unter Bedingungen sein, die mich nicht entwürdigen."[31] Die Antwort war -- Mahnungen zur Kriegsbereitschaft, zu neuen Aushebungen, zum Unterhalt neuer franz?sischer Truppendurchzüge. Mit einer Rücksichtslosigkeit, die alles Vorhergegangene übertraf, führte der Marschall Davout, Jeromes alter Feind, seine Armee durch Westfalen; in Kassel einziehend, ignorierte er den K?nig, im ganzen Reiche hausten seine Soldaten wie in Feindesland. Und Napoleon schien blind und taub zu sein für das drohende Schicksal, das sich langsam vorbereitete, für die z?hneknirschende Wut, die die Faust noch in der Tasche ballte, aber schon heimlich nach offenen Waffen Umschau hielt. Jerome sah das Unheil wachsen, und als einziger vielleicht, der es damals wagte, dem Imperator mit einer selbst?ndigen Meinung gegenüberzutreten, schrieb er ihm am 5. Dezember 1811 folgenden denkwürdigen Brief:[32]
"In einer Lage, die mich zum ?u?ersten Vorposten Frankreichs macht, durch Neigung und Pflicht dazu getrieben, alles zu beobachten, was sich auf Ew. Majest?t Interessen beziehen kann, ist es, denke ich, richtig und notwendig, Sie mit aller Offenheit über das zu informieren, was in meiner N?he vor sich geht. Ich beurteile die Ereignisse vollkommen ruhig; ich sehe der Gefahr entgegen, ohne sie zu fürchten; aber ich mu? Ew. Majest?t die Wahrheit sagen, und ich hoffe, Sie vertrauen mir genug, um sich auf meine Art, die Dinge zu sehen, verlassen zu k?nnen.
Ich wei? nicht, wie Ihre Gener?le und Ihre Agenten Ihnen die jetzige Situation in Deutschland darstellen; wenn sie Ihnen von Unterwerfung, von Ruhe und Schw?che sprechen, so werden Sie von ihnen get?uscht und betrogen. Die G?rung ist aufs h?chste gestiegen; die verwegensten Hoffnungen werden unterhalten und mit Begeisterung gro?gezogen; man h?lt sich an das Beispiel Spaniens, und wenn der Krieg ausbrechen sollte, so wird das ganze Land vom Rhein bis zur Oder der Herd einer ausgedehnten und tatkr?ftigen Emp?rung sein.
Die Hauptursache dieser gef?hrlichen Bewegungen ist nicht allein der Ha? gegen die Franzosen und der Unwille gegen das Joch der Fremdherrschaft, sie liegt noch weit mehr in den unglücklichen Zeiten, in dem g?nzlichen Ruin aller Klassen, in dem überm??igen Druck, den die Abgaben, die Kriegskontributionen, der Unterhalt der Truppen, die Durchzüge der Soldaten und die unausgesetzt sich wiederholenden Bel?stigungen aller Art ausüben. Es sind Ausbrüche der Verzweiflung von den V?lkern zu besorgen, die nichts mehr zu verlieren haben, weil man ihnen
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