Im Schatten der Titanen | Page 6

Lily Braun
Abwesenheit, die ihn eingesponnen hatten in stilles Liebesglück, hatten den Bruder, hatten Frankreich emporgeführt zum Gipfel des Weltruhms. Konnte sein eigenes Geschick, sein Kampf um Anerkennung seiner Liebe, jenem Manne, der die Geschicke der V?lker in seinen H?nden hielt und um die Kronen Europas k?mpfte, anders erscheinen als wie das Spiel eines Kindes? Im Augenblick, da Napoleon sich zu Mailand Italiens Krone aufs Haupt setzte und zum Ged?chtnis der Schlacht von Marengo die B?llerschüsse krachten, die Glocken l?uteten, die Fahnen wehten und Tausende und aber Tausende dem Rausch der Festesfreude sich hingaben, betrat Jerome -- er, der den S?bel von Marengo trug! --ein Unbekannter, ein Ausgeschlossener, den Boden Italiens. In Alessandria empfing ihn der Kaiser. Weit mehr als der Zorn ihn geschreckt haben würde, -- er h?tte vielleicht nur seinen Stolz und seinen Eigensinn geweckt --, mu?te ihn die Z?rtlichkeit Napoleons erschüttern. Alle sah er wieder, die Brüder, die Freunde, geschmückt mit dem immergrünen Lorbeer des Ruhms, w?hrend in seinen H?nden die welkenden Rosen der Liebe schon entbl?tterten. Er stand vor der Wahl, -- denn unerbittlich blieb der Kaiser --, auf der einen Seite der Weg empor zu den H?hen der Menschheit, zu h?chsten Siegespreisen, zur K?nigskrone, auf der anderen das Leben im D?mmerschein stillen Familienglücks, ohne Zweck und Ziel. So sehr sich ihm auch das Herz zusammenkrampfte, -- wie er Elisabeth liebte, dafür zeugen seine Briefe aus jener Zeit --, er w?hlte den Ruhm, nicht die Liebe. Welch ein Jüngling von 21 Jahren h?tte anders zu w?hlen vermocht?![11]
Um die Stimme des Herzens zu übert?nen und nachzuholen, was er vers?umt hatte, stürzte er sich mit Feuereifer in die Aufgabe, die ihm gestellt wurde.
Im Sommer des Jahres 1806 kommandierte er in der Flotte des Admirals Willaumez den "Veteran" und nahm mit ihm von Brest aus neun englische Schiffe die zwei Kriegsschiffe eskortierten. Auf der H?he von Concarneau erreichte ihn die englische ihn verfolgende Flotte; die Situation war verzweifelt; auf der einen Seite der überlegene Feind, auf der andren Sandb?nke und Riffe. Entschlossen, eher zu sterben als sich zu ergeben, ergriff Jerome der Mut der Verzweiflung, und unter den Augen der englischen Flotte vollzog sich jene Tat unwahrscheinlicher Tollkühnheit, von der ein englisches Journal der Zeit folgendes berichtete: "Jerome Napoleon hat allen unseren Ma?regeln zu trotzen gewu?t und alle Anstrengungen unserer braven Matrosen nutzlos gemacht; da? er den Hafen sicher und ohne Verluste erreichte, ist ein neues Beispiel für das unglaubliche Glück, das sich an die Schritte der Bonapartes zu heften scheint und alle ihre Operationen begleitet."[12]
Nun erst verlieh Napoleon dem Heimkehrenden den Titel eines franz?sischen Prinzen, und als Anerkennung seiner Tapferkeit den Rang eines Kontreadmirals. Als h?here Auszeichnung noch empfand es Jerome, da? Napoleon ihm für den bevorstehenden preu?ischen Feldzug die bayrische und württembergische Division anvertraute und es ihm nun endlich verg?nnt war, unter den Augen des bewunderten kaiserlichen Bruders zu fechten. Jerome bew?hrte sich. Trotz seiner 24 Jahre wu?te er sich den Respekt der Truppen und ihrer Führer zu gewinnen, aber mehr noch das Herz der Soldaten durch seine Sorge für ihr Wohl.[13] Am Tage, als die letzte schlesische Stadt vor ihm kapitulierte, erreichte ihn die Nachricht vom Tilsiter Waffenstillstand. Der Friede folgte. Napoleon hatte Preu?en unterworfen und seinem Bruder ein K?nigreich erobert. Mit ein paar Federstrichen warf er die L?nder links von der Elbe zu einem Staat zusammen und ernannte Jerome zum K?nig von Westfalen; mit ein paar gewechselten Briefen gewann er ihm in Katharina, der Tochter des Souver?ns von Württemberg, die K?nigin. Das Herz der also durch kaiserliche Allmacht Vereinigten wurde nicht gefragt, und als das blonde, rosige Prinze?lein aus altem Fürstenstamm dem dunkeln, blassen Jüngling aus dem Geschlecht der korsischen Usurpatoren gegenübertrat, da wu?te es noch nicht, wie rasch, wie dauernd der Sieggewohnte es erobern würde.
Mit dem ganzen Prunk des kaiserlichen Hofes, in einer Gesellschaft, in der Vertreter alter Dynastien sich mit den neugeschaffenen Aristokraten, Fürsten und K?nigen von Napoleons Gnaden vereinigten, wurde am 28. August 1807 die Hochzeit des jungen Paares gefeiert. Aber die bunten Lichter, die ganz Paris am Abend erleuchten sollten, verl?schten in str?mendem Wolkenbruch, und die Raketen, die bestimmt gewesen waren, prasselnd gen Himmel zu steigen, verstummten vor dem Grollen des Donners ...
Inzwischen war die Organisation des jungen K?nigreichs erfolgt, mit dem Code Napoléon die neue Administration im Lande eingeführt, zum Empfang des Herrscherpaares alles vorbereitet. Mit einem Brief, der dem Bruder die Prinzipien, nach denen er regieren sollte, nochmals auseinandersetzte, entlie? ihn Napoleon. "Schenke denen kein Geh?r, die Dir sagen werden, da? Deine V?lker, an Sklaverei gew?hnt, unserer Gesetze nicht würdig sind," so hei?t es darin, "das ist nicht wahr. Sie erwarten vielmehr mit Ungeduld, da? ein jeder, den das Talent dazu bef?higt, -- nicht nur der Adlige --, zu jeder Stellung Zugang finden kann, da? jede Form der Dienstbarkeit und Abh?ngigkeit ein für allemal abgeschafft werde. Ich baue, was die Sicherung
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