Hermann und Dorothea | Page 2

Johann Wolfgang von Goethe
darauf der edle verst?ndige Pfarrherr, Er, die Zierde der Stadt, ein Jüngling n?her dem Manne. Dieser kannte das Leben und kannte der H?rer Bedürfnis, War vom hohen Werte der heiligen Schriften durchdrungen, Die uns der Menschen Geschick enthüllen und ihre Gesinnung; Und so kannt' er auch wohl die besten weltlichen Schriften. Dieser sprach: "Ich tadle nicht gern, was immer dem Menschen Für unsch?dliche Triebe die gute Mutter Natur gab; Denn was Verstand und Vernunft nicht immer verm?gen, vermag oft Solch ein glücklicher Hang, der unwiderstehlich uns leitet. Lockte die Neugier nicht den Menschen mit heftigen Reizen, Sagt! erführ' er wohl je, wie sch?n sich die weltlichen Dinge Gegeneinander verhalten? Denn erst verlangt er das Neue, Suchet das Nützliche dann mit unermüdetem Flei?e; Endlich begehrt er das Gute, das ihn erhebet und wert macht. In der Jugend ist ihm ein froher Gef?hrte der Leichtsinn, Der die Gefahr ihm verbirgt und heilsam geschwinde die Spuren Tilget des schmerzlichen übels, sobald es nur irgend vorbeizog. Freilich ist er zu preisen, der Mann, dem in reiferen Jahren Sich der gesetzte Verstand aus solchem Frohsinn entwickelt, Der im Glück wie im Unglück sich eifrig und t?tig bestrebet; Denn das Gute bringt er hervor und ersetzet den Schaden."
Freundlich begann sogleich die ungeduldige Hausfrau: "Saget uns, was ihr gesehn; denn das begehrt' ich zu wissen."
"Schwerlich", versetzte darauf der Apotheker mit Nachdruck, "Werd ich so bald mich freun nach dem, was ich alles erfahren. Und wer erz?hlet es wohl, das mannigfaltigste Elend! Schon von ferne sahn wir den Staub, noch eh' wir die Wiesen Abw?rts kamen; der Zug war schon von Hügel zu Hügel Unabsehlich dahin, man konnte wenig erkennen. Als wir nun aber den Weg, der quer durchs Tal geht, erreichten, War Gedr?ng und Getümmel noch gro? der Wandrer und Wagen. Leider sahen wir noch genug der Armen vorbeiziehn, Konnten einzeln erfahren, wie bitter die schmerzliche Flucht sei, Und wie froh das Gefühl des eilig geretteten Lebens. Traurig war es zu sehn, die mannigfaltige Habe, Die ein Haus nur verbirgt, das wohlversehne, und die ein Guter Wirt umher an die rechten Stellen gesetzt hat, Immer bereit zum Gebrauche, denn alles ist n?tig und nützlich, Nun zu sehen das alles, auf mancherlei Wagen und Karren Durcheinander geladen, mit übereilung geflüchtet. über dem Schranke lieget das Sieb und die wollene Decke, In dem Backtrog das Bett und das Leintuch über dem Spiegel. Ach! und es nimmt die Gefahr, wie wir beim Brande vor zwanzig Jahren auch wohl gesehn, dem Menschen alle Besinnung, Da? er das Unbedeutende fa?t und das Teure zurückl??t. Also führten auch hier, mit unbesonnener Sorgfalt, Schlechte Dinge sie fort, die Ochsen und Pferde beschwerend: Alte Bretter und F?sser, den G?nsestall und den K?fig. Auch so keuchten die Weiber und Kinder, mit Bündeln sich schleppend, Unter K?rben und Butten voll Sachen keines Gebrauches; Denn es verl??t der Mensch so ungern das Letzte der Habe. Und so zog auf dem staubigen Weg der dr?ngende Zug fort, Ordnungslos und verwirrt. Mit schw?cheren Tieren der eine Wünschte langsam zu fahren, ein andrer emsig zu eilen. Da entstand ein Geschrei der gequetschten Weiber und Kinder, Und ein Bl?ken des Viehes, dazwischen der Hunde Gebelfer, Und ein Wehlaut der Alten und Kranken, die hoch auf dem schweren übergepackten Wagen auf Betten sa?en und schwankten. Aber, aus dem Gleise gedr?ngt, nach dem Rande des Hochwegs Irrte das knarrende Rad; es stürzt' in den Graben das Fuhrwerk, Umgeschlagen, und weithin entstürzten im Schwunge die Menschen, Mit entsetzlichem Schrein, in das Feld hin, aber doch glücklich. Sp?ter stürzten die Kasten und fielen n?her dem Wagen. Wahrlich, wer im Fallen sie sah, der erwartete nun sie Unter der Last der Kisten und Schr?nke zerschmettert zu schauen. Und so lag zerbrochen der Wagen und hülflos die Menschen; Denn die übrigen gingen und zogen eilig vorüber, Nur sich selber bedenkend und hingerissen vom Strome. Und wir eilten hinzu und fanden die Kranken und Alten, Die zu Haus und im Bett schon kaum ihr dauerndes Leiden Trügen, hier auf dem Boden besch?digt ?chzen und jammern, Von der Sonne verbrannt und erstickt vom wogenden Staube."
Und es sagte darauf gerührt der menschliche Hauswirt: "M?ge doch Hermann sie treffen und sie erquicken und kleiden. Ungern würd' ich sie sehn; mich schmerzt der Anblick des Jammers. Schon von dem ersten Bericht so gro?er Leiden gerühret, Schickten wir eilend ein Scherflein von unserm überflu?, da? nur Einige würden gest?rkt, und schienen uns selber beruhigt. Aber la?t uns nicht mehr die traurigen Bilder erneuern; Denn es beschleichet die Furcht gar bald die Herzen der Menschen, Und die Sorge, die mehr als selbst mir das übel verha?t ist. Tretet herein in den hinteren Raum, das kühlere S?lchen. Nie scheint Sonne dahin, nie dringet w?rmere Luft dort Durch die st?rkeren Mauern; und Mütterchen bringt uns ein Gl?schen Dreiundachtziger her, damit wir die Grillen vertreiben. Hier ist nicht
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 25
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.