Heidis Lehr - und Wanderjahre | Page 4

Johanna Spyri
und ich im Bad drunten etwas verdienen wollte, nahm ich es mit und gab es der alten Ursel oben im Pf?fferserdorf in die Kost. Ich konnte auch im Winter im Bad bleiben, es gab allerhand Arbeit, weil ich zu n?hen und flicken verstehe, und früh im Frühling kam die Herrschaft aus Frankfurt wieder, die ich voriges Jahr bedient hatte und die mich mitnehmen will; übermorgen reisen wir ab, und der Dienst ist gut, das kann ich dir sagen."
"Und dem Alten da droben willst du nun das Kind übergeben? Es nimmt mich nur wunder, was du denkst, Dete", sagte die Barbel vorwurfsvoll.
"Was meinst du denn?", gab Dete zurück. "Ich habe das Meinige an dem Kinde getan, und was sollte ich denn mit ihm machen? Ich denke, ich kann eines, das erst fünf Jahre alt wird, nicht mit nach Frankfurt nehmen. Aber wohin gehst du eigentlich, Barbel, wir sind ja schon halbwegs auf der Alm?"
"Ich bin auch gleich da, wo ich hinmuss", entgegnete die Barbel; "ich habe mit der Gei?enpeterin zu reden, sie spinnt mir im Winter. So leb wohl, Dete, mit Glück!"
Dete reichte der Begleiterin die Hand und blieb stehen, w?hrend diese der kleinen, dunkelbraunen Almhütte zuging, die einige Schritte seitw?rts vom Pfad in einer Mulde stand, wo sie vor dem Bergwind ziemlich geschützt war. Die Hütte stand auf der halben H?he der Alm, vom D?rfli aus gerechnet, und dass sie in einer kleinen Vertiefung des Berges stand, war gut, denn sie sah so bauf?llig und verfallen aus, dass es auch so noch ein gef?hrliches Darinwohnen sein musste, wenn der F?hnwind so m?chtig über die Berge strich, dass alles an der Hütte klapperte, Türen und Fenster, und alle die morschen Balken zitterten und krachten. H?tte die Hütte an solchen Tagen oben auf der Alm gestanden, sie w?re unverzüglich ins Tal hinabgeweht worden.
Hier wohnte der Gei?enpeter, der elfj?hrige Bube, der jeden Morgen unten im D?rfli die Gei?en holte, um sie hoch auf die Alm hinaufzutreiben, um sie da die kurzen kr?ftigen Kr?uter fressen zu lassen bis zum Abend; dann sprang der Peter mit den leichtfü?igen Tierchen wieder herunter, tat, im D?rfli angekommen, einen schrillen Pfiff durch die Finger, und jeder Besitzer holte seine Gei? auf dem Platz. Meistens kamen kleine Buben und M?dchen, denn die friedlichen Gei?en waren nicht zu fürchten, und das war denn den ganzen Sommer durch die einzige Zeit am Tage, da der Peter mit seinesgleichen verkehrte; sonst lebte er nur mit den Gei?en. Er hatte zwar daheim seine Mutter und die blinde Gro?mutter; aber da er immer am Morgen sehr früh fortmusste und am Abend vom D?rfli sp?t heimkam, weil er sich da noch so lange als m?glich mit den Kindern unterhalten musste, so verbrachte er daheim nur gerade so viel Zeit, um am Morgen seine Milch und Brot und am Abend ebendasselbe hinunterzuschlucken und dann sich aufs Ohr zu legen und zu schlafen. Sein Vater, der auch schon der Gei?enpeter genannt worden war, weil er in früheren Jahren in demselben Berufe gestanden hatte, war vor einigen Jahren beim Holzf?llen verunglückt. Seine Mutter, die zwar Brigitte hie?, wurde von jedermann um des Zusammenhangs willen die Gei?enpeterin genannt, und die blinde Gro?mutter kannten weit und breit Alt und Jung nur unter dem Namen Gro?mutter.
Die Dete hatte wohl zehn Minuten gewartet und sich nach allen Seiten umgesehen, ob die Kinder mit den Gei?en noch nirgends zu sehen seien; als dies aber nicht der Fall war, so stieg sie noch ein wenig h?her, wo sie besser die ganze Alm bis hinunter übersehen konnte, und guckte nun von hier aus bald dahin, bald dorthin mit Zeichen gro?er Ungeduld auf dem Gesicht und in den Bewegungen. Unterdessen rückten die Kinder auf einem gro?en Umwege heran, denn der Peter wusste viele Stellen, wo allerhand Gutes an Str?uchern und Gebüschen für seine Gei?en zu nagen war; darum machte er mit seiner Herde vielerlei Wendungen auf dem Wege. Erst war das Kind mühsam nachgeklettert, in seiner schweren Rüstung vor Hitze und Unbequemlichkeit keuchend und alle Kr?fte anstrengend. Es sagte kein Wort, blickte aber unverwandt bald auf den Peter, der mit seinen nackten Fü?en und leichten H?schen ohne alle Mühe hin und her sprang, bald auf die Gei?en, die mit den dünnen, schlanken Beinchen noch leichter über Busch und Stein und steile Abh?nge hinaufkletterten. Auf einmal setzte das Kind sich auf den Boden nieder, zog mit gro?er Schnelligkeit Schuhe und Strümpfe aus, stand wieder auf, zog sein rotes, dickes Halstuch weg, machte sein R?ckchen auf, zog es schnell aus und hatte gleich noch eins auszuh?keln, denn die Base Dete hatte ihm das Sonntagskleidchen über das Alltagszeug angezogen, um der Kürze willen, damit niemand es tragen müsse. Blitzschnell war auch das Alltagsr?cklein weg, und nun stand das Kind im leichten Unterr?ckchen, die blo?en Arme aus den kurzen Hemd?rmelchen vergnüglich in die Luft hinausstreckend. Dann legte es sch?n alles
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