Hamlet, Prinz von Dannemark | Page 3

William Shakespeare
der Hahn, der die Trompete des Morgens ist, weke
mit seiner schmetternden, scharftönenden Gurgel den Gott des Tages
auf, und, auf sein Warnen, entfliehe in Wasser oder Feuer, Luft oder
Erde, jeder herumwandernde Geist in sein Bezirk zurük: Und daß
dieses wahr sey, beweiset was wir eben erfahren haben.
Marcellus.
Er verschwand sobald der Hahn krähete. Einige sagen,
allemal um die Zeit, wenn die Geburt unsers Erlösers gefeyert wird,
krähe der Vogel des Morgens die ganze Nacht durch: Und dann, sagen
sie, gehe kein Geist um; die Nächte seyen gesund, und die Planeten
ohne schädliche Influenzen; keine Fee könne einem beykommen, keine
Hexe habe Gewalt zu Zauber-Wirkungen; so heilig und segensvoll sey
diese Zeit.
Horatio.
Das hab ich auch gehört, und glaub es auch zum Theil. Aber
seht, der Morgen, in einen rothen Mantel eingehüllt, wandelt über jenen
emporragenden östlichen Hügel durch den Thau; wir wollen von unsrer
Wache abziehen; und wenn ihr meiner Meynung seyd, so laßt uns dem
jungen Hamlet entdeken, was wir diese Nacht gesehen haben. Ich
wollte mein Leben dran sezen, dieser Geist, so stumm er für uns ist,
wird für ihn eine Sprache bekommen. Seyd ihrs zufrieden, daß wir ihm,
aus Antrieb unsrer Liebe und Pflicht gegen ihn, Nachricht davon
geben?
Marcellus.
Thut es, ich bitte euch: Wir werden diesen Morgen schon
erfahren, wo wir ihn zur gelegensten Zeit sprechen können.
(Sie gehen ab.)
Zweyte Scene.
(Verwandelt sich in den Palast.)
(Claudius, König
von Dännemark, Gertrude die Königin, Hamlet, Polonius, Laertes,
Voltimand, Cornelius, und andre Herren vom Hofe, nebst Trabanten
und Gefolge treten auf.)

König.
Ungeachtet, bey dem noch frischen Andenken von Hamlets,
unsers theuren Bruders, Tode, sichs geziemen will, daß wir unsre
Herzen in Trauer hüllen, und das Antliz unsers ganzen Königreichs in

allgemeinen Schmerz zusammengezogen sey: So haben wir doch der
Klugheit so viel über die Natur verstattet, daß wir, unter dem gerechten
Schmerz über seinen Verlust, nicht gänzlich unsrer selbst vergessen.
Wir haben also unsre vormalige Schwester, nunmehr unsre Königin, als
die gebietende Mitregentin dieses kriegerischen Reiches, wiewol mit
niedergeschlagner Freude, das eine Auge von hochzeitlicher Freude
glänzend, das andere von Thränen
überfliessend, und mit einer in
gleichen Waag-Schalen gegen unsern Schmerz abgewognen Lust, zur
Gemahlin erkießt. Auch haben wir nicht unterlassen, uns hierinn euers
guten Raths zu bedienen, und erkennen mit gebührendem Danke, daß
ihr uns in diesem ganzen Geschäfte durch eure einsichtsvollen
Rathschläge so frey und gutwillig unterstüzt habt. Nun ist noch übrig
euch zu eröffnen, daß der junge Fortinbras, aus einer
allzuleichtsinnigen Berechnung unsrer Kräfte, oder weil er sich
vielleicht einbildet, daß der Tod unsers abgelebten Bruders unsern Staat
verrenkt und aus seiner Fassung gesezt habe, ohne einen andern
Beystand als diesen Traum eines eingebildeten Vortheils über uns, sich
hat zu Sinne kommen lassen, uns durch eine Abschikung zu behelligen,
welche nichts geringers als die Zurükgabe aller der Länder fordert, die
sein Vater, nach allen Gesezen des Kriegs-Rechts, an unsern

heldenmüthigen Bruder verlohren hatte. So viel von ihm--Nunmehr zu
uns selbst, und dem besondern Zwek der gegenwärtigen
Versammlung!-- Wir haben hier an den alten Prinzen von Norwegen,
den Oheim des jungen Fortinbras (welcher, unvermögend und
bettlägerig wie er ist, nichts von diesem Vorhaben seines Neffen weiß)
zu dem Ende
geschrieben, damit er dessen weitern Fortgang
hintertreiben möge: Es sind alle Umstände, die Anzahl seiner
angeworbnen Truppen, die Namen der angesehensten Theilnehmer
seines Vorhabens, und seine ganze Stärke hierinn enthalten: Und
nunmehr ernennen wir euch, Voltimand, und euch, wakrer Cornelius,
dem alten Norwegen diesen unsern Gruß zu überbringen. Die
persönliche Vollmacht die wir euch ertheilen, mit diesem Prinzen zu
handeln, erstrekt sich nicht weiter, als die besondern Artikel dieser

schriftlichen Instruction euch anweisen werden. Gehabt euch also wol,
und beweiset uns eure Treue durch eine schleunige Ausrichtung.
Voltimand.
Hierinn, so wie bey allen andern Gelegenheiten, werden
wir unsre Schuldigkeit thun.
König.
Wir zweifeln nicht daran; gehabt euch wol.
(Voltimand und Cornelius gehen ab.)
Und nun, Laertes, was bringt ihr uns neues? Ihr sagtet uns was von
einer Bitte. Was ist es, Laertes? Ihr könnet nichts billiges von euerm
Könige begehren, das euch versagt werden sollte. Was kanst du
verlangen, Laertes, das ich dir nicht schon bewilligen sollte, eh du es
begehrt hast? Das Haupt ist dem Herzen nicht unentbehrlicher, noch
dem Mund der Dienst der Hand, als es dein Vater dem Throne von
Dännemark ist. Was willst du haben, Laertes?
Laertes.
Mein gebietender Herr, eure gnädige Bewilligung nach
Frankreich zurükkehren zu dürfen, von wannen ich zwar aus eigner
Bewegung nach Dännemark gekommen bin, um bey Eurer Krönung
meine Schuldigkeit zu beweisen; nun aber, ich gesteh es, da diese
Pflicht erstattet ist, drehen sich alle meine Gedanken und Wünsche
wieder nach Frankreich um, und beugen sich, um Eurer Majestät
Gnädigste Erlaubniß und Vergebung zu erhalten.
König.
Habt ihr euers Vaters Einwilligung? Was sagt Polonius dazu?
Polonius.
Gnädigster Herr, er hat mir durch unablässiges Bitten
meine Erlaubniß abgedrungen; und, weil ich nicht anders konnte, so
drükte ich seinem Willen
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