Hamburgische Dramaturgie | Page 9

Gotthold Ephraim Lessing

schmeichelt, Gott werde das Herz des Aladin bewegen, daß er so
grausam mit den Christen nicht verfahre, als er ihnen gedrohet: so kann
Evander, als ein alter Mann, nicht wohl anders, als ihm die
Betrüglichkeit unsrer Hoffnungen zu Gemüte führen.
"Vertraue nicht, mein Sohn, Hoffnungen, die betriegen!"
Sein Sohn ist ein feuriger Jüngling, und in der Jugend ist man
vorzüglich geneigt, sich von der Zukunft nur das Beste zu versprechen.
"Da sie zu leichtlich glaubt, irrt muntre Jugend oft."

Doch indem besinnt er sich, daß das Alter zu dem entgegengesetzten
Fehler nicht weniger geneigt ist; er will den unverzagten Jüngling nicht
ganz niederschlagen und fähret fort:
"Das Alter quält sich selbst, weil es zu wenig hofft."
Diese Sentenzen mit einer gleichgültigen Aktion, mit einer nichts als
schönen Bewegung des Armes begleiten, würde weit schlimmer sein,
als sie ganz ohne Aktion hersagen. Die einzige ihnen angemessene
Aktion ist die, welche ihre Allgemeinheit wieder auf das Besondere
einschränkt. Die Zeile,
"Da sie zu leichtlich glaubt, irrt muntre Jugend oft"
muß in dem Tone, mit dem Gestu der väterlichen Warnung, an und
gegen den Olint gesprochen werden, weil Olint es ist, dessen
unerfahrne leichtgläubige Jugend bei dem sorgsamen Alten diese
Betrachtung veranlaßt. Die Zeile hingegen,
"Das Alter quält sich selbst, weil es zu wenig hofft"
erfordert den Ton, das Achselzucken, mit dem wir unsere eigene
Schwachheiten zu gestehen pflegen, und die Hände müssen sich
notwendig gegen die Brust ziehen, um zu bemerken, daß Evander
diesen Satz aus eigener Erfahrung habe, daß er selbst der Alte sei, von
dem er gelte.
Es ist Zeit, daß ich von dieser Ausschweifung über den Vortrag der
moralischen Stellen wieder zurückkomme. Was man Lehrreiches darin
findet, hat man lediglich den Beispielen des Herrn Ekhof zu danken;
ich habe nichts als von ihnen richtig zu abstrahieren gesucht. Wie leicht,
wie angenehm ist es, einem Künstler nachzuforschen, dem das Gute
nicht bloß gelingt, sondern der es macht!
Die Rolle der Clorinde ward von Madame Henseln gespielt, die
ohnstreitig eine von den besten Aktricen ist, welche das deutsche
Theater jemals gehabt hat. Ihr besonderer Vorzug ist eine sehr richtige
Deklamation; ein falscher Akzent wird ihr schwerlich entwischen; sie

weiß den verworrensten, holprigsten, dunke1sten Vers mit einer
Leichtigkeit, mit einer Präzision zu sagen, daß er durch ihre Stimme die
deutlichste Erklärung, den vol1ständigsten Kommentar erhält. Sie
verbindet damit nicht selten ein Raffinement, welches entweder von
einer sehr glücklichen Empfindung, oder von einer sehr richtigen
Beurteilung zeuget. Ich glaube die Liebeserklärung, welche sie dem
Olint tut, noch zu hören:
"--Erkenne mich! Ich kann nicht länger schweigen; Verstellung oder
Stolz sei niedern Seelen eigen. Olint ist in Gefahr, und ich bin außer
mir-- Bewundernd sah ich oft im Krieg und Schlacht nach dir; Mein
Herz, das vor sich selbst sich zu entdecken scheute, War wider meinen
Ruhm und meinen Stolz im Streite. Dein Unglück aber reißt die ganze
Seele hin, Und itzt erkenn' ich erst, wie klein, wie schwach ich bin. Itzt,
da dich alle die, die dich verehrten, hassen, Da du zur Pein bestimmt,
von jedermann verlassen, Verbrechern gleichgestellt, unglücklich und
ein Christ, Dem furchtbarn Tode nah, im Tod noch elend bist: Itzt wag'
ich's zu gestehn: itzt kenne meine Triebe!"
Wie frei, wie edel war dieser Ausbruch! Welches Feuer, welche
Inbrunst beseelten jeden Ton! Mit welcher Zudringlichkeit, mit welcher
Überströmung des Herzens sprach ihr Mitleid! Mit welcher
Entschlossenheit ging sie auf das Bekenntnis ihrer Liebe los! Aber wie
unerwartet, wie überraschend brach sie auf einmal ab und veränderte
auf einmal Stimme und Blick und die ganze Haltung des Körpers, da es
nun darauf ankam, die dürren Worte ihres Bekenntnisses zu sprechen.
Die Augen zur Erde geschlagen, nach einem langsamen Seufzer, in
dem furchtsamen gezogenen Tone der Verwirrung, kam endlich
"Ich liebe dich, Olint,--"
heraus, und mit einer Wahrheit! Auch der, der nicht weiß, ob die Liebe
sich so erklärt, empfand, daß sie sich so erklären sollte. Sie entschloß
sich als Heldin, ihre Liebe zu gestehen, und gestand sie als ein
zärtliches, schamhaftes Weib. So Kriegerin als sie war, so gewöhnt
sonst in allem zu männlichen Sitten: behielt das Weibliche doch hier
die Oberhand. Kaum aber waren sie hervor, diese der Sittsamkeit so
schwere Worte, und mit eins war auch jener Ton der Freimütigkeit

wieder da. Sie fuhr mit der sorglosesten Lebhaftigkeit, in aller der
unbekümmerten Hitze des Affekts fort:
"--Und stolz auf meine Liebe, Stolz, daß dir meine Macht dein Leben
retten kann, Biet' ich dir Hand und Herz, und Kron' und Purpur an."
Denn die Liebe äußert sich nun als großmütige Freundschaft: und die
Freundschaft spricht ebenso dreist, als schüchtern die Liebe.

Fünftes Stück Den 15. Mai 1767
Es ist unstreitig, daß die Schauspielerin durch diese meisterhafte
Absetzung der Worte
"Ich liebe dich, Olint,--"
der Stelle eine Schönheit gab, von der sich der Dichter, bei dem alles in
dem nämlichen Flusse von Worten
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