Gyges und sein Ring | Page 9

Friedrich Hebbel
Die Wurzel erst! Und

dann der Zweig!
(Er trinkt und will Gyges den Pokal reichen. Dieser sieht wieder zu
dem Balkon hinüber.)
Komm!--Ha!--Schwarz oder braun, das ist die Frage, Nicht wahr?
Gyges. O Herr!
Kandaules. Hat dir der Wein geschmeckt?
Gyges. Ich trank noch nicht.
Kandaules. Das weißt du? Nun, so laß Dich mahnen, daß du durstig
bist, und mach! Ich stehe dir dafür, daß sie so lange Verweilt, bis du
heraus hast, was dich quält!
Gyges (trinkt). Das kühlt!
Kandaules. O weh! hinunter geht dein Stern!
(Die Mädchen entfernen sich, aber man sieht sie noch.)
Nun, es war Zeit. Sieh dich nur um! Die drehen Sich schon, als wär's
um einen Thyrsosstab, Der, plötzlich aus der Erde aufgeschossen, Noch
rascher, wie ein Pfeil, gen Himmel steigt Und Millionen Trauben fallen
läßt. Der Wein ist für geflügelte Geschöpfe, Nicht für die Welt, worin
man hinkt und kriecht! Die stellt er auf den Kopf. Der Alte da Wär'
gleich bereit, den Tiger zu besteigen Und sich die welken Schläfe zu
bekränzen, Wie Dionys, als er zum Ganges zog! Doch das behagt mir
eben!--War sie schön?
Gyges. Ich weiß nicht, ob das schön, was mir gefällt?
Kandaules. Sprich ruhig: ja! Ein Auge, wie die Kohle, Die zwar nur
glimmt, doch vor dem kleinsten Hauch Schon Funken gibt, dabei ein
Farbenspiel, Daß man nicht weiß, ob's schwarz ist, oder braun, Und
dann, als liefe dieses ew'ge Schillern Durch jeden Tropfen ihres Bluts
hindurch, Ein Wechseln zwischen Scham und stiller Glut, Das ihr
Erröten reizend macht, wie keins.
Gyges. Du tust das ganz für mich, was halb der Wind, Er lüftete den
Schleier, du erhebst ihn!
Kandaules. Ich tu's nicht, weil du vor ihr knieen sollst! Nein! Wenn ich
vor ein andres Bild dich führte, Du würdest dies, so lieblich es auch ist,
Wie einen Fleck dir aus dem Auge wischen, Der dir den Spiegel trübte!
Gyges. Meinst du, Herr?
Kandaules. Gewiß! Doch halt! Man soll den Schatz nicht preisen, Den
man nicht zeigen kann! Man wird verhöhnt, Wer glaubt an Perlen in
geschloßner Hand!

Gyges. Ich!
Kandaules. Gyges, schon der Schatten, den Rhodope Im Mondschein
wirft--du lächelst! Trinken wir!
Gyges. Ich lächle nicht!
Kandaules. So solltest du! Wer kann Denn nicht so prahlen? Sprächst
du so zu mir, Wie ich zu dir, ich sagte: zeig sie mir, Sonst schweige
still!
Gyges. Ich traue Dir!
Kandaules. Ei was! Dem Auge soll man trauen, nicht dem Ohr. Du
traust mir! Ha! Vor diesem blöden Kinde Erglühtest du und
jetzt--Genug, genug, Ich will mich nicht mehr schwatzend vor dir
brüsten, Wie ich's so lange Zeit nun schon getan, Du sollst sie sehn!
Gyges. Sie sehn!
Kandaules. Noch diese Nacht! Ich brauche einen Zeugen, daß ich nicht
Ein eitler Tor bin, der sich selbst belügt, Wenn er sich rühmt, das
schönste Weib zu küssen, Und dazu wähl ich dich.
Gyges. Oh, nimmermehr! Erwägst du--Für den Mann wir's eine
Schmach, Doch für ein Weib, und für ein Weib, wie sie, Das selbst bei
Tag--
Kandaules. Sie kann's ja nie erfahren! Hast du den Ring vergessen?
Und ich bin Erst glücklich, wenn dein Mund mir sagt, ich sei's. Ei, frag
dich selbst, ob du die Krone möchtest, Wenn du sie nur im Dunkeln
tragen solltest! Nun, so ergeht es mir mit ihr! Sie ist Der Frauen
Königin, doch ich besitze Sie, wie das Meer die Perlen, keiner ahnt,
Wie reich ich bin, und ist einst alles aus, So kann's kein Freund mir auf
den Grabstein setzen, Und Bettler unter Bettlern lieg ich da. Drum
widerstrebe nicht und nimm den Ring!
(Er reicht ihn Gyges, dieser nimmt ihn nicht.)
Die Nacht bricht ein, ich zeig dir das Gemach, Und wenn du siehst, daß
ich's mit ihr betrete, So folgst du uns!
(Er laßt Gyges bei der Hand und zieht ihn mit sich fort.)
Ich fordre es von dir! Und bist du's deiner Lesbia nicht schuldig?
Vielleicht ist sie die Siegerin!
(Beide ab.)

Zweiter Akt

Halle.
Früher Morgen. Thoas tritt auf.
Thoas. Ich will und muß noch einmal mit ihm reden, Was hab ich
hören müssen diese Nacht! Ich ging gewiß nicht um zu horchen aus,
Doch komm ich so beladen heim, als wär' ich Ein wandelnd Ohr des
blutigsten Tyrannen Und traute mich nur kaum zum Herrn zurück.
Empörung! Naher überfall von Feinden, Ja, eine neue Königswahl! Ist's
möglich! Ich ahnte viel, doch so viel ahnt' ich nicht! Still, still! Sind das
nicht Schritte? Ja! Wer steht Denn mit den Greisen schon vor Morgen
auf? Der junge Gyges! Ei, wenn du das wüßtest, Was ich jetzt weiß, du
gingest nicht gebückt.
(Er zieht sich zurück.)
Gyges (tritt auf). Schon wieder bin ich hier! Was will ich hier? Es
duldet mich im Freien nicht, ein Duft Liegt in der Luft, so schwer und
so betäubend, Als hätten alle Blumen sich zugleich Geöffnet, um
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