Gespräche für Freimaurer | Page 2

Gotthold Ephraim Lessing
diesen Reden und Liedern von sich rühmen?
FALK
Wenn sie es nicht bloss von sich rühmen.
ERNST
Und was rühmen sie denn von sich?--Lauter Dinge, die man von jedem guten Menschen, von jedem rechschaffnen Bürger erwartet.--Sie sind so freundlich, so gutt?tig, so gehorsam, so voller Vaterlandsliebe!
FALK
Ist denn das nichts?
ERNST
Nichts!--um sich dadurch von andern Menschen auszusondern.--Wer soll das nicht sein?
FALK
Soll!
ERNST
Wer hat, dieses zu sein, nicht, auch ausser der Freim?urerei, Antrieb und Gelegenheit genug?
FALK
Aber doch in ihr und durch sie eine Antrieb mehr.
ERNST
Sage mir nichts von der Menge der Antriebe. Lieber einem einzigen Antriebe alle m?gliche intensive Kraft gegeben!--Die menge solcher Antriebe ist wie die Menge der R?der in einer Maschine. Je mehr R?der: desto wandelbarer.
FALK
Ich kann dir das nicht widersprechen.
ERNST
Und was für einen Antrieb mehr!--Der alle andre Antriebe verkleinert, verd¨chtig macht! sich selbst für den st?rksten und besten ausgibt!
FALK
Freund, sei billig!--Hyperbel, Quidproquo jener schalen Reden und Lieder! Proberwerk! Jüngerarbeit!
ERNST
Das will sagen: Bruder Redner ist ein Schw?tzer.
FALK
Das will nur sagen: was Bruder Redner an den Freim?urern preiset, das sind nun freilich ihre Taten eben nicht. Denn Bruder Redner ist wenigstens kein Plauderer; und Taten sprechen von selbst.
ERNST
Ja, nun merke ich, worauf du zielest. Wie konnten sie mir nicht gleich einfallen, diese Taten, diese sprechende Taten. Fast m?chte ich sie schreiende nennen. Nicht genug, dass sich die Freim?urer einer den andern unterstützen, auf das kr?fstigste unterstützen: denn das w?re nur die notwendige Eigenschaft einer jeden Bande. Was tun sie nicht für das gesamte Publikum eines jeden Staats, dessen Glieder sie sind!
FALK
Zum Exempel?--Damit ich doch h?re, ob du auf der rechten Spur bist.
ERNST
Zum Exempel die Freim?urer in Stockholm!--Haben sie nicht ein grosses Findelhaus errichtet?
FALK
Wenn die Freim?urer in Stockholm sich nur auch bei einer andern Gelegenheit t?tig erwiesen haben.
ERNST
Bei welchem andern?
FALK
Bei sonst andern, meine ich.
ERNST
Und die Freim?urer in Dresden, die arme junge M?dchen mit Arbeit besch?ftigen, sie kl?ppeln und stükken lassen--damit das Findelhaus nur kleiner sein dürfe.
FALK
Ernst! Du weisst wohl, wenn ich dich deines Namens erinnere.
ERNST
Ohne alle Glossen dann. Und die Freim?urer in Braunschweig, die arme f?hige Knaben im Zeichnen unterrichten lassen.
FALK
Warum nicht?
ERNST
Und die Freim?urer in Berlin, die das Basedowsche Philanthropin unterstützen.
FALK
Was sagst du?--Die Freim?urer? Das Philanthropin? unterstützen?--Wer hat dir das aufgebunden?
ERNST
Die Zeitung hat es ausposaunet.
FALK
Die Zeitung!--Da müsste ich Basedows eigenh?ndige Quittung sehen. Und müsste gewiss sein, dass die Quittung nicht an Freim?urer in Berlin, sondern an die Freim?urer gerichtet w?re.
ERNST
Was ist das?--Billigest du denn Basedows Institut nicht?
FALK
Ich nicht? Wer kann es mehr billigen?
ERNST
So wirst du ihm ja diese Unterstützung nicht misg?nnen?
FALK
Misg?nnen?--Wer kann ihm alles Gutes mehr g?nnen als ich?
ERNST
Nun dann!--Du wirst mir unbegreiflich.
FALK
Ich glaube wohl. Dazu habe ich unrecht.--Denn auch die Freim?urer k?nnen etwas tun, was sie nicht als Freim?urer tun.
ERNST
Und soll das an allen auch ihren übrigen guten taten gelten?
FALK
Vielleicht!--Vielleicht, dass alle die guten Taten, die du mir da genammt hast, um mich eines scholastischen Ausdruckes der Kürze wegen zu bedienen, nur ihre Taten ad extra sind.
ERNST
Wie meinst du das?
FALK
Nur ihre Taten, die dem Volke in die Augen fallen;--nur Taten, die sie bloss deswegen tun, damit sie dem Volk in die Augen fallen sollen.
ERNST
Um Achtung und Duldung zu geniessen?
FALK
K?nnte wohl sein.
ERNST
Aber ihre wahre Taten denn?--Du schweigst?
FALK
Wenn ich dir schon geantwortet h?tte?--Ihre wahre Taten sind ihr Geheimnis.
ERNST
Ha! ha! Also auch nicht erkl?rbar durch Worte?
FALK
Nicht wohl!--Nur so viel kann und darf ich dir sagen: die wahren Taten die Freim?urer sind so gross, so weit aussehend, dass ganze Jahrhunderte vergehen k?nnen, ehe man sagen kann: das haben sie getan! Gleichwohl haben sie alles Gute getan, was noch in der Welt werden wird--merke wohl, in der Welt.
ERNST
O geh! Du hast mich zum besten.
FALK
Wahrlich nicht--Aber sieh! dort fliegt ein Schmetterling, den ich haben muss. Es ist der von der Wolfmichsraupe.--Geschwind sage ich dir nur noch: die wahren Taten der Freim?urer zielen dahin, um gr?sstenteils alles, was man gemeinlich gute Taten zu nennen pflegt, entbehrlich zu machen.
ERNST
Und sind doch auch gute Taten?
FALK
Es kann keine bessere geben.--Denke einen Augenblick darüber nach. Ich bin gleich wieder bei dir.
ERNST
Gute Taten, welche darauf zielen, gute taten entbehrlich zu machen?-- Das ist ein R?tsel. Und über ein R?tsel denke ich nicht nach.--Lieber lege ich mich indes unter den Baum und sehe den Ameisen zu.
ZWEITES GESPR?CH
ERNST
Er lockte mich von Strauch bis an den Bach.--Auf einmal war er herüber.
ERNST
Ja, ja. Es gibt solche Locker!
FALK
Hast du nachgedacht?
ERNST
Ueber was? Ueber deine R?tsel?--Ich werde ihn auch nicht fangen, den sch?nen Schmetterling! Darum soll er mir aber auch weiter keine Mühe machen.--Einmal von der Freim?urern mit dir gesprochen und nie wieder. Denn ich sehe ja wohl; du bist wie sie alle.
FALK
Wie sie alle? Das sagen diese alle nicht.
ERNST
Nicht? So gibt es ja wohl auch Ketzer unter den Freim?urern? Und du w?rest einer.--Doch alle Ketzer haben mit den Rechtgl?ubingen immer noch etwas gemein. Und davon sprach ich.
FALK
Wovon sprachst du?
ERNST
Rechtgl?ubinge oder ketzerische Freim?urer--sie alle spielen mit Worten und lassen sich fragen und antworten, ohne zu antworten.
FALK
Meinst du?--Nun wohl, so lass uns von etwas andern reden. Denn
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