Geschichte des Agathon, Teil 2 | Page 7

Christoph Martin Wieland

leisten. Es war kein Vergnügen, welches sie nicht in einem solchen
Falle den Pflichten der Freundschaft aufgeopfert hätte.
Eine Veranlassung von dieser Art (wovon die Umstände mit unsrer
Geschichte in keiner Beziehung stehen) hatte sie auf einige Tage von
Smyrna abgerufen. Agathon mußte zurückbleiben, und die gutherzige
Danae, mit dem Beweise zufrieden, den ihr sein Schmerz bei ihrem
Abschied von seiner Liebe gab, versüßte sich ihren eigenen durch die
Vorstellung, daß die kurze Trennung ihm den Wert seiner
Glückseligkeit weit lebhafter zu fühlen geben werde, als eine
ununterbrochene Gegenwart. Ruhig über den Besitz seines Herzens
empfahl sie ihm desto eifriger, sich während ihrer Abwesenheit den
Freuden, welche das reiche und wollüstige Smyrna verschaffen konnte,
zu überlassen, je gewisser sie war, daß sie von dergleichen
Zerstreuungen nichts zu besorgen habe.
Allein Agathon hatte bereits angefangen, den Geschmack an diesen
Lustbarkeiten zu verlieren. So lebhaft, so manchfaltig, so berauschend
sie sein mögen, so sind sie doch nicht fähig einen Geist wie der seinige
war, lange einzunehmen. Als eine Beschäftigung betrachtet, können sie
es nur für Leute sein, die sonst zu nichts taugen; und Vergnügungen
bleiben sie nur so lange als sie neu sind. Je lebhafter sie sind, desto

bälder folgen Sättigung und Ermüdung; und alle ihre anscheinende
Manchfaltigkeit kann bei einem fortgesetzten Gebrauch das Einförmige
nicht verbergen, wodurch sie endlich selbst der verdienstlosesten
Klasse der Weltleute ekelhaft werden. Die Abwesenheit der Danae
benahm ihnen vollends noch den einzigen Reiz, den sie noch für ihn
gehabt hätten, das Vergnügen sie daran Anteil nehmen zu sehen. Er
brachte also bei nahe die ganze Zeit ihrer Abwesenheit in einer
Einsamkeit zu, von welcher ihn das beschäftigte Leben zu Athen und
die wollüstige Muße zu Smyrna schon etliche Jahre entwöhnet hatten.
Hier ging es ihm anfangs wie denen welche aus einem stark
erleuchteten Ort auf einmal ins Dunkle kommen. Seine Seele fühlte
sich leer, weil sie allzuvoll war; er schrieb dieses der Abwesenheit
seiner Freundin zu; er fühlte daß sie ihm mangelte, und dachte nicht
daran, daß er sie weniger vermißt haben würde, wenn die Nerven seines
Geistes durch die Gewohnheit einer wollüstigen Passivität nicht
eingeschläfert worden wären. Die ersten Tage schlichen für ihn in einer
Art von zärtlicher Melancholie vorbei, welche nicht ohne Anmut war.
Danae war beinahe der einzige Gegenstand, womit seine in sich selbst
zurückgezogene Seele sich beschäftigte; oder wenn seine Erinnerung in
vorhergehende Zeiten zurück ging, wenn sie ihm das Bild seiner
Psyche, oder die schimmernden Auftritte seines Republikanischen
Lebens vorhielt, so war es nur, um den Wert der unvergleichlichen
Danae und die ruhige Glückseligkeit eines allein der Liebe, der
Freundschaft, den Musen, und den Göttinnen der Freude geweihten
Privatlebens in ein höheres Licht zu setzen. Seine Liebe belebte sich
aufs neue. Sie verbreitete wieder diese begeisternde Wärme durch sein
Wesen, welche die Triebfedern des Herzens und der Einbildungs-Kraft
so harmonisch zusammenspielen macht. Er entwarf sich die Idee einer
Lebens-Art, welche (Dank seiner dichterischen Phantasie!) mehr das
Leben eines Gottes, als eines Sterblichen schien. Danae glänzte darin
aus einem Himmel von lachenden Bildern der Freude und
Glückseligkeit hervor. Entzückt von diesen angenehmen Träumen,
beschloß er bei sich selbst, sein Schicksal auf immer mit dem ihrigen
zu vereinigen. Er hielt sie für würdig, diesen Agathon glücklich zu
machen, welcher zu stolz gewesen wäre, das schimmerndste Glück aus
der Hand eines Königs anzunehmen. Dieser Entschluß, welcher bei
tausend andern eine nur sehr zweideutige Probe der Liebe sein würde,

war in der Tat, nach seiner Art zu denken, der Beweis, daß die seinige
auf den höchsten Grad gestiegen war.
In einem für die Absichten der Danae so günstigen Gemüts-Zustand
befand er sich, als Hippias ihm einen Besuch machte, um sich auf eine
Freundschaftliche Art über die Einsamkeit zu beklagen, worin er seit
der Entfernung der schönen Danae lebte. Danae sollte zu frieden sein,
sagte er in scherzhaftem Ton, den liebenswürdigen Callias für sich
allein zu behalten, wenn sie gegenwärtig sei; aber ihn auch in ihrer
Abwesenheit der Welt zu entziehen, das sei zuviel, und müsse endlich
die Folge haben, die Schönen zu Smyrna in eine allgemeine
Zusammenverschwörung gegen sie zu ziehen. Agathon beantwortete
diesen Scherz in dem nämlichen Ton; unvermerkt wurde das Gespräch
interessant, ohne daß der Sophist eine besondere Absicht dabei zu
haben schien. Er bemühte sich seinem Freunde zu beweisen, daß er
Unrecht habe, der Gesellschaft zu entsagen, um sich mit den Dryaden
von seiner Liebe zu besprechen, und die Zephyrs mit Seufzern und
Botschaften an seine Abwesende zu beladen. Er malte ihm mit
verführischen Farben die Vergnügungen vor, deren er sich beraube, und
vergaß auch das Lächerliche nicht, welches er sich durch eine so
seltsame Laune in den Augen der Schönen gebe. Seiner Meinung nach
sollte ein Callias sich an einer einzigen Eroberung, so glänzend sie
auch immer sein möchte, nicht begnügen lassen; er, dem seine Vorzüge
das Recht geben, seinem Ehrgeiz in dieser
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