Gesammelte Abhandlungen III | Page 5

Ernst Abbe
Grundlagen der Lohnregelung in der Optischen Werkst?tte (1897) 119-156
V. Zur Frage der Sonderbesteuerung des Konsumvereins (1898) 157-169
VI. Die rechtswidrige Beschr?nkung der Versammlungsfreiheit im Gro?herzogtum Sachsen (1900) 170-202
VII. Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Verkürzung des industriellen Arbeitstages (1901) 203-249
VIII. über die Aufgaben des Arbeiterausschusses (1902) 250-261
IX. Statut der Carl Zeiss-Stiftung zu Jena (Text der Neuredaktion von 906 mit den Varianten der Ausgabe von 1896) nebst Erg?nzungsstatut (1900) 262-329
X. Motive und Erl?uterungen zum Entwurf eines Statuts der Carl Zeiss-Stiftung (1895) 330-372
Xa. Motive und Erl?uterungen. Nachtrag zum zweiten Entwurf, Titel V (1896) 373-387
Xb. Die Verfassung der Carl Zeiss-Stiftung. Erl?uterungen zu Titel I und II des Stiftungsstatuts (1900) 388-402

I.
Welche soziale Forderungen soll die Freisinnige Volkspartei in ihr Programm aufnehmen?
Zwei Vortr?ge, gehalten im Freisinnigen Verein zu Jena am 7. und 21. M?rz 1894.
A. Steuersystem.
Meine Herren!
Unser Verein hat, wie Sie wissen, beschlossen, an der Ausgestaltung des Parteiprogramms der Freisinnigen Volkspartei t?tig sich zu beteiligen. Wir wollen darauf hinzuwirken versuchen, da? auf dem Parteitag, der in diesem Jahre bevorsteht, der jetzt reinlich abgesonderte demokratische Flügel der früheren Deutschfreisinnigen Partei eine klare und entschiedene Stellung nehme zu den wirtschaftlichen und sozialen Angelegenheiten, welche das Volk bewegen. Und zwar wollen wir darauf hinzuwirken versuchen, da? diese Stellungnahme eine andere werde, als sie werden k?nnte gem?? den sozialpolitischen Anschauungen, die in der ehemaligen Deutschfreisinnigen Partei und in ihrer Vorg?ngerin, der Fortschrittspartei, die herrschenden immer geblieben sind.
Unentwegt wollen wir dabei zu denen stehen, deren politische Arbeit darauf gerichtet ist, dem Deutschen Volk das gr??ere Ma? von bürgerlicher Freiheit und Selbstbestimmung noch zu erringen, welches den nordischen und anglo-s?chsischen Zweigen des germanischen Stammes eine glücklichere Geschichte schon vor Jahrhunderten hat zuteil werden lassen. Und wir wissen Dank den M?nnern, die in der schweren Zeit der letzten 16 Jahre die Fahne des politischen Fortschrittes noch hochgehalten haben und nicht entmutigt durch die übermacht der Gegner und durch die Teilnahmlosigkeit des Bürgertums, in dieser Zeit, wenn sie auch nur weniges f?rdern konnten, doch noch manches gerettet haben, was ohne ihre energische und aufopferungsvolle Arbeit jetzt gleichfalls verloren w?re. Nach wie vor halten wir dabei auch fest an der überzeugung, da? nur gefestigte Institutionen bürgerlicher Freiheit, die allen Kreisen des Volkes t?tige Teilnahme an seinen ?ffentlichen Angelegenheiten gew?hrleisten, den Hort bilden k?nnen für gesunde wirtschaftliche und soziale Zust?nde.
Dieses alles kann uns aber nicht abhalten, auch der weiteren überzeugung Ausdruck zu geben, die in unserem Kreise l?ngst feststeht: da? die Freisinnige Volkspartei, wenn sie mit der Verfolgung jener politischen Ziele ein lebenskr?ftiger Faktor für die Fortentwickelung unseres ?ffentlichen Lebens bleiben will, nunmehr andere Wege beschreiten müsse, als in bezug auf mehrere Angelegenheiten des Volksinteresses von ihrer Vorg?ngerin eingeschlagen worden sind.
Jede politische Partei sehen wir vor die Alternative gestellt: entweder sie leugnet, da? in unseren wirtschaftlichen Einrichtungen und sozialen Zust?nden ernstliche übel überhaupt vorhanden seien, sie behauptet, alles sei der Hauptsache nach in bester Ordnung und deshalb liege zu Verbesserungen und Reformen Anla? gar nicht vor; oder sie erkennt solche übel als wirklich vorhanden an -- damit aber auch die Verpflichtung, positiv mitzuarbeiten zu ihrer Beseitigung auf dem Weg gesetzlicher Reform, unbekümmert darum, von welcher Seite dabei Bundesgenossen zu finden man hoffen oder fürchten mag.
Der erstere von beiden Standpunkten ist für irgend eine liberale Partei nicht mehr denkbar, am wenigsten aber für eine Partei, welche die soziale Befreiung der arbeitenden Klassen schon als Aufgabe hingestellt, damit also ausgesprochen hat, da? diese Befreiung zurzeit noch nicht vollzogen sei. Ist aber die Existenz allgemeiner wirtschaftlicher und sozialer übel im Volksleben einmal anerkannt, so ist damit auch anerkannt, da? es sich um übel handelt, die notwendigerweise neun Zehntel des ganzen Volkes -- sei es auch den einzelnen zum Teil noch unbewu?t -- berühren müssen. übeln solcher Art gegenüber das alsbaldige t?tige Eingreifen mit wirklichen konkreten Reformen abzulehnen unter der platonischen Vertr?stung: der Fortschritt in der Richtung bürgerlicher und wirtschaftlicher Freiheit werde sie mit der Zeit von selbst überwinden, hie?e einfach, jedem erkennbar machen, da? man diese übel entweder nicht beseitigen wolle, oder da? man sie auf dem Wege gesetzlicher Reformen nicht beseitigen k?nne. Und dann w?re denen recht gegeben, welche behaupten, da? diese übel auf dem Boden der jetzigen Staats- und Gesellschaftsordnung überhaupt nicht zu überwinden seien, sondern nur durch v?llige Umw?lzung dieser Ordnung und welche daraufhin ganz konsequenterweise sagen: wenn solche Umw?lzung auf friedlichen Wegen nicht zu erreichen sein sollte, so wird sie wohl oder übel einmal auf gewaltsamen Wegen sich vollziehen müssen.
Wie t?richt und unheilvoll nun auch die Verbesserungsideen der Sozialdemokratie befunden werden m?gen -- keine Ideen haben zu wollen ist ihr gegenüber noch viel t?richter und unheilvoller. L??t man der Sozialdemokratie das Privilegium, die einzige politische Partei zu sein, welche über die Verbesserung der sozialen Zust?nde noch Ideen hat, so müssen die t?glich gr??er werdenden Kreise derer, denen die übel, unter welchen sie tats?chlich leiden, zum Bewu?tsein kommen, mehr und mehr ihre Hoffnung auf die Verwirklichung dieser Ideen
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