Eingeschneit | Page 9

Emil Frommel
dem Schlaf wird's[23-6] doch nicht viel werden heute Nacht, nicht wahr, Mr. Brown, trotz Ihres hohen[23-7] Bettes, und das Stroh für Sie, mein Fr?ulein,[23-8] kann warten, bis Sie sich darin verkriechen--? sagte pl?tzlich der unermüdliche zweite Tenor.
?Ach ja--das w?re[23-9] sch?n,? meinten die Fr?uleins;[23-10] denn sie wu?ten sich geborgen, da? sie nichts zu erz?hlen brauchten, weil sie noch nichts erlebt hatten.
?Wer f?ngt an?? riefen sie alle.
?Wir werden den Halm ziehen?? Sie zogen und den kürzesten zog der junge Eheherr. Alle lachten, denn er war bis jetzt der schweigsamste gewesen, und hatte sich nur an dem sü?en Geplauder seiner Frau erfreut.
?Nun denn, wenn es sein mu?, werde ich Ihnen unsere Hochzeitsgeschichte erz?hlen. Annlieschen, erschrick nicht, wenn du dabei etliche Male vorkommst, denn sonst ist's keine Hochzeitsgeschichte,? sagte er zu seiner Frau, ?denn dazu geh?ren immer zwei.?
?Ja, mach's aber nur nicht zu arg, Hans.?
?Wes Zeichens[24-1] und Standes ich bin, brauchen Sie nicht zu wissen, noch wie wir hei?en. Wo wir her[24-2] sind, merken Sie vielleicht an unsrer Sprache, die so etwas niederrheinisch[24-3] klingt. Aber wir sind ehrlicher Leute Kind[24-4] und haben noch keine silbernen L?ffel gestohlen.--Also so war's: Ich lebte mit einer Schwester auf einem Dorfe und war nahe daran, ein Einsiedler zu werden. Die Schwester wu?te so gut, was mir lieb war, und ich wu?te, was sie gerne hatte, und so gedachte ich mein Leben still zu beschlie?en als Einsiedler. Aber es[24-5] kam anders. Pl?tzlich kam es[24-6] wie das Schneetreiben heute und jagte mich in den Ehestand hinein. Meine Schwester hatte just ihr Kaffeekr?nzchen mit ihren Gespielinnen, in welchem nebenbei auch gestrickt[24-7] wurde. Die Strickk?rbchen wanderten[24-8] von Kr?nzchen zu Kr?nzchen. Die N?chstfolgende nahm die K?rbchen immer mit nach Hause. Es[24-9] war die Reihe an einem muntern, rotwangigen M?dchen. Sie nahm die K?rbchen am Schlu? des Kr?nzchens. Es war schon sp?t, und ich mu?te sie ehrenhalber begleiten. Da fiel mir pl?tzlich ein, da? sie sich mit den K?rbchen schleppte, und ich bat: ?Ach bitte, geben Sie mir doch[24-10] die K?rbchen.?[24-11] ?Nein,? sagte sie, ?kein einziges.? Da fuhr mir's[25-1] durch den Sinn: Jetzt oder nie!--?Ha,? sagte ich--?Fr?ulein, wirklich, Sie geben mir kein K?rbchen? Dann bin ich der glücklichste Mensch, dann geben Sie mir einen Ku?.? Und ehe sie sich's versah, hatte ich ihr um die Stra?enecke herum einen Ku? gegeben. Sie weinte und lachte zugleich, und ich sagte: ?Komm,[25-2] wir wollen gleich umkehren und es der Schwester sagen.? Wir kehrten Arm in Arm um und stellten uns als Braut und Br?utigam vor. Die Schwester zog mich auf die Seite und sagte: ?Sieh, Hans, die[25-3] habe ich immer gemeint. Sie hat dich auch lieb, das wei? ich.?--Und nun sehen Sie: das ist das Annlieschen hier, meine liebwerte, herzallerliebste Frau.?--
Alle schauten sie lachend an; aber in ihr halbverlegenes und in ihrer Verlegenheit um[25-4] so hübscheres Angesicht brannte[25-5] pl?tzlich zum Erstaunen aller--ein kr?ftiger Ku?. Der kam von der ?Institutsvorsteherin,? welche die junge Frau warm umschlang. ?Sie glückliches Menschenkind!? sagte sie. Die Studenten waren ob[25-6] Ku? und Rede h?chst verwundert. In dem zweiten Tenor stieg ein leises Ahnen und Zweifeln auf, es[25-7] m?ge doch am Ende mit der ?Institutsvorsteherin? nicht v?llig seine Richtigkeit[25-8] haben, denn das sei doch nicht nach Knigges[25-9] 'Umgang mit Menschen' gehandelt und geredet. Als er ihr tief ins Angesicht schaute, ward's ihm noch klarer. Sie deuchte ihm wirklich sch?n zu sein, zu sch?n für eine Pensionsmutter.[25-10]
Am meisten hatte aber der Assessor mit seiner Konfusion zu k?mpfen. Die ganze Hochzeitsgeschichte kam ihm so wunderbar vor. Auch er blickte hinüber zu der ?Institutsvorsteherin? und konnte sich[26-1] das[26-2] nicht mit der gehaltenen Würde eines ?Pensionsdrachen? vereinigen.
Der Eheherr aber fuhr fort: ?Nun hatten wir kurze Verlobungszeit,[26-3] denn bei mir[26-4] waren, von den Eltern her, Kasten und Schr?nke voll von selbstgesponnenem Flachs und Leinen. Meine Schwester r?umte bald das Feld, denn sie selber hatte eine alte Liebe, der sie aber nicht eher nachh?ngen wollte, als bis sie mich versorgt wu?te. Die Hochzeit war bald, und die Hochzeitsreise ist es, auf der wir uns befinden. Wir wu?ten zuerst nicht wohin[26-5] und kamen mit der Kutsche an einen Knotenpunkt der Eisenbahn gefahren.[26-6] ?Annlieschen,? sag' ich, ?wo[26-7] der erste Zug jetzt hinf?hrt, ob nach Norden oder Süden, da fahren wir hin.? Annlieschen war's zufrieden, wie sie überhaupt mit allem zufrieden ist. Also der Zug geht nach Süden. Wir fahren nach Kassel.[26-8] Ich sage: ?Hast[26-9] du Kassel gesehen, dann siehst du auch Frankfurt[26-10] am Main, wo die deutschen Kaiser einst gehaust.? Sagt[26-11] Annlieschen: ?Ja wohl--dahin la? mich mit dir, mein Geliebter, ziehen.?[26-12] Dort regnet's in Str?men. Wir sitzen im Westend-Hotel und sehen uns[26-13] den Regen an. ?Anneliese,? sag' ich, ?das ist langweilig--wir gehen[26-14] nach dem sch?nen Heidelberg,[26-15] da ist's sonnig und wonnig.? Aber in Heidelberg, dem Wetterloch,[26-16] war's noch schlimmer. Sitzt[26-17] im ?Ritter?[26-18] dort ein Herr, der sagt: ?Freiburg[27-1] im Breisgau--da ist's sch?n, herrlich!?--und Anneliese sagt wieder: ?Dahin, dahin u.s.w.?[27-2] Ich gehe mit
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