Eine vornehme Frau | Page 3

Hermann Heiberg
waren tannenschlank gewachsen,
lebhaft, ausgelassen, aber doch voll Herzensgüte und schüchtern gegen
Fremde. Wenn sie bisweilen mit ihren vornehmen Gesichtern so scheu
dreinblickten, ward man unwillkürlich an die Söhne Eduards erinnert.
Die kleine Ange war das Ebenbild der Mutter, nur erschien sie fast
noch graziöser. Eine Elfengestalt, dabei träumerisch, für sich, und mit
jenem vorwurfsvoll-ernsten Ausblick, der zögern läßt, sich solchen
Kindern zu nähern.
Nach vier Wochen redete man in C. von nichts anderem als von dem
Grafen Clairefort und seiner schönen Gemahlin. Die bösen Reden
waren verstummt, nachdem man sie ein einiges Mal gesehen hatte. Der
Graf entsprach dem Bilde, das man sich von ihm gemacht hatte. Er war
nur noch zurückhaltender, als er geschildert ward. Man fand einen
äußerst aristokratischen, wortkargen, aber im Verkehr mit den feinsten
Manieren ausstatteten Mann, der es mit seinen militärischen
Obliegenheiten so streng nahm, daß diese Strenge an Härte streifte.
Natürlich zerbrach sich auch alle Welt den Kopf, wie wohl zwei so
verschieden geartete Menschen miteinander lebten. Stärkere
Gegensätze waren nicht denkbar. Er ein ernster, pedantischer,
kränklicher Mann, dem sich zu nähern, Überwindung kostete, und der
in seinen Gedanken, Anschauungen und Lebensgewohnheiten völlig
von dem Durchschnitt der Menschen abwich. Sie dagegen ein frisches,
gesundes, liebenswürdiges, ein naiv-kluges Geschöpf, mit einem

hinreißenden Temperament und einer nicht minder hinreißenden, ja
gefährlichen Schönheit; dazu sorglos, ganz von dem Eindruck des
Augenblicks beherrscht und oft spottend allen Regeln der
eingebürgerten Sitte.
Wenn sie etwas besonders anregte oder beschäftigte, wenn sie zum
Beispiel ausreiten wollte, vergaß sie alles. Da gab's keine Innehaltung
einer Zusage oder Verabredung. Da schwiegen alle gewöhnlichen
häuslichen Pflichten, da verfingen nicht die strengen Mienen des
Grafen. Sie flog ihm an den Hals und herzte ihn.--"Laß, laß,
Schatz!--Sei gut, gieb mir meinen Willen.--Du weißt ja doch, daß Du
mir nichts abschlägst.--Weshalb mich quälen?--Nein?--Du versagst mir
die kleine Freude?--Dann küsse ich Dich niemals mehr auf Deine
treuen Hände, auf Deinen verschwiegenen Mund!"--Und ehe er sich's
versah, ehe er es hindern konnte, schlang sie sich zu ihm empor und
liebkoste seine Wange.
Oft mußten die Kinder helfen, diese wilden, zarten, sanftmütigen
Geschöpfe in ihrem seltsamen Gemisch. Und sie thaten alles, was sie
wünschte; immer nahmen sie für ihre Mama Partei und umringten den
bleichen ernsten Mann, bis sich zuletzt ein Lächeln um den
geschlossenen Mund stahl. Und dieses Lächeln war Zustimmung.
"Wenn Du wüßtest, wie schön Du bist, wenn Du lächelst," sagte Ange
oft: "warum bist Du doch immer so ernst, so bärbeißig, Lieber! Bin ich
nicht um Dich, Ange Clairefort, geborene Butin, Herrin auf
Schwarzensee und Dürenfort?" Dazu lachte sie und stolzierte, ihm
Kußhände zuwerfend und hinter sich schauend, als ob sie ihre Schleppe
betrachte, von dannen. Er neigte dann schwermütig das Haupt und zog
sich in seine Gemächer zurück. Oft war's, als ob der strenge Soldat sich
vor dem Kinderlärm und der ausgelassenen Unart seiner Umgebung
flüchte, als ob jeder Nerv in ihm zucke, ihm Ruhe und Einsamkeit
allein wohlthue.
In der That hatten Claireforts schon viel Herzeleid erfahren. Sie
verloren beide früh ihre Eltern und standen ohne Verwandte in der Welt.
Des Rittmeisters Stammvorfahr, ein Franzose, war nach Deutschland
übergesiedelt, um seiner Gemahlin, einer Rheinländerin, zu folgen, und

die Butins, wenn auch seit Menschengedenken in deutschen Gauen
ansässig, stammten ebenfalls aus französischem Blut. Gerade als
Clairefort um die alleinstehende, blutjunge Baronin von Butin anhielt,
starb ihr bisheriger Vormund, und dies veranlaßte die später
Mündigwerdende, die Gutsbesitzungen zu veräußern; den Erlös brachte
sie ihrem Manne als Mitgift in die Ehe.
Claireforts hatten ihre Besuche gemacht und empfingen solche. Es
nahm sehr für sie ein, daß sie ihre Visiten nicht auf den vornehmeren
und engeren Kreis beschränkten, in welchem die übrigen Familien
verkehrten; sie gaben auch ihre Karten bei den angesehenen
Einwohnern der Stadt ab und entzückten durch ihre Liebenswürdigkeit
alle Welt, mit der sie in Berührung traten. Besonders lebhaft aber
entwickelte sich der Verkehr zwischen den unverheirateten Offizieren
der Garnison und den Neuangekommenen. Nach wenigen Wochen
waren diese fast tägliche Gäste der Villa, in der stets ein
Frühstückstisch bereit stand und in der man--auch
unangemeldet--immer eine vortreffliche Tafel mit auserlesenen Weinen
fand. Es vollzog sich dort alles wie durch Zauberhand geschaffen, und
doch war Ange die denkbar schlechteste Hausfrau.
Aber Ernst Tibet, der Kammerdiener, sorgte für alles. Dieser
Haushofmeister war ein Mustermensch. So unruhig und wenig
umsichtig, so ungleich und lebendig die Gräfin, ebenso ernst, besonnen
und zuverlässig war Tibet, ein Mann mit angeborener Würde und
höflicher Zuvorkommenheit zugleich.
"Tibet, bester, goldener Tibet, was beginnen wir? Eben haben sich zehn
Personen angesagt! Die Uhr ist zwei! Um fünf wollen wir speisen!"
"Es wird alles nach Ihren Wünschen sein, Frau Gräfin," erwidert Tibet,
verbeugt sich und geht seiner Arbeit nach.
Und wenn Tibet das sagt, dann kann wohl eine kleine Welt einstürzen,
aber wenn sie nicht einstürzt, ist alles auf die Minute, wie er
versprochen.
Seltsamerweise bekümmerte sich
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 78
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.