Ein Ring | Page 2

Paul Heyse
wie ein schlichter Fremdling ausnahm, der sich in eine vornehme Gesellschaft verirrt hatte.
Als ich sie nach ihm fragte, hob die Tante sacht die linke Hand, die ihn trug, und hielt sie nahe vor die Augen, deren Sehkraft schon ein wenig geschw?cht war.
Es ist auch ein Trauerring, sagte sie mit ihrer weichen Stimme, nachdem sie ihn eine Weile still betrachtet hatte. Der, von dem ich ihn habe, ist lange schon nicht mehr auf der Erde. Neben den anderen nimmt er sich nicht gl?nzend aus, und doch ist er mir der liebste von allen. Da? er so dick ist, kommt davon her, weil er eine kleine Haarlocke einschlie?t, die man sieht, wenn man die innere Kapsel ?ffnet. Ich habe es seit vielen Jahren nicht mehr getan, will's auch jetzt nicht, es greift mich zu sehr an. Die Emailinschrift aber kannst du selbst lesen.
Sie hielt mir den Ring wieder hin, und ich buchstabierte: Lebe wohl! Dann sank die Hand wieder auf die seidene Decke.
Wir schwiegen eine Weile.
Ich begriff, da? an dem Ringe ein Stück Leben hing, das ich nicht heraufbeschw?ren wollte, da es traurig war und ich die liebe Kranke schonen wollte. Ich war aber doch zu neugierig, um nicht auf Umwegen die Enthüllung des Geheimnisses zu versuchen, und so sagte ich nach einiger Zeit ganz unschuldig: Du mu?t viele Anbeter gehabt haben, Tante, in deiner früheren Zeit, noch da du schon gro?e T?chter hattest. Mutter hat mir gesagt, wenn du mit ihnen in einen Ballsaal getreten seiest, habe man dich für ihre ?lteste Schwester gehalten.
Sie nickte still vor sich hin.
Jawohl, lieb Kind, sagte sie, ich wu?te das selbst, es w?re kindisch gewesen, mir's verleugnen zu wollen. Aber Anbeter, was man so nennt, die sich einbildeten, sie k?nnten sich Hoffnungen machen, in besondere Gunst bei mir zu kommen, die hatte ich eigentlich nicht. Es wu?t's alle Welt, da? ich meinen Mann lieb hatte und in Ehren hielt, obgleich ich gar keine schw?rmerische Neigung zu ihm fühlte, als ich mit siebzehn Jahren ihm angetraut wurde. Ich hatte ihn kaum sechsmal vorher gesehen, und sch?n war er ja nicht, und da? er mir immer treu bleiben würde, machte ich mir auch keine Hoffnung. Ich wei? auch nicht, wie's sp?ter damit stand, wollt's auch nicht wissen. Du wei?t aber, bei uns Juden versteht sich's von selbst, da? die Frauen ihren M?nnern treu bleiben, und die etwa eine Ausnahme von der Regel machten, wurden nicht zum besten darum angesehen, selbst in der damaligen Zeit, wo die guten alten Sitten sehr ins Wackeln kamen.
Damals freilich kam's nicht gar selten vor, und gerade von den Reichsten und Sch?nsten erz?hlte man sich allerlei Skandale. Ich h?rte nicht viel danach hin. Ich hatte meine Kinder, und viel Freude daran, auch an meinem Hause, wo damals ein gro? Leben war, da all die fremden Gesandten beim Bundestage bei uns eingeführt waren.
Natürlich wurde auch mir die Cour gemacht, aber immer auf Franz?sisch, wobei man ja wu?te, all die sch?nen Redensarten durfte man nicht au pied de la lettre nehmen. Ich konnt's um so leichter, weil Herz gar keine Ader von Eifersucht hatte, sondern nur schmunzelte, wenn man auch seine Frau noch sch?n fand, obwohl sie auf die Vierzig losging und drei gro?e T?chter hatte, eine immer sch?ner als die andere. Die Adelheid heiratete denn auch bald den Rothschild, die Helene, die die hübscheste war, den Fénélon Salingnac, und die Marianne den Baron Haber. Da hatte ich mit den Ausstattungen, Hochzeiten und bald hernach auch mit Gro?mutterpflichten alle H?nde voll zu tun und das Herz auch, denn da? es auch viel zu sorgen und zu seufzen gab, kannst du dir wohl denken, lieb Kind.
Einen wirklichen, richtigen "Anbeter", wie du's meinst, hatt' ich aber doch.
Das war kein eleganter, galanter Herr, der mir auf Franz?sisch erkl?rte, da? er mich reizend, unwiderstehlich und grausam fand, sondern ein h??licher, schüchterner alter Jude, der bei uns im Hause wohnte und mit zur Familie geh?rte.
Alt war er nicht gerade, kaum fünfzig, aber er machte den Eindruck, als w?re er nie jung gewesen. Julchen sagte, er sehe aus "wie alt gekauft". Er hie? deshalb nur der alte Ebi, war Buchhalter bei meinem Manne gewesen und hatte dann seinen Abschied nehmen müssen, weil er den Star auf dem linken Auge bekam und das gesunde rechte geschont werden mu?te. Herz wollte ihn wegen seiner treuen Dienste mit einer reichlichen Pension entlassen, er bat aber, man solle ihm nur die H?lfte geben, ihm aber erlauben, im Hause zu bleiben, an das er sich einmal so gew?hnt habe, da? er drau?en keinen frohen Tag leben werde. Herz lachte so mit seinem tiefen Ba? und sagte: Das Haus, an das er gew?hnt ist, das bist du, Kl?rchen, denn der alte Bursche, das sieht ein Blinder, ist in dich verliebt. Obwohl er aber sonst meschugge ist, die Narrheit kann ich ihm ja nachempfinden--dabei kü?te er mir die
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