Ein Landarzt | Page 3

Franz Kafka
Hause lebte -- dieses Opfer ist zu gro?, und ich mu? es mir mit Spitzfindigkeiten aushilfsweise in meinem Kopf irgendwie zurechtlegen, um nicht auf diese Familie loszufahren, die mir ja beim besten Willen Rosa nicht zurückgeben kann. Als ich aber meine Handtasche schlie?e und nach meinem Pelz winke, die Familie beisammensteht, der Vater schnuppernd über dem Rumglas in seiner Hand, die Mutter, von mir wahrscheinlich entt?uscht -- ja, was erwartet denn das Volk? -- tr?nenvoll in die Lippen bei?end und die Schwester ein schwer blutiges Handtuch schwenkend, bin ich irgendwie bereit, unter Umst?nden zuzugeben, da? der Junge doch vielleicht krank ist. Ich gehe zu ihm, er l?chelt mir entgegen, als br?chte ich ihm etwa die allerst?rkste Suppe -- ach, jetzt wiehern beide Pferde; der L?rm soll wohl, h?hern Orts angeordnet, die Untersuchung erleichtern -- und nun finde ich: ja, der Junge ist krank. In seiner rechten Seite, in der Hüftengegend hat sich eine handtellergro?e Wunde aufgetan. Rosa, in vielen Schattierungen, dunkel in der Tiefe, hellwerdend zu den R?ndern, zartk?rnig, mit ungleichm??ig sich aufsammelndem Blut, offen wie ein Bergwerk obertags. So aus der Entfernung. In der N?he zeigt sich noch eine Erschwerung. Wer kann das ansehen ohne leise zu pfeifen? Würmer, an St?rke und L?nge meinem kleinen Finger gleich, rosig aus eigenem und au?erdem blutbespritzt, winden sich, im Innern der Wunde festgehalten, mit wei?en K?pfchen, mit vielen Beinchen ans Licht. Armer Junge, dir ist nicht zu helfen. Ich habe deine gro?e Wunde aufgefunden; an dieser Blume in deiner Seite gehst du zugrunde. Die Familie ist glücklich, sie sieht mich in T?tigkeit; die Schwester sagt's der Mutter, die Mutter dem Vater, der Vater einigen G?sten, die auf den Fu?spitzen, mit ausgestreckten Armen balancierend, durch den Mondschein der offenen Tür hereinkommen. ?Wirst du mich retten?? flüstert schluchzend der Junge, ganz geblendet durch das Leben in seiner Wunde. So sind die Leute in meiner Gegend. Immer das Unm?gliche vom Arzt verlangen. Den alten Glauben haben sie verloren; der Pfarrer sitzt zu Hause und zerzupft die Me?gew?nder, eines nach dem andern; aber der Arzt soll alles leisten mit seiner zarten chirurgischen Hand. Nun, wie es beliebt: ich habe mich nicht angeboten; verbraucht ihr mich zu heiligen Zwecken, lasse ich auch das mit mir geschehen; was will ich Besseres, alter Landarzt, meines Dienstm?dchens beraubt! Und sie kommen, die Familie und die Dorf?ltesten, und entkleiden mich; ein Schulchor mit dem Lehrer an der Spitze steht vor dem Haus und singt eine ?u?erst einfache Melodie auf den Text:
?Entkleidet ihn, dann wird er heilen, Und heilt er nicht, so t?tet ihn! 'Sist nur ein Arzt, 'sist nur ein Arzt.?
Dann bin ich entkleidet und sehe, die Finger im Barte, mit geneigtem Kopf die Leute ruhig an. Ich bin durchaus gefa?t und allen überlegen und bleibe es auch, trotzdem es mir nichts hilft, denn jetzt nehmen sie mich beim Kopf und bei den Fü?en und tragen mich ins Bett. Zur Mauer, an die Seite der Wunde legen sie mich. Dann gehen alle aus der Stube; die Tür wird zugemacht; der Gesang verstummt; Wolken treten vor den Mond; warm liegt das Bettzeug um mich; schattenhaft schwanken die Pferdek?pfe in den Fensterl?chern. ?Wei?t du,? h?re ich, mir ins Ohr gesagt, ?mein Vertrauen zu dir ist sehr gering. Du bist ja auch nur irgendwo abgeschüttelt, kommst nicht auf eigenen Fü?en. Statt zu helfen, engst du mir mein Sterbebett ein. Am liebsten kratzte ich dir die Augen aus.? ?Richtig,? sage ich, ?es ist eine Schmach. Nun bin ich aber Arzt. Was soll ich tun? Glaube mir, es wird auch mir nicht leicht.? ?Mit dieser Entschuldigung soll ich mich begnügen? Ach, ich mu? wohl. Immer mu? ich mich begnügen. Mit einer sch?nen Wunde kam ich auf die Welt; das war meine ganze Ausstattung.? ?Junger Freund,? sage ich, ?dein Fehler ist: du hast keinen überblick. Ich, der ich schon in allen Krankenstuben, weit und breit, gewesen bin, sage dir: deine Wunde ist so übel nicht. Im spitzen Winkel mit zwei Hieben der Hacke geschaffen. Viele bieten ihre Seite an und h?ren kaum die Hacke im Forst, geschweige denn, da? sie ihnen n?her kommt.? ?Ist es wirklich so oder t?uschest du mich im Fieber?? ?Es ist wirklich so, nimm das Ehrenwort eines Amtsarztes mit hinüber.? Und er nahm's und wurde still. Aber jetzt war es Zeit, an meine Rettung zu denken. Noch standen treu die Pferde an ihren Pl?tzen. Kleider, Pelz und Tasche waren schnell zusammengerafft; mit dem Ankleiden wollte ich mich nicht aufhalten; beeilten sich die Pferde wie auf der Herfahrt, sprang ich ja gewisserma?en aus diesem Bett in meines. Gehorsam zog sich ein Pferd vom Fenster zurück; ich warf den Ballen in den Wagen; der Pelz flog zu weit, nur mit einem ?rmel hielt er sich an einem Haken fest. Gut genug. Ich schwang mich aufs Pferd. Die Riemen lose schleifend, ein Pferd kaum mit dem
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