Effi Briest | Page 2

Theodor Fontane
Mama. Aber wenn es so w?re, wer w?re schuld? Von wem hab ich es? Doch nur von dir. Oder meinst du, von Papa? Da mu?t du nun selber lachen. Und dann, warum steckst du mich in diesen H?nger, in diesen Jungenkittel? Mitunter denk ich, ich komme noch wieder in kurze Kleider. Und wenn ich die erst wiederhabe, dann knicks ich auch wieder wie ein Backfisch, und wenn dann die Rathenower herüberkommen, setze ich mich auf Oberst Goetzes Scho? und reite hopp, hopp. Warum auch nicht? Drei Viertel ist er Onkel und nur ein Viertel Courmacher. Du bist schuld. Warum kriege ich keine Staatskleider? Warum machst du keine Dame aus mir??
?M?chtest du's??
?Nein.? Und dabei lief sie auf die Mama zu und umarmte sie stürmisch und kü?te sie.
?Nicht so wild, Effi, nicht so leidenschaftlich. Ich beunruhige mich immer, wenn ich dich so sehe ...? Und die Mama schien ernstlich willens, in ?u?erung ihrer Sorgen und ?ngste fortzufahren. Aber sie kam nicht weit damit, weil in ebendiesem Augenblick drei junge M?dchen aus der kleinen, in der Kirchhofsmauer angebrachten Eisentür in den Garten eintraten und einen Kiesweg entlang auf das Rondell und die Sonnenuhr zuschritten. Alle drei grü?ten mit ihren Sonnenschirmen zu Effi herüber und eilten dann auf Frau von Briest zu, um dieser die Hand zu küssen. Diese tat rasch ein paar Fragen und lud dann die M?dchen ein, ihnen oder doch wenigstens Effi auf eine halbe Stunde Gesellschaft zu leisten. ?Ich habe ohnehin noch zu tun, und junges Volk ist am liebsten unter sich. Gehabt euch wohl.? Und dabei stieg sie die vom Garten in den Seitenflügel führende Steintreppe hinauf.
Und da war nun die Jugend wirklich allein.
Zwei der jungen M?dchen - kleine, rundliche Pers?nchen, zu deren krausem, rotblondem Haar ihre Sommersprossen und ihre gute Laune ganz vorzüglich pa?ten - waren T?chter des auf Hansa, Skandinavien und Fritz Reuter eingeschworenen Kantors Jahnke, der denn auch, unter Anlehnung an seinen mecklenburgischen Landsmann und Lieblingsdichter und nach dem Vorbilde von Mining und Lining, seinen eigenen Zwillingen die Namen Bertha und Hertha gegeben hatte. Die dritte junge Dame war Hulda Niemeyer, Pastor Niemeyers einziges Kind; sie war damenhafter als die beiden anderen, dafür aber langweilig und eingebildet, eine lymphatische Blondine, mit etwas vorspringenden, bl?den Augen, die trotzdem best?ndig nach was zu suchen schienen, weshalb denn auch Klitzing von den Husaren gesagt hatte: ?Sieht sie nicht aus, als erwarte sie jeden Augenblick den Engel Gabriel?? Effi fand, da? der etwas kritische Klitzing nur zu sehr recht habe, vermied es aber trotzdem, einen Unterschied zwischen den drei Freundinnen zu machen. Am wenigsten war ihr in diesem Augenblick danach zu Sinn, und w?hrend sie die Arme auf den Tisch stemmte, sagte sie: ?Diese langweilige Stickerei. Gott sei Dank, da? ihr da seid.? ?Aber deine Mama haben wir vertrieben?, sagte Hulda. ?Nicht doch. Wie sie euch schon sagte, sie w?re doch gegangen; sie erwartet n?mlich Besuch, einen alten Freund aus ihren M?dchentagen her, von dem ich euch nachher erz?hlen mu?, eine Liebesgeschichte mit Held und Heldin und zuletzt mit Entsagung. Ihr werdet Augen machen und euch wundern. übrigens habe ich Mamas alten Freund schon drüben in Schwantikow gesehen; er ist Landrat, gute Figur und sehr m?nnlich.?
?Das ist die Hauptsache?, sagte Hertha.
?Freilich ist das die Hauptsache, 'Weiber weiblich, M?nner m?nnlich' - das ist, wie ihr wi?t, einer von Papas Lieblingss?tzen. Und nun helft mir erst Ordnung schaffen auf dem Tisch hier, sonst gibt es wieder eine Strafpredigt.?
Im Nu waren die Docken in den Korb gepackt, und als alle wieder sa?en, sagte Hulda: ?Nun aber, Effi, nun ist es Zeit, nun die Liebesgeschichte mit Entsagung. Oder ist es nicht so schlimm??
?Eine Geschichte mit Entsagung ist nie schlimm. Aber ehe Hertha nicht von den Stachelbeeren genommen, eher kann ich nicht anfangen - sie l??t ja kein Auge davon. übrigens nimm, soviel du willst, wir k?nnen ja hinterher neue pflücken; nur wirf die Schalen weit weg oder noch besser, lege sie hier auf die Zeitungsbeilage, wir machen dann eine Tüte daraus und schaffen alles beiseite. Mama kann es nicht leiden, wenn die Schlusen so überall herumliegen, und sagt immer, man k?nne dabei ausgleiten und ein Bein brechen.?
?Glaub ich nicht?, sagte Hertha, w?hrend sie den Stachelbeeren flei?ig zusprach.
?Ich auch nicht?, best?tigte Effi. ?Denkt doch mal nach, ich falle jeden Tag wenigstens zwei-, dreimal, und noch ist mir nichts gebrochen. Was ein richtiges Bein ist, das bricht nicht so leicht, meines gewi? nicht und deines auch nicht, Hertha. Was meinst du, Hulda??
?Man soll sein Schicksal nicht versuchen; Hochmut kommt vor dem Fall.?
?Immer Gouvernante; du bist doch die geborene alte Jungfer.?
?Und hoffe mich doch noch zu verheiraten. Und vielleicht eher als du.?
?Meinetwegen. Denkst du, da? ich darauf warte? Das fehlte noch. übrigens, ich kriege schon einen und vielleicht bald. Da ist mir nicht bange. Neulich erst hat mir der kleine Ventivegni von drüben gesagt: 'Fr?ulein Effi, was
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