Die natuerliche Tochter | Page 9

Johann Wolfgang von Goethe
wie ich sie ergreife. Eugenie! Wenn du entsagen könntest
Dem hohen Glück, das unermesslich scheint, An dessen Schwelle dir
Gefahr und Tod, Verbannung als ein Milderes begegnet. O dürft' ich
dich erleuchten! Dürft' ich dir Verborgne Winkel öffnen, wo die Schar
Verschworener Verfolger tückisch lauscht! Ach schweigen soll ich!
Leise kann ich nur Dich ahnungsvoll ermahnen; wirst du wohl Im
Taumel deiner Freude mich verstehen?

Dritter Auftritt Eugenie. Hofmeisterin.
Eugenie. Sei mir gegrüßt! Du Freundin meines Herzens, An Mutter
Statt Geliebte, sei gegrüßt!
Hofmeisterin. Mit Wonne drück' ich dich an dieses Herz, Geliebtes
Kind, und freue mich der Freude, Die reich aus Lebensfülle dir entquillt.
Wie heiter glänzt dein Auge! Welch Entzücken Umschwebet Mund und
Wange! Welches Glück Drängt aus bewegtem Busen sich hervor!
Eugenie. Ein großes Unheil hatte mich ergriffen, Vom Felsen stürzte
Ross und Reiterin.
Hofmeistern. O Gott!
Eugenie. Sei ruhig! Siehst du doch mich wieder, Gesund und hoch
beglückt, nach diesem Fall.
Hofmeisterin. Und wie?
Eugenie. Du sollst es hören, wie so schön Aus diesem Übel sich das
Glück entwickelt.
Hofmeisterin. Ach! Aus dem Glück entwickelt oft sich Schmerz.
Eugenie. Sprich böser Vorbedeutung Wort nicht aus! Und schrecke
mich der Sorge nicht entgegen.
Hofmeisterin. O möchtest du mir alles gleich vertrauen!
Eugenie. Von allen Menschen dir zuerst. Nur jetzt, Geliebte, lass mich
mir. Ich muss allein Ins eigene Gefühl mich finden lernen. Du weißt,
wie hoch mein Vater sich erfreut, Wenn unerwartet ihm ein klein
Gedicht Entgegenkommt, wie mir's der Muse Gunst Bei manchem
Anlass willig schenken mag. Verlass mich! Eben schwebt mir's heiter

vor, Ich muss es haschen, sonst entschwindet's mir.
Hofmeisterin. Wann soll wie sonst vertrauter Stunden Reihe Mit
reichlichen Gesprächen uns erquicken? Wann öffnen wir, zufriednen
Mädchen gleich, Die ihren Schmuck einander wiederholt Zu zeigen
kaum ermüden, unsres Herzens Geheimste Fächer, uns bequem und
herzlich Des wechselseit'gen Reichtums zu erfreuen?
Eugenie. Auch jene Stunden werden wieder kehren, Von deren stillem
Glück man mit Vertrauen, Sich des Vertrauns erinnernd, gerne spricht.
Doch heute lass in voller Einsamkeit Mich das Bedürfnis jener Tage
finden.

Vierter Auftritt Eugenie, nachher Hofmeisterin außen.
Eugenie (eine Brieftasche hervorziehend). Und nun geschwind zum
Pergament, zum Griffel! Ich hab' es ganz und eilig fass' ich's auf, Was
ich dem Könige zu jener Feier, Bei der ich, neu geboren durch sein
Wort, Ins Leben trete, herzlich widmen soll.
(Sie rezitiert langsam und schreibt.)
Welch Wonneleben wird hier ausgespendet! Willst du, o Herr der obern
Regionen, Des Neulings Unvermögen nicht verschonen? Ich sinke hin,
von Majestät geblendet. Doch bald getrost zu dir hinauf gewendet
Erfreut's mich, an dem Fuß der festen Thronen, Ein Sprössling deines
Stamms, beglückt zu wohnen, Und all mein frühes Hoffen ist vollendet.
So fließe denn der holde Born der Gnaden! Hier will die treue Brust so
gern verweilen Und an der Liebe Majestät sich fassen. Mein Ganzes
hängt an einem zarten Faden, Mir ist, als müsst' ich unaufhaltsam eilen,
Das Leben, das du gabst, für dich zu lassen.
(Das Geschriebene mit Gefälligkeit betrachtend.)
So hast du lange nicht, bewegtes Herz, Dich in gemessnen Worten
ausgesprochen! Wie glücklich, den Gefühlen unsrer Brust Für ew'ge
Zeit den Stempel aufzudrücken! Doch ist es wohl genug? Hier quillt es
fort, Hier quillt es auf!--Du nahest, großer Tag, Der uns den König gab
und der nun mich Dem Könige, dem Vater, mich mir selbst Zu
ungemessner Wonne geben soll. Dies hohe Fest verherrliche meine
Lied! Beflügelt drängt sich Phantasie voraus, Sie trägt mich vor den
Thron und stellt mich vor, Sie gibt im Kreise mir--
Hofmeisterin (außen). Eugenie!
Eugenie. Was soll das?

Hofmeisterin. Höre mich und öffne gleich!
Eugenie. Verhasste Störung! Öffnen kann ich nicht.
Hofmeisterin. Vom Vater Botschaft!
Eugenie. Wie? Vom Vater? Gleich! Da muss ich öffnen.
Hofmeisterin. Große Gaben scheint Er dir zu schicken.
Eugenie. Warte!
Hofmeisterin. Hörst du?
Eugenie. Warte! Doch wo verberg' ich dieses Blatt? Zu klar Spricht's
jene Hoffnung aus, die mich beglückt. Hier ist nichts zum Verschließen!
Und bei mir Ist's nirgend sicher, diese Tasche kaum; Denn meine Leute
sind nicht alle treu. Gar manches hat man schon mir, als ich schlief,
Durchblättert und entwendet. Das Geheimnis, Das größte, das ich je
gehegt, wohin, Wohin verberg' ich's?
(Indem sie sich der Seitenwand nähert.)
Wohl! Hier war es ja, Wo du, geheimer Wandschrank, meiner Kindheit
Unschuldige Geheimnisse verbargst! Du, den mir kindisch
allausspähende, Von Neugier und von Müßiggang erzeugte, Rastlose
Tätigkeit entdecken half, Du, jedem ein Geheimnis, öffne dich!
(Sie drückt an einer unbemerkbaren Feder, und eine kleine Türe springt
auf.)
So wie ich sonst verbotnes Zuckerwerk Zu listigem Genuss in dir
versteckte, Vertrau' ich heute meines Lebens Glück Entzückt und
sorglich dir auf kurze Zeit.
(Sie legt das Pergament in den Schrank und drückt ihn zu.)
Die Tage schreiten vor, und ahnungsvoller Bewegen sich nun Freud'
und Schmerz heran.
(Sie öffnet die Türe.)

Fünfter Auftritt Eugenie. Hofmeisterin. Bediente,
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