Die gefesselte Phantasie | Page 3

Ferdinand Raimund
Endet euren Streit! Sprich, Affriduro, kann Gewalt uns retten?
affriduro. Gewalt? Zum erstenmal h?r’ ich dies Wort von dir. Entsprossen aus dem Stamme deines güt’gen Vaters, herrschest du durch Sanftmut stets. Wir kennen hier nur Poesie, Gesang und Tanz; der rauhe Klang der Waffen ist uns unbekannt, nur ein arkadisch’ Leben führten wir bis jetzt. Von einer Seite schützt des Meeres Wellenschild unseren blumenreichen Strand, und von der andern trennen steile Berge uns von unserem m?cht’gen Nachbar, dem K?nig von Athunt. Die Waffen sind uns fremd, wir kennen nur die List.
narr. Ich rate auch zur List; sie machen sich zu mausig hier, drum mu? man sie wie M?use fangen. (Beiseite.) Ich richte eine diamant’ne Falle auf und statt dem Speck h?ng’ ich zwei türk’sche Schals hinein.
affriduro. Doch h?re des Orakels Schlu?. Nicht eher wird die Macht der Zauberschwestern sich besiegen lassen, bis Hermione sich verm?hlt und dem Lande einen Herrscher gibt, der gleich ihr zu herrschen würdig ist; wenn das geschieht, wird jene Macht verschwinden. Drum h?r’ die Bitte deines ganzen Reichs und w?hle dir den K?nig von Athunt, er strebt nach deiner Hand. Du besitzest Geist, er Mut und Macht; erw?hle ihn, bevor die Zauberschwestern noch in seine Brust des Hasses Samen streu’n, und mit Gewalt er fordert, was du seinem Edelmut verweigert hast. Du wirst dem Schicksal nicht entrinnen, denn die Sterne prophezeien unserem Lande einen Herrscher aus dem Hause von Athunt.
hermione. Als vor zwei Jahren der K?nig von Athunt mit seinem Sohn an meinem Hof erschien, für sich um meine Hand zu werben, gestand ich ihm ja frei, da? ich, vom Wert der Poesie begeistert, im Tempel des Apollo ein Gelübde abgelegt, als Gemahl nur einen S?nger hoher Lieder zu umarmen; sei er der ?rmste meines Volkes auch, wenn er nur reich ist an Gemüt und hohem Geist. Der K?nig von Athunt bel?chelte den Schwur, gestand, da? er die Verse nur mit blut’gem Schwert zu schreiben wü?te. Er zog von meinem Hof; doch hinterlie? er das Versprechen mir, da? er den sch?nen Frieden meines Landes niemals st?ren wolle. Glaubst du, ich h?tte meinen Schwur vergessen? Nur einem Sohn der Musen reich’ ich meine Hand.
distichon (stolz). Mein Vaterland ist der Parna?.
narr. Ich bin vom Kahlenberg zu Haus.
affriduro. Erw?ge des Orakels Spruch, und w?hlest du nicht ihn, so w?hle doch und rette dadurch deine Treuen.
hermione (für sich). Peinliche Verlegenheit! Was beginn’ ich? Mein Herz ist ja nicht frei.
alles (kniet). Wir flehen zu dir, Herrscherin!
hermione. Wohlan, so will ich w?hlen. Wenn wiederum der Mond uns seine Sichel zeigt, so werd’ ich meine Hand verschenken.
alles. Heil, Hermione!
hermione. Bis dahin will ich meines Stolzes Panzer mit geschmeid’gem Samt der Klugheit überziehen und durch sanfte Worte die Zauberschwestern zu gewinnen suchen. Eilet hin nach ihrem Schlo? und bescheidet sie hierher.
odi (sieht hinaus; erschrickt). G?tter, dort sind sie. Sie streifen durch die Flur und jagen wei?e Raben.
hermione. So eil’ hinaus und rufe sie.
odi (erschrocken). Ich?
hermione. Ja, du!
odi. Verzeih’, ich wag’ es nicht.
affriduro. So bist du ja ein ganzer Hase?
narr. O nein, er ist ein blo?er Hasenfu?.
hermione. Besch?mt keiner ihn?
distichon (kühn für sich). Mut, Distichon, du stiehlst ihr
Herz. (Laut.) Ich hole sie. (Eilt ab.)
narr (tut, als hebe er etwas von der Erde auf). Pst!
hermione. Was treibst du, Narr?
narr. Er hat beim Fortgehen seine Furcht verlor’n, ich heb’ ihm s’ unterdessen auf. (Er tut, als steckte er sie in den Sack.)
odi. Er ist schon dort und spricht mit ihnen. Sie drohen ihm--er l?uft davon.
hermione. Pfui!
odi. Sie senden Pfeile nach. (Schrei.) Er ist getroffen.
hermione (?ngstlich). G?tter!
odi. In dem Waden steckt ein Pfeil.
narr. Jetzt haben wir doch einen gespickten Hasen auch.
hermione. So sinkt er?
odi. Nein, er l?uft.

5. Szene
distichon, einen Pfeil mitten durch die Wade gesteckt. vorige.
distichon (atemlos). Es ist gescheh’n!
hermione. Du bist verwundet, Unglückssohn. (Verhüllt sich das Antlitz.)
distichon. Im Herzen, K?nigin!
hermione. Nicht doch, im Fu?.
distichon. Nicht m?glich! (Besieht sich und erstaunt.) Das hab’ ich wirklich nicht bemerkt.
narr (zieht ihm den Pfeil heraus). Was das für ein Glück ist, wenn man falsche Waden hat! Unverwundbar wie Achill!
distichon. Ein kluger Feldherr wei? sich zu verschanzen, Den Arm weiht man der Schlacht, den Fu? braucht man zum Tanzen .

6. Szene
vorige. arrogantia und vipria gleich gekleidet; in tigerartigen Kleidern, mit Bogen und Pfeilen, treten schnell und kühn herein.
Allgemeiner Schreckensausruf.
alles (mit Entsetzen). Die Zauberschwestern!
(Alles steht erstarrt in Gruppen.)
vipria. Ha, ha, ha! Hast du’s geh?rt? Wir sind angemeldet.
arrogantia (mit Verachtung). Ha, furchtsam Volk! Der Schreck ist Kammerdiener hier.
vipria. Nun, wie wird’s? Habt ihr ’s Medusenhaupt geschaut, da? ihr versteinert steht?
arrogantia. Sind zur Kom?die wir geladen, da? ein Tableau man uns zum besten gibt? Wo bist du, Hermione, die uns rufen lie??
hermione. Frag’ sanfter, wenn du’s zu erfahren wünschest; solche Frage ist der Antwort Tod.
vipria (persiflierend). Wo weilt denn die gestrenge gn?d’ge Frau? (Befehlend.) Wer bist denn du? Bist du die Magd vom Haus, so l?s’ die Riemen auf an meinem Schuh!-- Aha, du bist das
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