Die Witwe von Pisa | Page 3

Paul Heyse
Pisa meinen Messungen obzuliegen und vielleicht schon ein Stück meines Buches über den Schiefbau hier in der Stille niederzuschreiben, damit ich au?er Rissen und Zeichnungen Serenissimo auch etwas zu lesen mitbringen k?nnte. Nun aber, wie gesagt, hatte ich es fast schon aufgegeben, eine anst?ndige Privatwohnung zu finden, als ich todmüde am schwülen Mittag durch den Borgo schlendere und da auf einmal wie vom Himmel herab aus einem Fenster gerade über dem "Camere da affittare" den schmetternden Gesang h?re. Hinaufstürzen, anpochen und dein Aschenputtel von Küchenm?dchen meine obdachlose Lage schildern, war, wie geistreiche Erz?hler sagen, das Werk eines Augenblicks. Das Ding musterte mich von der Hutkrempe bis zu den Schuhen. Dabei lachte sie und schüttelte den Kopf. Nein, nein, sagte sie, hier wird nichts vermietet.--Aber der Zettel? sagt' ich. Und es steht doch deutlich darauf: Im ersten Stock!--ja, aber nicht per gli uomini! meinte sie und wollte schon die Türe wieder zuschlagen.--Was? rief ich, nicht für Menschen? Nun beim Himmel, so sollt ihr erleben, da? selbst ein geduldiger Deutscher zu einer Bestie werden kann, wenn nur die Bestien in Pisa ein menschliches Quartier finden!--Chè, chè sagte sie, und wollte sich ausschütten vor Lachen, so sei es nicht gemeint. Nur an m?nnliche Menschen würden die Zimmer nicht vergeben. Ihre Herrin sei eine Witwe und beherberge nur Damen. Indessen wolle sie erst einmal anfragen; ich m?chte nur eintreten.--So führte sie mich, immer lachend, durch die Küche in ein sehr sauberes Gemach, wo ein gro?es, vierschl?friges Himmelbett stand, eine alte Kommode und einige Rohrstühle, der Steinboden mit geflochtenen Matten sorgf?ltig belegt; aber was mir am meisten ins Auge stach: ein m?chtiger viereckiger Tisch mitten im Zimmer, gerade so einer, wie er meine Sehnsucht war, um Rei?bretter und Mappen bequem darauf ausbreiten zu k?nnen. Hier bleibst du! rief eine Stimme in mir, und wenn es um den Preis w?re, da? du dein Geschlecht verleugnen und am Rocken dieser Omphale Garn spinnen mü?test. Indem h?re ich, wie nebenan der Gesang und das Klavierspiel pl?tzlich abgebrochen wird und Aschenputtel seine Botschaft unter best?ndigem Kichern ausrichtet. Ich hatte kaum Zeit, mir eine herzbewegende Rede einzustudieren, da geht die Türe auf und meine Witwe tritt herein, in einem Nachtgewande von verd?chtiger Wei?e, aber unzweifelhafter Sittsamkeit, die starken, schwarzen Haare in Papilloten, mit einer Haltung und Miene, da? ich sogleich wu?te: die war schon einmal auf den Brettern! Aber sie war gar nicht übel, kann ich Ihnen sagen. Etwas Anlage zum Fettwerden, die Nase für meinen Geschmack vielleicht ein wenig zu stumpf, nicht mehr die allererste Frische, aber für eine Witwe ?u?erst wohlkonserviert, und ein Paar gro?e, schwarze Augen im Kopf, wie--nun Sie k?nnen sich selbst ein passendes Gleichnis dazu suchen; wofür sind Sie Poet?
Ich, als bildender Künstler, hatte auf den ersten Blick alle Vorzüge dieser Dame weg; aber selbst wenn sie zum Titelkupfer für mein Werk über den Schiefbau getaugt h?tte: der sch?ne gro?e Tisch h?tte sie mir reizend erscheinen lassen. Ich glaube, ich habe in meinem Leben keine gr??ere Beredsamkeit in einer fremden Sprache entwickelt als jetzt, wo es galt, ihre tugendhaften Vorurteile zu besiegen. Ich sei zwar, sagt' ich, allerdings eine Mannsperson (persona maschia--ausgesuchtes Italienisch, nicht wahr?); aber von einer so weiblichen Gemütsart, da? ich sogar in meiner Jugend von einer sch?nen Frau das Filetstricken gelernt h?tte. Niemand im ganzen Stadtviertel werde mich jemals betrunken nach Hause kommen sehn, und sittenlose Bekanntschaften hier in Pisa zu machen, liege mir fern. Sogar des Rauchens wolle ich mich enthalten, wenn es ihr unangenehm sei, und gern jeden Preis, den sie für das Quartier fordere, unbedenklich vorauszahlen.
Sie h?rte mich ruhig an, und meine rührende Beschw?rung schien Eindruck auf sie zu machen. Wenigstens sagte sie endlich, sie selbst habe gar nichts dagegen, aber sie sei eine junge Witwe, und ihr Oheim, der Vormund ihrer Kinder, wünsche nicht, da? sie ihren Ruf in Gefahr bringe, indem sie die jetzt überflüssig gewordenen Zimmer an Herren vermiete. Ich fragte sogleich nach der Wohnung dieses klugen Mannes und h?rte zu meinem Schrecken, da? ich nicht hoffen durfte, auch an ihm meine überredungskünste zu versuchen, da er gerade nach Florenz gereist sei.--So mu? ich denn wirklich verzweifeln? rief ich mit so unverstelltem Kummer (ich hatte eben wieder mit dem Tisch gelieb?ugelt), da? die gute, ohnehin nicht sehr steinerne Witwenseele zu schmelzen anfing. Kommen Sie nachmittags wieder, sagte sie; ich will sehen, ob es, zu machen ist. Erminia, begleite den Herrn hinaus! --Damit machte sie mir eine Reverenz wie eine Fürstin, die einen Ambassadeur empfangen hat, und ich war in Huld und Gnaden entlassen.
Sie k?nnen sich denken, da? ich in einer nicht geringen Aufregung meinen Risotto in jener Mustertrattorie Italiens, dem "Nettuno" am Lungarno, verzehrte und gerade das Doppelte meiner gew?hnlichen Weinration dazu trank. Ich mu?te mich st?rken für den Fall, an den ich nur mit Schrecken denken konnte, da? ich einen solchen Tisch in Pisa wissen
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