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Gestern, nachdem ich Dich verlassen, las ich wieder einmal Deine Briefe, um den Strom von Güte, menschlichem Verstehen, Reinheit und -- tiefster Z?rtlichkeit zu fühlen, der von Dir ausgeht. Von der Macht dieser Z?rtlichkeit scheinst Du selbst nichts zu wissen, von dieser stillen Innigkeit, die soviel bindender ist als Du es wei?t und -- als es Dir erwünscht ist.
Geliebteste, Du bist krank, nur wenig krank, aber ich darf Dich nicht sehen. Schreiben konntest Du heute auch nicht. Meines t?glichen Brotes bin ich beraubt. Nur solange meine bisher ungesungenen Lieder sich wie frohe Sieger ins Leben dr?ngen, ertrage ich die Oede der Tage. Mit dem, was in meinen besten Augenblicken sich in mir erhebt, kann ich nicht zu Dir stürmen. Aber immer sehe ich Dich dennoch, ich suche Deine Hand, meine Lippen neigen sich auf Deine schlanken Finger. Glaube mir, Maria, nie ist eine Frau schw?rmerischer und doch auch mit tieferer Ehrfurcht geliebt worden als Du. Vergi? nun endlich, da? wir mit der herrschenden Gesellschaftsordnung in Konflikt geraten sind. Was liegt daran? Fürchtest Du pl?tzlich Dein Sondergepr?ge? Unm?glich: eine Natur wie Du, mu?, solange sie lebt, in gewissem Grade unabgeschlossen bleiben. Dein Erschrecken pa?t nicht zu Dir. Lasse Dich überzeugen. Noch in zehn Jahren, nein, in zwanzig Jahren wirst Du nicht vor Umw?lzungen in Deinem Innern sicher sein. Was wu?test Du denn mit Bestimmtheit? Etwa, da? ich Dir eine neue Brücke für die Zukunft werden k?nnte, ich, der Unbelebtesten einer? Du sü?e Warnerin wu?test ja auch nicht aus eigener Erfahrung, da? Liebe das R?tselvollste ist und mit der Bedeutung oder dem Wert dessen, was der andere ist, nicht im Zusammenhange stehen mu?. --
Die beiden Tage ohne Dich haben mich zum Grübler gemacht. Solange ich denken kann, hat niemand dem, was ich fühlte, edle Teilnahme zugewandt; -- vielleicht Alltags-Teilnahme, aber was bedeutet sie? Oft mehr Hemmung als Befruchtung. Tausendmal werde ich es Dir wiederholen müssen: ?Da fing mein Leben an, als ich Dich liebte.? Du allein, nur Du, Maria, konntest mich aus der Zufallsgemeinschaft mit den Vielen erl?sen. Anfangs war es nur Deine mütterliche Heiligkeit, die mich zu Dir trieb. Noch kann ich Dir die Sekunde genau bestimmen, welche die erste leise Verschiebung hervorgerufen hat. Ich stand vor Dir, wie so oft bereits; Du sprachst anspornend, anfeuernd mit mir. Nichts hatte sich ver?ndert. Da -- pl?tzlich war's, als s?he ich überall, wohin ich blickte, blühende, glühende Rosen. Eine seltsam verwirrende Beklemmung zitterte minutenlang in meiner Seele. An diesem Tage kam ich zum ersten Male nicht mehr von meiner Mutter -- nicht mehr nur von meiner Mutter. Stundenlang wanderte ich nachher am Kanal entlang. So sch?n, nein, so sch?n war die Erde nie: alle Leute schienen Menschen geworden, die ihre st?renden Eigenschaften abgelegt hatten. Für immer glaubte ich von allem Gewohnten und Gew?hnlichen befreit zu sein. -- Ich konnte mich nicht entschlie?en, das hohe Mietshaus zu betreten, in dem ich wohne; zu weit bin ich allem entrückt gewesen, was zwischen Mauern sein Dasein fristen kann; ringsumher in der Luft schimmerte ein Schein, der den Tag kündete, obwohl ich wu?te, da? noch viele Stunden bis zum Sonnenaufgang verrinnen mu?ten. --
Werde ich morgen, endlich, endlich wieder das Rauschen Deines Gewandes vernehmen? Werde ich Deinen Blick fühlen, der tief und z?rtlich in den meinen sinkt? Werde ich, ehe ich noch bei Dir sein darf, meine Lippen auf die Bl?tter eines Briefes pressen k?nnen?
Maria, Sancta Maria, ich liebe Dich grenzenlos.
Dein, immer, immer
Dein Roland.
Nachschrift:
Das Gedicht, welches ich mit ins Kuvert lege, bewerte nicht kritisch, nur Dein Herz soll von seiner Echtheit ergriffen werden.
Mein Weg zu Dir -- wie den ich deuten soll? Von bunten Blüten ist er übervoll, Die leuchten, wo mein Fu? auch immer schreitet, Und goldner Glanz ist über sie gebreitet. Kein nüchternes und graues H?usermeer Seh ich auf meinem Wege um mich her: Umspielt ist alles rings von lichtem Schimmer -- Die Menschen, die ich treffe, l?cheln immer -- Und l?chelnd schau ich ihnen ins Gesicht: So scheinen sie verkl?rt vom gleichen Licht, Das wohl aus meiner trunknen Seele strahlt Und alles, alles glühend übermalt. Die letzte Stra?e ist von Deinem Bild So ganz durchleuchtet und so ganz erfüllt, Da? Traum und Wirklichkeit sich in mir eint: Ist es denn Wahrheit, was wie Traum mir scheint? Da? Deine Sehnsucht mir entgegenbebt, Da? Deine Seele für die meine lebt, Verschwenderisch von ihrem Reichtum schenkt, Und -- ganz von Z?rtlichkeit für mich durchtr?nkt -- Mit ihrer sanften Güte mich umhaucht? Mein Weg zu Dir ist ganz in Licht getaucht.
Maria an Roland.
Geliebter, ich liebe Deine Verse, liebe Deine zarte Z?rtlichkeit, liebe Dich, Dich, heute nur Dich.
Ich kann Dir die Stunde nicht nennen, in der ich aufh?rte, Dir nichts sein zu wollen als eine mütterliche Freundin. War es vielleicht in jener D?mmerstunde, in der wir durch die blühende Einsamkeit meiner Wiesen gingen -- die Sonne wollte gerade untergehen --
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