Die Stufe | Page 3

Franziska Mann
können. Unantastbar blieb der Glaube
an die Autorität, besonders an die Autorität der Gesellschaft. Mir fehlte,
-- Bismarck rügte es treffend an fast all seinen Zeitgenossen:
Zivilcourage. In den wenigen Monaten hier habe ich endlich erkannt,
daß in der Wissenschaft, in der Kunst der sehr viel weniger gilt, der
Besonderes zuerst sagte, als der, welcher sich als Erster mutig Gehör zu
schaffen verstand, und so weiß ich nicht mehr mit Bestimmtheit, ob
sich unter meiner Gebundenheit nicht doch etwas regen könnte, das
mich wenigstens, -- verstehen Sie dieses »wenigstens« nicht falsch --
Ihnen näher bringen könnte. --
»Zivilcourage« rufe ich mir also zu und berichte weiter: Verse, die ich
heimlich, als ich noch zur Schule ging, mit Leidenschaft niederschrieb,
hatten meinen Ruf nicht einwandfrei gemacht. Ich sollte ein Schwärmer

sein, ein Träumer, war vielleicht schon auf denselben Abwegen wie
mein Großvater, der -- Mutter vertraute es mir feierlich und warnend
und weinend an -- hinterm Zaum auf der Landstraße zugrunde
gegangen ist. Immer wurde mir der Großvater als warnendes Beispiel
vorgeführt, nie aber erfuhr ich deutlich, worin seine Laster eigentlich
bestanden haben. -- Zwei Tage hindurch wagte ich einmal einen
geschlungenen Künstlerschlips zu tragen. Das Halloh, mit dem mich
Groß und Klein anbrüllte, ließ mehr als nur den Schlips verschwinden;
es duckte mich klaftertief. -- Bis zum Tode meines Vaters blieb ich in
unserer Kleinstadt, in der Mühle, die langsam das zerrieb, aus dem ich,
wäre man barmherziger damit verfahren, vielleicht ein wirkliches
Leben hätte formen können. -- Hier die wenigen Monate duldeten
bisher kein Umschauen. Ich habe mich zu ernähren, habe mich
Aufgaben zu widmen, die, weiß der Himmel, nicht großartige sind. --
Vielleicht sahen Sie, als Sie mich vor zwei Wochen Ihrer Beachtung
würdigten, den Früheren in mir, den Anderen, nicht nur den simplen
Bankbuchhalter. --
Ich soll jung sein, meinen die Leute; auch Sie sagten es, Frau Maria;
also müßte es wahr sein. Aber sind Sie nicht viel jünger? Sie haben sich
Ihren Glauben an alles Hohe, Ihre Begeisterung für alles Schöne durch
ein gewiß nicht leichtes Leben bewahrt. Wie konnten Sie das? Ich
dagegen? Vielleicht bin ich nie jung gewesen, nie so jung, wie Sie
heute, wenngleich es mir jetzt so leicht erscheint, mit Ihnen die Fahrt
ins Jugendland zu beginnen. Nein, ich begann diese Fahrt nie; gleich
die erste Stunde allein neben Ihnen, Frau Maria, in Ihrem Heim,
erweckte in mir den Wahn, Kühnheit habe von jeher auch mich
ausgezeichnet. So selbstverständlich wird durch Ihre Nähe alles
gesteigert.
Sie werden zu verstehen versuchen, wie es gekommen ist, daß ich mich
so früh mit einem ungelebten Leben abfand. Vererbung, Erziehung,
Lebensumstände mögen die Sklavenhalter gewesen sein, die gelassen
zu Tode peitschen wollten, was nicht stark genug in mir war, sich
jubelnd aus der kläglichen Gebundenheit zu befreien. Noch kann ich
nicht erkennen, wohin mich die Befreiung führen soll, ob sie erheben

oder vernichten will; jetzt aber, in diesen leuchtenden Tagen, erfüllt sie
mich mit nie gekannter Freude.
Sie wünschen keine Liebe, Frau Maria; die meine ist bereits zu groß,
um sie Ihnen verheimlichen zu können. Sie sind so oft in Ihrem Leben
geliebt worden, Sie haben so oft selbst geliebt, daß Sie ein Gefühl nicht
erschrecken wird, von dessen Sterblichkeit Sie, wie Sie mir
versicherten, überzeugt sind. Ich muß Ihnen glauben; denn ich kannte
Liebe nicht. Mir aber bleibt dieses Gefühl für Sie das Wunder, von dem
ich weiß, daß es mich zu großen Taten befähigen muß. Welcher Art
diese Taten sein können, -- in wie hohem Grade überflüssig für die
Welt, und wie zwingend ihre Ausübung für mich, -- wir wollen es nicht
zu ergrübeln versuchen. Lassen Sie dieses »wir« gelten; denn, Frau
Maria, mögen Sie auch getreu Ihrer Auffassung von Liebe und
Freundschaft und Neubelebung nicht gerade neben mir zu ungewohnt
langem Harren gezwungen werden: zu früh dürfen Sie Ihren Jünger
nicht zum Alleinweiterwandern verurteilen. Nein, das können Sie nicht,
auch wenn Sie es wollten.
Viele Briefe werde ich Ihnen noch schreiben dürfen, viele noch von
Ihnen empfangen, und die Tür zu Ihrem Zimmer wird sich mir lange
noch täglich für eine Abendstunde öffnen. --
Entdeckte ich doch eine schönere Ausdrucksform für das zitternde
Empfinden, das mich, seitdem ich nur an Sie zu denken vermag,
durchströmt! Diese eckigen, armseligen Worte mißfallen mir gründlich.
Viel tausend Grüße sendet Ihnen
Ihr törichter Junge
Roland.

Maria an Roland.
Roland, langsam, wie werdender Frühling, vollzieht sich oft die
Vereinigung von Seelen, aber das Schicksal jagt auch Menschen so

rasch zueinander, wie zwei Blätter, die der Sturm von entfernten
Bäumen riß, um sie dann in dieselbe winzige Erdfurche zu wehen, auf
ein so kleines Fleckchen Erde, als sei nirgends sonst Raum gerade für
diese beiden. Wir sind wohl dem letzten Tempo untertan. Wir!
Verstehen Sie nur dieses »wir« nicht falsch. Sehen Sie es nicht als ewig
Bindendes an; immer wieder möchte
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