Die Prinzessin Girnara | Page 2

Jakob Wasserman
Er hält uns ihres Anblicks für unwert.
DER FREUND: Sie murren, weil du die Prinzessin nicht zum Feste
geführt.
SCHÖNE DAME: Vielleicht ist sie so schön, daß er sie aus Eifersucht
verbirgt.
SIHO: Darüber sprich nicht, und jene laß murren und fragen.
FRÄULEIN: Vielleicht schämt er sich ihrer, vielleicht ist sie
mißgestaltet und von roher Sitte.
DER MAGIER: Im schlimmen Kreise steht ihr, im Bogen des Unheils!
DER FREUND: Sie flüstern böse, die Neugier macht sie gemein.
DER ERSTE RITTER: Man sollte es ergründen; fragt ihn, warum er
allein zum Feste kommt.
SIHO: Bitter ist es, vor dir schweigen zu müssen.
DER FREUND: Hüte dich; ein Widersacher ist unter ihnen.
DER ZWEITE RITTER: Er lädt Gäste zum Mahl und beleidigt sie.
SCHÖNE DAME: Wo mag die Prinzessin weilen?
FRÄULEIN: Mich quält die Begierde zu wissen, wie sie aussieht.
SIHO: Bleib' an meiner Seite und schütze mich vor ihren Blicken; sie

sind neugierig, sie sind böse.
DER MAGIER: Einen Spruch will ich sprechen von zwingender Macht,
der den Wein entflammt und die Seele verrät.
HAUSMEIER: Euer Gnaden wird zur Tafel gebeten.
DER FREUND: Ich bleibe dir zur Seite, fürchte dich nicht!
DER MAGIER: Aufgedeckt wird das Geheimnis sein, er selbst wird
das Verschwiegene künden.
SIHO: Schön geschmückt ist die Tafel, wir wollen uns niederlassen,
Freunde!
DER ERSTE RITTER: Bist du des Spruches gewiß, so erprobe die
Wirkung!
WÜRDENTRÄGER: Köstlich ist diese Schüssel und lobt ihren Meister,
den Koch.
HÖFLING: Angenehme Gerüche kitzeln den Gaumen.
DER SÄNGER: Frieden über euch, die ihr genießt die Frucht der
Felder und Gaben der Gärten!
SCHÖNE DAME: Die Stimme des Sängers klingt lieblich und fein.
HAUSMEIER: Daß der Braten nicht abkühlt! Brote zu reichen vergeßt
nicht!
DER ERSTE RITTER: Den verheißenen Zauberspruch, Magier! Braust
du das Wort schon im Hirn?
STIMME DES PILGERS: Dein Herz schwillt auf in der Finsternis,
Leidbegnadete, und sprengt die Mauern des Kerkers!
HÖFLING: Wer ist dieser, der uns die Süßigkeit des Mahles vergällt?
HAUSMEIER: Gebot ich euch nicht, ihr solltet ihn von der Treppe
jagen?
ERSTER DIENER: Stumm vernahm er deinen Befehl und ging nicht
vom Tor.
ZWEITER DIENER: Ein frommer Pilger, erfüllt von heiliger Wut.
SIHO: Prophetenworte, Worte heiliger Wut.
DER FREUND: Bleich bist du, mein Lieber, bleich ist dein Antlitz.
SIHO: Prophetenworte, Worte heiligen Grams.
DER FREUND: Den Spielleuten gib dein Ohr, hör', wie die Flöte
vogelhaft singt!
DER ERSTE RITTER: Sprich deinen Spruch, Magier, ehe wir zweifeln
an dir!
DER ZWEITE RITTER: Liegt es in deiner Gewalt, das Geheimnis uns

zu entschleiern, so tu es!
DER MAGIER: An seinem Gurt, seht ihr den Schlüssel? Wo Männer
das Schwert sonst tragen, hängt ihm ein Schlüssel.
ERSTER UND ZWEITER RITTER: Wir sehen den Schlüssel; erkläre
doch, was er soll, was er schließt!
DER MAGIER: Die eherne Pforte schließt er, hinter der die Prinzessin
Girnara einsam vergeht.
HÖFLING: Was kündest du, Magier? Ich hörte dich nicht.
DER ERSTE RITTER: Er wird ihn wahren, den Schlüssel, kostbares
Gut ist er ihm.
DER MAGIER: Wenn das Wort der Beschwörung gewirkt hat, gibt er
den Schlüssel von selbst.
HÖFLING: Versprachst du den Schlüssel, Magier, der die eherne
Pforte aufschließt?
DER ZWEITE RITTER: Den Spruch, Magier, den Spruch!
HAUSMEIER: Sorgsam tragt die Krüge, sorgsam gießt in die Pokale
den Wein!
DER SÄNGER: Freude erblüh' diesem Haus, ein Rasthaus des Glückes
sei es!
DER ZWEITE RITTER: Den Spruch endlich, den Spruch!
DER MAGIER: Schweigen wird die festliche Runde und jener wird
sagen, was ihn beschwert und quält.
STIMME DES PILGERS: In der Üppigkeit und im Übermut der
Genüsse lügen deine Sänger, Volk!
SCHÖNE DAME: Warum erhebt sich der Fremdling von seinem Sitz,
der Magier?
DER FREUND: Du zitterst vor ihm, dein Auge ist voller Schrecken!
DER ERSTE RITTER: Still, die Lippen des Magiers formen den
bannenden Spruch!
DER MAGIER: In seine Brust eindringend, bin ich Frage und Antwort
zugleich.
FRÄULEIN: Eine Wolke ist um den Magier, dunkel wird seine Gestalt.
SCHÖNE DAME: Ich gewahr' ihn nicht mehr, seht, er zerrinnt in der
Luft!
HÖFLING: Seht, der Platz, wo der Magier gewesen ist, ist leer!
FRÄULEIN: Die Lichter scheinen nicht mehr, im Saale dämmert's.
STIMME DES PILGERS: Klage, lieblos Unliebender, um dich und die

Gattin!
DER WÜRDENTRÄGER: Warum ist es dunkel im Saale? Zündet
noch Lichter an!
SIHO: Die Lichter wollen nicht brennen, Mauern und Säulen wanken.
DER FREUND: Halte dich, Lieber, gib mir die Hand!
SIHO: Siehst du den Magier nicht mehr?
SCHÖNE DAME: Warum haben die Spielleute aufgehört zu spielen?
FRÄULEIN: Mir ist Angst, nehmt mir die Angst von der Brust!
DER WÜRDENTRÄGER: Was bedeutet die Stille? Die Spielleute
sollen spielen!
HAUSMEIER: Warum schweigen die Spielleute? Warum ist der
Sänger verstummt?
STIMME DES MAGIERS: Sprich, der verraten hat, sprich, der
verraten ward!
SIHO: Da ich denn sprechen muß, so hört mich.
DER ERSTE RITTER: Still, ihr alle, vernehmt, was Prinz Siho kündet!
STIMME DES PILGERS: Gib Kunde von
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