Die Italienische Plastik | Page 3

Wilhelm Bode

zeigt sich die Plastik in Mittel- und Oberitalien. In Mittelitalien, in
Rom wie in Toskana in eigener Weise, bilden die zahlreichen Überreste
spätrömischer und etrurischer Plastik den Anhalt für die ersten
unbeholfenen Versuche in der eigenen Kunstübung. Am
selbständigsten und bedeutsamsten entwickelt sich die plastische Kunst
von vornherein in der Lombardei, zuerst in Mailand und Verona, dann
namentlich in Parma und Modena; lombardische Steinmetzen und
Bildhauer verbreiten sich weiter über Ober- und Mittelitalien und
tragen auch hier zu einer freieren, selbständigen Entwickelung der
Plastik wesentlich bei.
[Abbildung: 454. Elfenbeinrelief der Kreuzigung.]
Süditalien war als Bestandteil des oströmischen Kaiserreichs auch in
künstlerischer Beziehung von Byzanz abhängig geblieben und diese
Abhängigkeit bekundete sich auch noch, nachdem ganz Sicilien in die
Hände der Araber fiel und Ende des XI. Jahrh. Süditalien samt Sicilien
von den Normannen erobert wurde. Der bildnerische Schmuck der
kirchlichen Monumente hat entweder rein ornamentalen Charakter oder
die Bildwerke tragen auch im Großen den Stil der Kleinkunst. Dies gilt
namentlich für die Bronzethüren, welche aus einer Reihe kleiner
Platten mit winzigen figürlichen Darstellungen zusammengesetzt sind.
Diese wurden anfangs in einer Art Niellotechnik hergestellt, später, seit
der Mitte des XII. Jahrh. in einzelnen Platten mit Reliefs gegossen. Sie
erscheinen im Stil von den Elfenbeinreliefs abhängig; erstere sind
durchweg byzantinische Arbeiten, letztere wurden meist schon von
Italienern ausgeführt, bekunden aber noch stark byzantinischen Einfluß.
Unter diesem Einfluß entwickelte sich Ende des XI. und im XII. Jahrh.
eine regere und in ihrer Art recht tüchtige Kleinplastik mit lebendig
erzählendem, wenn auch kindlich naivem Charakter; zumeist in
Elfenbein, worin der bekannte Altarvorsatz im Dom von Salerno das

Hauptstück ist; vereinzelt auch in Stein, wie in den zierlich gearbeiteten
Marmortafeln im Dom zu Neapel, die durchaus im Stil der
Elfenbeinreliefs behandelt sind. Die Berliner Sammlung besitzt
verschiedene Elfenbeinreliefs, die denen in Salerno nahe verwandt sind
(No. 436, 453 u. 454) und offenbar den gleichen Ursprung haben; und
für jene Marmorreliefs erscheinen die Darstellungen aus der Schöpfung
auf einer Elfenbeintafel der Sammlung (No. 455) wie die unbeholfenen,
altertümlichen Vorbilder.
[Abbildung: 28. Büste einer süditalienischen Fürstin.]
In der kurzen Zeit des Friedens und äußeren Gedeihens der
süditalienischen Provinzen unter der Herrschaft Friedrichs II. brachten
die Cosmaten aus Rom ein neues Element in die Dekoration. Aus
dergleichen Zeit oder wenig später sind aber auch einige Stücke großer
Plastik erhalten: verschiedene Porträtbüsten, die sich bisher schwer in
Zusammenhang mit der übrigen Entwickelung der Plastik in Süditalien
bringen ließen. Zwar scheinen die Büsten im Museum zu Capua
vielmehr Arbeiten aus der letzten Verfallzeit römischer Kunst zu sein;
aber es bleiben als zweifellose Arbeiten dieser Zeit ein paar
Frauenbüsten, die der Sigilgaïta Rufolo an der Kanzel im Dom zu
Ravello und zwei verwandte, aber flüchtiger behandelte Reliefköpfe an
derselben Kanzel (vom Jahre 1272), sowie die aus der unmittelbaren
Nachbarschaft von Ravello stammende Büste einer jungen Fürstin in
Berlin (No. 28). Beide Büsten, obgleich unter sich nicht unwesentlich
verschieden, stimmen in dem Streben nach möglichstem Anschluß an
spätrömische Arbeiten, selbst in der technischen Behandlung überein.
Bei der Vereinzelung dieser Bildwerke liegt es näher, dieselben auf
Einflüsse der Kunst der Pisaner Meister (s. S. 16) zurückzuführen, als
umgekehrt daraus auf Süditalien als die Heimat der Kunst des Niccolo
Pisano zu schließen. Wie roh die große Plastik in Süditalien damals
noch war, dafür giebt die Statue Karls von Anjou, die jetzt an der
Treppe des Conservatorenpalastes zu Rom steht, augenfälligen Beweis.
In Venedig und seiner Umgebung finden wir gleichzeitig eine der
süditalienischen verwandte Entwickelung der Plastik: auch hier
verhindert der byzantinische Einfluß eine freie eigenartige Gestaltung;

auch hier sind noch lange Zeit byzantinische Künstler hervorragend
thätig und liefern auch später durch ihre Arbeiten die Vorbilder für die
flüchtigen Nachbildungen der einheimischen Künstler. Mehr noch als
in Süditalien bleibt in Venedig der bildnerische Schmuck auf
ornamentale Verzierungen beschränkt, die mit Tierdarstellungen in
phantastischer Weise verquickt sind. Ein charakteristisches Zeichen für
die Scheu vor freier Skulptur ist der Umstand, daß noch um die Mitte
des XIII. Jahrh. für die Monumente der Dogen antike Sarkophage
benutzt wurden. Wo uns an den Bauten dieser Zeit plastischer Schmuck
begegnet, ist er entweder aus dem Orient herübergeholt oder
orientalischen Vorbildern nachgeahmt. Ausnahmen, wie die Säulen des
Tabernakels in San Marco, (wenn nicht zum Teil früh-christlich),
bestätigen nur die Regel: sie sind ganz nach Art der
Elfenbeinschnitzwerke und der Goldschmiedearbeiten eingeteilt und
mit ganz kleinen Reliefdarstellungen wie übersponnen, Arbeiten, die in
ihrer sauberen, ängstlichen Ausführung jeden größeren bildnerischen
Sinn vermissen lassen. Das Berliner Museum besitzt eine ganze
Sammlung charakteristischer venezianischer Dekorationsstücke, wie
sie noch heute das Äußere und Innere der romanischen Kirchen und die
Fassaden der gleichzeitigen Paläste Venedigs und der Nachbarorte auf
den Inseln in reicher musivischer Anordnung bedecken. (No. 11ff.).
Noch ausschließlicher als in Süditalien und Venedig bleibt in Rom die
Thätigkeit der Bildhauer auf rein dekorative Arbeiten beschränkt; ja
diese verzichtet selbst auf eigentlich plastische Ornamentik und bildet
dafür ein
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