Die Geschwister | Page 7

Johann Wolfgang von Goethe
Sie mit meinem Bruder!
FABRICE (kniet). Engel! Allerliebste!
MARIANNE (einen Augenblick still). Gott! was hab' ich gesagt! (Ab. )
(Fabrice allein.)
FABRICE. Sie ist dein!--Ich kann dem lieben kleinen Narren wohl die
Tändelei mit dem Bruder erlauben; das wird sich so nach und nach
herüber begeben, wenn wir einander näher kennenlernen, und er soll
nichts dabei verlieren. Es tut mir gar wohl, wieder so zu lieben und
gelegentlich wieder so geliebt zu werden! Es ist doch eine Sache,
woran man nie den Geschmack verliert.--Wir wollen zusammen
wohnen. Ohne das hätt' ich des guten Menschen gewissenhafte
Häuslichkeit zeither schon gern ein bißchen ausgeweitet; als Schwager

wird's schon gehen. Er wird sonst ganz Hypochonder mit seinen
ewigen Erinnerungen, Bedenklichkeiten, Nahrungssorgen und
Geheimnissen. Es wird alles hübsch! Er soll freiere Luft atmen; das
Mädchen soll einen Mann haben--das nicht wenig ist; und du kriegst
noch mit Ehren eine Frau--das viel ist!
(Wilhelm kommt.)
FABRICE. Ist dein Spaziergang zu Ende?
WILHELM. Ich ging auf den Markt und die Pfarrgasse hinauf und an
der Börse zurück. Mir ist's eine wunderliche Empfindung, nachts durch
die Stadt zu gehen. Wie von der Arbeit des Tages alles teils zur Ruh' ist,
teils darnach eilt, und man nur noch die Emsigkeit des kleinen
Gewerbes in Bewegung sieht! Ich hatte meine Freude an einer alten
Käsefrau, die, mit der Brille auf der Nase, beim Stümpfchen Licht ein
Stück nach dem andern auf die Waage legte und ab--und zuschnitt, bis
die Käuferin ihr Gewicht hatte.
FABRICE. Jeder bemerkt in seiner Art. Ich glaub', es sind viele die
Straße gegangen, die nicht nach den Käsemüttern und ihren Brillen
geguckt haben.
WILHELM. Was man treibt, kriegt man lieb, und der Erwerb im
kleinen ist mir ehrwürdig, seit ich weiß, wie sauer ein Taler wird, wenn
man ihn groschenweise verdienen soll. (Steht einige Augenblicke in
sich gekehrt.) Mir ist ganz wunderbar geworden auf dem Wege. Es sind
mir so viel Sachen auf einmal und durcheinander eingefallen--und das,
was mich im Tiefsten meiner Seele beschäftigt--(Er wird
nachdenkend).
FABRICE (für sich). Es geht mir närrisch; sobald er gegenwärtig ist,
untersteh' ich mich nicht recht, zu bekennen, daß ich Mariannen
liebe.--Ich muß ihm doch erzählen, was vorgegangen ist.--(Laut.)
Wilhelm! sag mir! du wolltest hier ausziehen? Du hast wenig Gelaß
und sitzest teuer. Weißt du ein ander Quartier?
WILHELM (zerstreut). Nein.
FABRICE. Ich dächte, wir könnten uns beide erleichtern. Ich habe da
mein väterliches Haus und bewohne nur den obern Stock, und den
untern könntest du einnehmen; du verheiratest dich doch so bald
nicht.--Du hast den Hof und eine kleine Niederlage für deine Spedition
und gibst mir einen leidlichen Hauszins, so ist uns beiden geholfen.
WILHELM. Du bist gar gut. Es ist mir wahrlich auch manchmal

eingefallen, wenn ich zu dir kam und so viel leer stehen sah, und ich
muß mich so ängstlich behelfen.--Dann sind wieder andere
Sachen--Man muß es eben sein lassen, es geht doch nicht.
FABRICE. Warum nicht?
WILHELM. Wenn ich nun heirate?
FABRICE. Dem wäre zu helfen. Ledig hättest du mit deiner Schwester
Platz, und mit einer Frau ging's ebensowohl.
WILHELM (lächelnd). Und meine Schwester?
FABRICE. Die nähm' ich allenfalls zu mir. (Wilhelm ist still.) Und
auch ohne das. Laß uns ein klug Wort reden.--Ich liebe Mariannen; gib
mir sie zur Frau!
WILHELM. Wie?
FABRICE. Warum nicht? Gib dein Wort! Höre mich, Bruder! Ich liebe
Mariannen! Ich hab's lang überlegt: sie allein, du allein, ihr könnt mich
so glücklich machen, als ich auf der Welt noch sein kann. Gib mir sie!
Gib mir sie!
WILHELM (verworren). Du weißt nicht, was du willst.
FABRICE. Ach, wie weiß ich's! Soll ich dir alles erzählen, was mir
fehlt und was ich haben werde, wenn sie meine Frau und du mein
Schwager werden wirst?
WILHELM (aus Gedanken auffahrend, hastig). Nimmermehr!
nimmermehr!
FABRICE. Was hast du?--Mir tut's weh!--Den Abscheu!--Wenn du
einen Schwager haben sollst, wie sich's doch früh oder spät macht,
warum mich nicht? den du so kennst, den du liebst! Wenigstens glaubt'
ich--
WILHELM. Laß mich!--ich hab' keinen Verstand.
FABRICE. Ich muß alles sagen. Von dir allein hängt mein Schicksal ab.
Ihr Herz ist mir geneigt, das mußt du gemerkt haben. Sie liebt dich
mehr, als sie mich liebt; ich bin's zufrieden. Den Mann wird sie mehr
als den Bruder lieben; ich werde in deine Rechte treten, du in meine,
und wir werden alle vergnügt sein. Ich habe noch keinen Knoten
gesehen, der sich so menschlich schön knüpfte. (Wilhelm stumm. )
Und was alles fest macht--Bester, gib du nur dein Wort, deine
Einwilligung! sag ihr, daß dich's freut, daß dich's glücklich macht! --Ich
hab' ihr Wort.
WILHELM. Ihr Wort?

FABRICE. Sie warf's hin, wie einen scheidenden Blick, der mehr sagte,
als alles Bleiben gesagt hätte. Ihre Verlegenheit und ihre Liebe, ihr
Wollen und Zittern, es war so schön!
WILHELM. Nein! nein!
FABRICE. Ich versteh' dich nicht. Ich fühle, du hast keinen
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