ein ungeheurer
Gegensatz, nach Ursprung und Zielen, zwischen der Kunst des Bildners,
der apollinischen, und der unbildlichen Kunst der Musik, als der des
Dionysus, besteht: beide so verschiedne Triebe gehen neben einander
her, zumeist im offnen Zwiespalt mit einander und sich gegenseitig zu
immer neuen kräftigeren Geburten reizend, um in ihnen den Kampf
jenes Gegensatzes zu perpetuiren, den das gemeinsame Wort "Kunst"
nur scheinbar überbrückt; bis sie endlich, durch einen metaphysischen
Wunderakt des hellenischen "Willens", mit einander gepaart erscheinen
und in dieser Paarung zuletzt das ebenso dionysische als apollinische
Kunstwerk der attischen Tragödie erzeugen.
Um uns jene beiden Triebe näher zu bringen, denken wir sie uns
zunächst als die getrennten Kunstwelten des Traumes und des Rausches;
zwischen welchen physiologischen Erscheinungen ein entsprechender
Gegensatz, wie zwischen dem Apollinischen und dem Dionysischen zu
bemerken ist. Im Traume traten zuerst, nach der Vorstellung des
Lucretius, die herrlichen Göttergestalten vor die Seelen der Menschen,
im Traume sah der grosse Bildner den entzückenden Gliederbau
übermenschlicher Wesen, und der hellenische Dichter, um die
Geheimnisse der poetischen Zeugung befragt, würde ebenfalls an den
Traum erinnert und eine ähnliche Belehrung gegeben haben, wie sie
Hans Sachs in den Meistersingern giebt:
Mein Freund, das grad' ist Dichters Werk, dass er sein Träumen deut'
und merk'. Glaubt mir, des Menschen wahrster Wahn wird ihm im
Traume aufgethan: all' Dichtkunst und Poëterei ist nichts als
Wahrtraum-Deuterei.
Der schöne Schein der Traumwelten, in deren Erzeugung jeder Mensch
voller Künstler ist, ist die Voraussetzung aller bildenden Kunst, ja auch,
wie wir sehen werden, einer wichtigen Hälfte der Poesie. Wir geniessen
im unmittelbaren Verständnisse der Gestalt, alle Formen sprechen zu
uns, es giebt nichts Gleichgültiges und Unnöthiges. Bei dem höchsten
Leben dieser Traumwirklichkeit haben wir doch noch die
durchschimmernde Empfindung ihres Scheins: wenigstens ist dies
meine Erfahrung, für deren Häufigkeit, ja Normalität, ich manches
Zeugniss und die Aussprüche der Dichter beizubringen hätte. Der
philosophische Mensch hat sogar das Vorgefühl, dass auch unter dieser
Wirklichkeit, in der wir leben und sind, eine zweite ganz andre
verborgen liege, dass also auch sie ein Schein sei; und Schopenhauer
bezeichnet geradezu die Gabe, dass Einem zu Zeiten die Menschen und
alle Dinge als blosse Phantome oder Traumbilder vorkommen, als das
Kennzeichen philosophischer Befähigung. Wie nun der Philosoph zur
Wirklichkeit des Daseins, so verhält sich der künstlerisch erregbare
Mensch zur Wirklichkeit des Traumes; er sieht genau und gern zu:
denn aus diesen Bildern deutet er sich das Leben, an diesen Vorgängen
übt er sich für das Leben. Nicht etwa nur die angenehmen und
freundlichen Bilder sind es, die er mit jener Allverständigkeit an sich
erfährt: auch das Ernste, Trübe, Traurige, Finstere, die plötzlichen
Hemmungen, die Neckereien des Zufalls, die bänglichen Erwartungen,
kurz die ganze "göttliche Komödie" des Lebens, mit dem Inferno, zieht
an ihm vorbei, nicht nur wie ein Schattenspiel - denn er lebt und leidet
mit in diesen Scenen - und doch auch nicht ohne jene flüchtige
Empfindung des Scheins; und vielleicht erinnert sich Mancher, gleich
mir, in den Gefährlichkeiten und Schrecken des Traumes sich mitunter
ermuthigend und mit Erfolg zugerufen zu haben: "Es ist ein Traum! Ich
will ihn weiter träumen!" Wie man mir auch von Personen erzählt hat,
die die Causalität eines und desselben Traumes über drei und mehr
aufeinanderfolgende Nächte hin fortzusetzen im Stande waren:
Thatsachen, welche deutlich Zeugniss dafür abgeben, dass unser
innerstes Wesen, der gemeinsame Untergrund von uns allen, mit tiefer
Lust und freudiger Nothwendigkeit den Traum an sich erfährt.
Diese freudige Nothwendigkeit der Traumerfahrung ist gleichfalls von
den Griechen in ihrem Apollo ausgedrückt worden: Apollo, als der
Gott aller bildnerischen Kräfte, ist zugleich der wahrsagende Gott. Er,
der seiner Wurzel nach der "Scheinende", die Lichtgottheit ist,
beherrscht auch den schönen Schein der inneren Phantasie-Welt. Die
höhere Wahrheit, die Vollkommenheit dieser Zustände im Gegensatz
zu der lückenhaft verständlichen Tageswirklichkeit, sodann das tiefe
Bewusstsein von der in Schlaf und Traum heilenden und helfenden
Natur ist zugleich das symbolische Analogon der wahrsagenden
Fähigkeit und überhaupt der Künste, durch die das Leben möglich und
lebenswerth gemacht wird. Aber auch jene zarte Linie, die das
Traumbild nicht überschreiten darf, um nicht pathologisch zu wirken,
widrigenfalls der Schein als plumpe Wirklichkeit uns betrügen würde -
darf nicht im Bilde des Apollo fehlen: jene maassvolle Begrenzung,
jene Freiheit von den wilderen Regungen, jene weisheitsvolle Ruhe des
Bildnergottes. Sein Auge muss "sonnenhaft", gemäss seinem
Ursprunge, sein; auch wenn es zürnt und unmuthig blickt, liegt die
Weihe des schönen Scheines auf ihm. Und so möchte von Apollo in
einem excentrischen Sinne das gelten, was Schopenhauer von dem im
Schleier der Maja befangenen Menschen sagt. Welt als Wille und
Vorstellung I, S. 416 "Wie auf dem tobenden Meere, das, nach allen
Seiten unbegränzt, heulend Wellenberge erhebt und senkt, auf einem
Kahn ein Schiffer sitzt, dem schwachen Fahrzeug vertrauend; so sitzt,
mitten in einer Welt von Qualen, ruhig der einzelne Mensch, gestützt
und vertrauend auf
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