Schnuck, sehr wichtig und sehr traurig zugleich.
»Honig werden Sie selten in den Taschen der Menschen finden. Ich
will Ihnen sagen, was darin war: es war ein Frosch, ein Taschenschwert
und eine gelbe Rübe. Nun?«
»Schaurig,« flüsterte Maja, »was ist ein Taschenschwert?«
»Es ist gewissermaßen der künstliche Stachel des Menschen. Da ihm
die Natur diese Waffe versagt hat, sucht er sie nachzubilden. Der
Frosch war gottlob bereits im Begriff, das Zeitliche zu segnen. Er hatte
ein Auge verloren, ein Bein gebrochen und sein Unterkiefer war
ausgerenkt. Aber sobald mein Bruder in der Tasche erschien, zischte
der Frosch aus seinem schiefen Maul:
'Wenn ich genesen bin, werde ich Sie unverzüglich verschlingen.'
Dabei schielte er mit dem übriggebliebenen Auge auf den
bedauernswerten Ankömmling. Dieser Blick muß in der Dämmerung
des Gefängnisses auf das furchtbarste gewirkt haben. Mein Bruder hat
die Besinnung verloren, als er gleich darauf durch eine unerwartete
Erschütterung so gegen den Frosch gepreßt wurde, daß seine Flügel an
dem kalten nassen Leib des Sterbenden kleben blieben. O, man kann
keine Worte finden, um dies Elend in der treffendsten Weise zu
kennzeichnen.«
»Woher wissen Sie das alles?« stotterte Maja aufs äußerste entsetzt.
»Später warf der Knabe meinen Bruder und den Frosch fort, als er
Hunger bekam und die Rübe suchte, um sie zu verzehren. Ich fand sie
nebeneinander im Gras liegen, angelockt durch die Hilferufe meines
Bruders. Aber ich kam nur noch zeitig genug, um alles zu hören und
ihm die Augen zuzudrücken. Er legte seinen Arm um meinen Hals und
küßte mich zum Abschied. Dann starb er tapfer und ohne Klage, als ein
kleiner Held. Als das letzte Beben seiner zerknitterten Flügel aufgehört
hatte, legte ich Eichblätter über ihn und suchte ein erblühtes
Männertreu, dessen blaue Blume zu seiner Ehre auf dem Hügel
verwelken sollte. 'Leb wohl,' rief ich, 'schlaf gut, mein kleiner Bruder',
und flog in den stillen Abend hinaus, den beiden roten Sonnen
entgegen, denn man sah die Sonne zweimal, am Abendhimmel und im
See. So traurig und feierlich ist noch niemandem zumut gewesen. -- Ist
Ihnen auch schon etwas Trauriges passiert? Dann erzählen Sie es mir
vielleicht ein andermal.«
»Nein,« sagte Maja, »ich bin eigentlich bis jetzt immer froh gewesen.«
»Da können Sie Gott danken«, meinte Schnuck, etwas enttäuscht.
Maja fragte nach dem Frosch.
»Ach so, der«, sagte Schnuck. »Er erlitt voraussichtlich den Tod, den er
verdiente. Wie konnte er nur die Herzenshärtigkeit aufbringen, einen
Sterbenden zu ängstigen? Er versuchte damals zu entkommen, aber da
sein eines Bein sowohl als auch sein eines Auge völlig außer Tätigkeit
gesetzt waren, hüpfte er ununterbrochen im Kreise herum. Es sah
außerordentlich komisch aus. 'So wird der Storch Sie bald gefunden
haben', rief ich ihm zu, bevor ich davonflog.«
»Der arme Frosch«, sagte die kleine Maja.
»Nun, ich muß doch bitten,« meinte die Libelle nicht ohne Entrüstung,
»Sie gehn zu weit. Einen Frosch bedauern, heißt sich in den eigenen
Flügel schneiden. Sie sind eine gewissenlose Person, wie mir scheint.«
»Das kann ja sein,« antwortete Maja, »aber es wird mir sehr schwer,
jemanden leiden zu sehn.«
»O,« tröstete sie Schnuck, »das liegt an Ihrer Jugend, Sie werden es
lernen, nur Mut, meine Freundin. Aber ich muß nun fort in die Sonne.
Es ist hier reichlich kühl. Leben Sie wohl!«
Es klirrte leise, und tausend helle Farben blitzten auf, blasse, liebliche
Farben, wie rinnendes Wasser sie hat und klare Edelsteine. Schnuck
schwang sich durch die grünen Schilfhalme bis auf die Oberfläche des
Wassers, und Maja hörte sie in der Morgensonne singen. Sie lauschte
dem feinen Gesang, der etwas von der schwermütigen Süßigkeit eines
Volksliedes hatte und das Herz der kleinen Maja fröhlich stimmte und
traurig zugleich. Es klang zu ihr herüber:
Lieblich ist der stille Fluß, wenn der Morgensonne Gruß seine Flut
getroffen. Wo der grüne Schilfhalm weht und die Wasserrose steht,
weiß und gelb und offen.
Warmer Duft und Wind und Flut, auf den Flügeln Sonnenglut und im
Herzen Freude. Ach, das Leben ist nicht lang, goldner Sommer, habe
Dank, herrlich ist es heute.
»Horch, das Lied der Libelle erschallt«, rief ein weißer Schmetterling
seiner Freundin zu. Sie schaukelten sich dicht an Maja vorüber durch
das strahlende Blau des schönen Tags. Da hob auch die kleine Biene
ihre Flügel, und mit leisem Summen begrüßte sie den silbernen See
zum Abschied und flog landeinwärts davon.
Viertes Kapitel
+Iffi und Kurt+
Als die kleine Maja am anderen Morgen im Kelch einer blauen
Glockenblume erwachte, hörte sie, daß die Luft von einem feinen
leisen Rauschen erfüllt war, und sie spürte, daß die Blume sich bewegte,
als bekäme sie heimlich kleine Stöße. Durch ihren geöffneten Kelch
zog ein feuchter Geruch von Gras und Erde, und es war sehr kühl.
Maja nahm ängstlich ein wenig Blütenstaub von den gelben
Staubgefäßen der Blume, machte dann sorgfältig Morgentoilette und
wagte sich vorsichtig Schritt für Schritt bis an den äußersten Rand des
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