Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde | Page 5

Klabund
des deutschen Geistes, der dann am tiefsten ist, wenn er aus dem Unbewu?ten steigt, dann am reinsten, wenn er aus den dunkelsten Quellen sch?pft. Diese Dichter ohne Namen tragen den Himmel in ihren H?nden, aber sie stehen mit beiden Beinen fest auf der Erde.
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Die Entwicklung des Menschengeschlechtes geht in Wellenbewegungen vor sich, wobei Wellenberg und Wellental einander folgen und der Scheitelpunkt des Wellenberges sich nur langsam erh?ht. Mit Walter von der Vogelweide, Gottfried von Stra?burg, Wolfram von Eschenbach und dem Nibelungenliede hatte die junge deutsche Dichtung eine H?he erreicht, von der sie bald kl?glich wieder abstürzen sollte. Das Rittertum zerfiel und mit dem Rittertum die Ritterpoesie. Teils artete sie in allegorische Spielerei, teils in aufgeblasene Geckigkeit aus. Die Dichtung floh barfü?ig und barh?uptig auf die Landstra?e und fristete im Munde der Fahrenden von Dorf zu Dorf, von Haus zu Haus ihr Leben. Ins 15. und 16. Jahrhundert f?llt die Blütezeit des deutschen Volksliedes. Zuweilen nahm sie ein Kloster auf, Dann sangen die Nonnen ein Lied, wie das geistliche Trinklied der Nonnen am Niederrhein. Zuweilen fand sie Unterschlupf bei braven Bürgersleuten. Das Bürgertum war im Aufstieg begriffen. Es gab wohlhabende Bürger, deren S?hne sich das Dichten leisten konnten. Sie meinten, die Dichtung würde sich hinter dem Ofen, in der W?rme, in dem Dunst satter Beh?bigkeit recht wohl fühlen. Sie stopften ihr den Magen mit allerlei guten Dingen, aber sie taten des Guten zuviel, da? sie erbrach. Von der grazi?sen Handhabung der Sprache durch Meister wie Gottfried oder Walter blieb nicht viel übrig. Der Rhythmus fiel auseinander -- was Hebung, was Senkung --, man z?hlte einfach die Silben zusammen. Aus dem Minnesang erwuchs der Meistergesang. Der Tiroler Oswald v.?Wolkenstein (+?1445) versuchte noch einmal den ritterlichen Pegasus aufzuz?umen. Er brach unter ihm zusammen; seine Zeitgenossen nahmen das Zaumzeug und schnitten die Flügel von dem verendenden Tier. Sie klebten sie ihren plumpen Dorf- und Stadtg?ulen an und bildeten sich nun ein, sie würden fliegen. Die ritterliche Rüstung schepperte als viel zu gro? um ihre dürren Glieder. Auch wagten sie, ihrer Unzul?nglichkeit irgendwie bewu?t, schon nicht mehr einzeln als Individualisten aufzutreten. Sie dichteten kollektiv gleich in ganzen Gruppen, Gilden und Vereinen. Sie imitierten die Form ohne den Geist. Diese Form ist lehr- und lernbar. Man wird, wie beim Handwerk, erst Dichterlehrling, dann Dichtergeselle, dann Dichtermeister. Wobei Dichter- und B?ckermeister oft dasselbe sind. Aber die Brote geraten ihnen besser als die Gedichte. In den Meistersingerschulen wurde nach der Tabulatur das Dichter-Abc gelehrt. Um 1450 wurde die erste Meistersingerschule in Augsburg gegründet. Wenige Jahre sp?ter finden sie sich in fast allen gr??eren St?dten. Sie fechten Wettk?mpfe miteinander aus. Sie überbieten sich in der Erfindung verschrobener und gekünstelter Versma?e. Der Vollender und überwinder des Meistersanges ist Hans Sachs, geboren 1494 in Nürnberg, das eine der berühmtesten Meistersingerschulen sein eigen nannte. Hans Sachs war Schuhmacherlehrling, als ihm der Weber Nunnenbeck die Anfangsgründe der Meistersingerkunst beibrachte. Er ging wie ein rechter Schuster auf die Wanderschaft, kehrte, nachdem er so viele Erfahrungen gesammelt als er Schuhe besohlt hatte, 1519 in seine Heimat zurück, die durch Peter Vischer und Albrecht Dürer zu einem Haupt- und Vorort deutscher Kultur geworden war. Seine eigentlichen Meisterges?nge (über 4000) sind unbedeutend, da und dort überraschen sie durch ein originelles Bild oder eine witzige Wendung. Freier entfaltet sich sein Talent schon in seinen Sprüchen (etwa 1800), die in ihren kurzen Reimpaaren klingen, als w?ren sie mit dem Schusterhammer zusammengeklopft. Hans Sachs war einer der ersten, die sich in Nürnberg zu Luther bekannten. Einzigartig zeigt er sich in seinen (über 1000) Schw?nken und Fastnachtsspielen. Sein Humor ist der Humor der deutschen Seele. Seinen Witz hat er aus seiner Handwerksburschenzeit bis in sein 82. Jahr hinübergerettet. Er hat es in seinen Schw?nken auf moralische Wirkung abgesehen, aber diese moralische Wirkung erstickt in einem Gel?chter oder tritt zurück hinter dem Wie der Darstellung. Wir nehmen die Menschen aus seiner Hand entgegen wie aus Gottes Hand: so wie sie sind: gut und b?se. Wie langweilig w?re die Welt, wenn alle Menschen brav w?ren und alle eine moralische, einheitliche graue Tugenduniform trügen. (Gott selber würde sich zu Tode langweilen und kurz vor seinem Tode noch den Teufel neu erschaffen.) Wenn es nur noch Hasen auf der Welt g?be und keinen Fuchs mehr, der den Hasen fri?t, und keinen J?ger, der sie beide schie?t und sich den Hasen braten l??t! Dies nur nebenbei zu Hans Sachs.
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Die Welt krachte damals in allen Fugen. Die ersten Wehen der Reformation kündeten eine neue ?ra an. Sebastian Brant aus Stra?burg (1458-1521) hatte als Sohn eines Gastwirtes früh offene Augen für die L?cherlichkeiten und Laster seiner Mitmenschen bekommen. In übergangszeiten, wo die Begriffe schwanken und wie Karten eines Kartenspieles durcheinandergemischt werden, pflegen sich alle n?rrischen Eitelkeiten der Menschheit wie in einem konkaven Spiegel noch ins Breite zu verzerren und zu
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