Der niegeküßte Mund | Page 3

Jakob Wasserman
und Staub. Der Kr?mer hatte schmunzelnd den Fund verschenkt, welcher die Aufzeichnungen einer Marquise Bourguignon enthielt, von einem Kammerherrn, Exzellenz, beh?big und schn?rkelhaft in das Deutsch des achtzehnten Jahrhunderts übertragen.
Nun sitzt da weltfern und lebensfremd ein Schulmeisterlein in seiner engen Kammer und vertieft sich dumpfen und erschrockenen Sinnes in die frivolen Erinnerungen der Hofdame. Ein goldgieriger R?uber steigt durchs Fenster, aber das Fr?ulein, fast noch ein Kind, gibt gutlaunig Edleres hin. Der würdige Pater im Beichtstuhl zeigt sich nachsichtig gegen Sünden, an deren Begehung er teilnehmen darf. Auf der Treppe kü?t die reizende Marquise ihrem Geliebten das Herz aus dem Leibe, w?hrend zehn Stufen h?her der arme Gatte nach der Lampe ruft. M?nch und Nonne, Fürst und Lakai, Bauer und Soldat, Kavalier und Bürgerin nehmen teil am übermütigen Tanz der Liebe, ja die Dinge der unbelebten Welt sind ergriffen vom heiteren Taumel, der Himmel wiederhallt vom frohsinnigen Gel?chter, und die grazi?sen Geister der Galanterie werfen jauchzend bunte Tücher über Gr?ber und Schlachtfelder. Was Gesetze, Philosophen, Zukunft, Religion! Kein Schauer der Ewigkeit für diese l?chelnde Bacchantin und ihre Liebeskünste.
Es sind ja l?ngstvergangene Zeiten, dachte schlie?lich Philipp Unruh furchtsam. Das ist damals so gewesen, durfte damals so sein, denn es war eine Zeit der Barbarei, eine wilde, sittenlose Zeit. Heute ist die Welt still geworden; nichts ist mehr zu erblicken von solch übertriebenem Abenteuerzeug. Ein jeder Mann geht wacker dem Gesch?fte nach, ein jedes Weib wohnt züchtig in seinem Hause, und es regiert die Ordnung. T?richte Leidenschaften der Vergangenheit mit eurem überschwang und eurer Gef?hrlichkeit, dachte der Lehrer mitleidig und war zufrieden damit, einem besseren Jahrhundert anzugeh?ren.
Daneben war aber etwas Unbestimmtes und Hinterlistiges, das ihn qu?lte. Bei all dem Herumdenken suchte er sich heimlich zu beschwindeln, und das wu?te er. Exzellenz Kammerherr hatte sich da eine teuflische Sache ausgesucht für seine lahme Feder. Mit b?ser Z?higkeit kamen und gingen Bilder, und Philipp Unruh schaute sie an mit wildfremden Gefühlen. Er, der alle Dinge über sich ergehen und herabsinken lie? wie Schnee, fühlte pl?tzlich etwas wie Lebenslast und -besinnung.
Endlich schien es ihm genug des Tr?umens. Er schlo? das Fenster, ging noch eine Weile zwischen den leeren Schulb?nken auf und ab, trotz der Dunkelheit sicher den Weg findend und suchte dann seine Studier- und Schlafstube auf, um sich zur Ruhe zu begeben.
Drittes Kapitel
Ziemlich viele Menschen waren in der Kantorwohnung versammelt, Ortswürdentr?ger und andere Leute. Es gab auch solche, die nur gekommen waren, um für eine Stunde der Winterk?lte zu entrinnen. Der Auktionator war ein dicker Mann mit einer milit?rischen Fistelstimme. Bei den billigen Gegenst?nden wurde er herablassend, fast gn?dig, und sein Würdegefühl stieg um so mehr, je geringer sich die Kauflust erwies. Doktor Maspero erstand einen Schreibtisch, der Bürgermeister ein Dutzend leere Flaschen, der Tr?dler Most die Gebetbücher, das ?Kasino? einen Teppich.
?Eine Chronik!? rief der Auktionator finster.
?Eine Chronik für Unruh!? witzelte der Doktor.
?Eine Chronik der Markgrafschaft Ansbach,? sagte der Auktionator streng, wartete, bis das Gel?chter zu Ende war und fügte ver?chtlich hinzu: ?Zwei Mark zum ersten.?
?Drei Mark,? murmelte Philipp Unruh schüchtern. Einige kehrten sich l?chelnd um, denn er stand an der Rückwand des Raums. Die Gesch?ftigkeit hier hatte ihn aus irgend einem Grund betrübt gemacht. Alle Gegenst?nde, die unter den Hammer kamen, hatten einen Schein von Pers?nlichem, von Zusammengeh?rigkeit, sahen aus wie Glieder einer Familie, die in die Welt verstreut werden sollten. Etwas wie Todestrauer lag über ihnen, besonders über dem schwarzen Ledersofa im Winkel. Es war, als s??e der alte Kantor unsichtbar darin und betrachte mit mürrischem Gesicht die entrückte, kunterbunte Welt.
Die Fistelstimme rief mit beleidigtem Ausdruck den Taler zum zweitenmal ab.
?Fünf Mark,? sagte jemand, der eben eingetreten war. Alle drehten sich um, und die Mienen wurden zurückhaltend und unzufrieden, als man den neuen Provisor sah.
Philipp Unruh erbebte. Er blickte nach Apollonius Siebengeist und dachte erbittert: der reine Adonis. Warum er gerade diese Bezeichnung w?hlte, und warum es in einer geh?ssigen Bedeutung geschah, blieb ihm r?tselhaft. Der Auktionator nahm das h?here Angebot mit erwachendem Interesse zur Kenntnis.
?Zwei Taler?, erwiderte der Lehrer mit dünner und unsicherer Stimme. Die Leute wurden neugierig, dr?ngten sich zusammen und sahen zu, als ob ein Hahnenkampf vor sich ginge. Der Lehrer sch?mte sich wie jemand, der auf irgend eine Weise Interesse erregt, ohne es rechtfertigen zu k?nnen.
?Drei Taler,? sagte Siebengeist mit kaltem L?cheln. Er stand an den Pfosten gelehnt, beide H?nde in den Taschen seines Pelzmantels, in der nachl?ssigen Haltung eines Mannes von Welt. In Philipp Unruh erwachte ein trüber Zorn. Doch wie alle schwachen Menschen, die sich beleidigt oder übervorteilt sehen, hatte er den Wunsch, dem Gegner sein Anrecht logisch und herzlich zu beweisen. Er hatte die dunkle Empfindung, als müsse er hingehen und dem Manne sagen, wie viel ihm der Besitz der Chronik wert sei, und wie er sich darauf gefreut habe, sie erwerben zu k?nnen. Besonders den Umstand seiner Freude und Erwartung wollte er betonen. Indessen
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