Der junge Gelehrte | Page 6

Gotthold Ephraim Lessing
geht gar noch etwas ?rgers in deinem Gehirne vor. Ich frage dich, ob du Julianens Vater noch gekannt hast?
Damis. Verzeihen Sie mir, wann ich ein wenig zerstreut geantwortet habe! Ich dachte eben nach,--warum wohl die Rabbinen--das Schurek M'lo Pum hei?en.
Chrysander. Mit dem verdammten Schurek! Gib doch auf das acht, was der Vater mit dir spricht!--(Er nimmt ihm das Buch aus der Hand.) Du hast ihn also nicht gekannt? Ich besinne mich; es ist auch nicht wohl m?glich. Als er starb, war Juliane noch sehr jung. Ich nahm sie gleich nach seinem Tode in mein Haus, und Gott sei Dank! sie hat viel Wohltaten hier genossen. Sie ist sch?n, sie ist tugendhaft; wem sollte ich sie also lieber g?nnen als dir? Was meinst du?--Antworte doch! Stehst du nicht da, als wenn du schliefest!--
Damis. Ja, ja, Herr Vater. Nur eins ist noch dabei zu erw?gen.--
Chrysander. Du hast recht; freilich ist noch eins dabei zu erw?gen: ob du dich n?mlich geschickt befindest, bald ein ?ffentliches Amt anzunehmen, weil doch--
Damis. Wie? geschickt? geschickt? Sie zweifeln also an meiner Geschicklichkeit?--Wie unglücklich bin ich, da? ich Ihnen nicht sogleich die unwidersprechlichsten Beweise geben kann! Doch es soll noch diesen Abend geschehen. Glauben Sie mir, noch diesen Abend.--Die verdammte Post! Ich wei? auch nicht, wo sie bleibt.
Chrysander. Beruhige dich nur, mein Sohn. Die Frage geschahe eben aus keinem Mi?trauen, sondern blo? weil ich glaube, es schicke sich nicht, eher zu heiraten, als bis man ein Amt hat; so wie es sich, sollte ich meinen, auch nicht wohl schickt, eher ein Amt anzunehmen, als bis man wei?, woher man die Frau bekommen will.
Damis. Ach, was heiraten? was Frau? Erlauben Sie mir, da? ich Sie allein lasse. Ich mu? ihn gleich wieder auf die Post schicken. Anton! Anton! Doch es ist mit dem Schlingel nichts anzufangen; ich mu? nur selbst gehen.

Sechster Auftritt
Anton. Chrysander.
Anton. Rufte mich nicht Herr Damis? Wo ist er? was soll ich?
Chrysander. Ich wei? nicht, was ihm im Kopfe steckt. Er ruft dich; er will dich auf die Post schicken; er besinnt sich, da? mit dir Schlingel nichts anzufangen ist, und geht selber. Sage mir nur, willst du zeitlebens ein Esel bleiben?
Anton. Gemach, Herr Chrysander! ich nehme an den Torheiten Ihres Sohnes keinen Teil. Mehr als zw?lfmal habe ich ihm heute schon auf die Post laufen müssen. Er verlangt Briefe von Berlin. Ist es meine Schuld, da? sie nicht kommen?
Chrysander. Der wunderliche Heilige! Du bist aber nun schon so lange um ihn; solltest du nicht sein Gemüt, seine Art zu denken ein wenig kennen?
Anton. Ha! ha! das k?mmt darauf hinaus, was wir Gelehrten die Kenntnis der Gemüter nennen? Darin bin ich Meister; bei meiner Ehre! Ich darf nur ein Wort mit einem reden; ich darf ihn nur ansehen: husch, habe ich den ganzen Menschen weg! Ich wei? sogleich, ob er vernünftig oder eigensinnig, ob er freigebig oder ein Knicker--
Chrysander. Ich glaube gar, du zeigst auf mich?
Anton. O kehren Sie sich an meine H?nde nicht!--Ob er--
Chrysander. Du sollst deine Kunst gleich zeigen! Ich habe meinem Sohne eine Heirat vorgeschlagen: nun sage einmal, wenn du ihn kennst, was wird er tun?
Anton. Ihr Herr Sohn? Herr Damis? Verzeihen Sie mir, bei dem geht meine Kunst, meine sonst so wohl versuchte Kunst, betteln.
Chrysander. Nu, Schurke, so geh mit und prahle nicht!
Anton. Die Gemütsart eines jungen Gelehrten kennen wollen und etwas daraus schlie?en wollen, ist unm?glich; und was unm?glich ist, Herr Chrysander--das ist unm?glich.
Chrysander. Und wieso?
Anton. Weil er gar keine hat.
Chrysander. Gar keine?
Anton. Nein, nicht gar keine; sondern alle Augenblicke eine andre. Die Bücher und die Exempel, die er liest, sind die Winde, nach welchen sich der Wetterhahn seiner Gedanken richtet. Nur bei dem Kapitel vom Heiraten stehenzubleiben, weil das einmal auf dem Tapete ist, so besinne ich mich, da?--Denn vor allen Dingen müssen Sie wissen, da? Herr Damis nie etwas vor mir verborgen hat. Ich bin von jeher sein Vertrauter gewesen und von jeher der, mit dem er sich immer am liebsten abgegeben hat. Ganze Tage, ganze N?chte haben wir manchmal auf der Universit?t miteinander disputiert. Und ich wei? nicht, er mu? doch so etwas an mir finden; etwa eine Eigenschaft, die er an andern nicht findet--
Chrysander. Ich will dir sagen, was das für eine Eigenschaft ist: deine Dummheit! Es erg?tzt ihn, wenn er sieht, da? er gelehrter ist als du. Bist du nun vollends ein Schalk und widersprichst ihm nicht und lobst ihn ins Gesicht und bewunderst ihn--
Anton. Je verflucht! da verraten Sie mir ja meine ganze Politik! Wie schlau ein alter Kaufmann nicht ist!
Chrysander. Aber vergi? das Hauptwerk nicht! Vom Heiraten--
Anton. Ja darüber hat er schon Teufelsgrillen im Kopfe gehabt. Zum Exempel: ich wei? die Zeit, da er gar nicht heiraten wollte.
Chrysander. Gar nicht? so mu? ich noch heiraten. Ich werde doch meinen Namen nicht untergehen lassen? Der B?sewicht! Aber warum denn nicht?
Anton. Darum: weil es einmal Gelehrte gegeben
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