Der Tod in Venedig | Page 5

Thomas Mann
er ?ffentlich gestrauchelt, hatte Mi?griffe getan, sich blo?gestellt, Verst??e gegen Takt und Besonnenheit begangen in Wort und Werk. Aber er hatte die W��rde gewonnen, nach welcher, wie er behauptete, jedem gro?en Talente ein nat��rlicher Drang und Stachel eingeboren ist, ja, man kann sagen, da? seine ganze Entwicklung ein bewu?ter und trotziger, alle Hemmungen des Zweifels und der Ironie zur��cklassender Aufstieg zur W��rde gewesen war.
Lebendige, geistig unverbindliche Greifbarkeit der Gestaltung bildet das Erg?tzen der b��rgerlichen Massen, aber leidenschaftlich unbedingte Jugend wird nur durch das Problematische gefesselt: und Aschenbach war problematisch, war unbedingt gewesen wie nur irgendein J��ngling. Er hatte dem Geiste gefr?nt, mit der Erkenntnis Raubbau getrieben, Saatfrucht vermahlen, Geheimnisse preisgegeben, das Talent verd?chtigt, die Kunst verraten,--ja, w?hrend seine Bildwerke die gl?ubig Genie?enden unterhielten, erhoben, belebten, hatte er, der jugendliche K��nstler, die Zwanzigj?hrigen durch seine Zynismen ��ber das fragw��rdige Wesen der Kunst, des K��nstlertums selbst in Atem gehalten.
Aber es scheint, da? gegen nichts ein edler und t��chtiger Geist sich rascher, sich gr��ndlicher abstumpft als gegen den scharfen und bitteren Reiz der Erkenntnis; und gewi? ist, da? die schwerm��tig gewissenhafteste Gr��ndlichkeit des J��nglings Seichtheit bedeutet im Vergleich mit dem tiefen Entschlusse des Meister gewordenen Mannes, das Wissen zu leugnen, es abzulehnen, erhobenen Hauptes dar��ber hinwegzusehen, sofern es den Willen, die Tat, das Gef��hl und selbst die Leidenschaft im Geringsten zu l?hmen, zu entmutigen, zu entw��rdigen geeignet ist. Wie w?re die ber��hmte Erz?hlung vom ?Elenden? wohl anders zu deuten denn als Ausbruch des Ekels gegen den unanst?ndigen Psychologismus der Zeit, verk?rpert in der Figur jenes weichen und albernen Halbschurken, der sich ein Schicksal erschleicht, indem er sein Weib, aus Ohnmacht, aus Lasterhaftigkeit, aus ethischer Velleit?t, in die Arme eines Unb?rtigen treibt und aus Tiefe Nichtsw��rdigkeiten begehen zu d��rfen glaubt? Die Wucht des Wortes, mit welchem hier das Verworfene verworfen wurde, verk��ndete die Abkehr von allem moralischen Zweifelsinn, von jeder Sympathie mit dem Abgrund, die Absage an die Laxheit des Mitleidssatzes, da? alles verstehen alles verzeihen hei?e, und was sich hier vorbereitete, ja schon vollzog, war jenes ?Wunder der wiedergeborenen Unbefangenheit?, auf welches ein wenig sp?ter in einem der Dialoge des Autors ausdr��cklich und nicht ohne geheimnisvolle Betonung die Rede kam. Seltsame Zusammenh?nge! War es eine geistige Folge dieser ?Wiedergeburt?, dieser neuen W��rde und Strenge, da? man um dieselbe Zeit ein fast ��berm??iges Erstarken seines Sch?nheitssinnes beobachtete, jene adelige Reinheit, Einfachheit und Ebenm??igkeit der Formgebung, welche seinen Produkten fortan ein so sinnf?lliges, ja gewolltes Gepr?ge der Meisterlichkeit und Klassizit?t verlieh? Aber moralische Entschlossenheit jenseits des Wissens, der aufl?senden und hemmenden Erkenntnis,--bedeutet sie nicht wiederum eine Vereinfachung, eine sittliche Vereinf?ltigung der Welt und der Seele und also auch ein Erstarken zum B?sen, Verbotenen, zum sittlich Unm?glichen? Und hat Form nicht zweierlei Gesicht? Ist sie nicht sittlich und unsittlich zugleich,--sittlich als Ergebnis und Ausdruck der Zucht, unsittlich aber und selbst widersittlich, sofern sie von Natur eine moralische Gleichg��ltigkeit in sich schlie?t, ja, wesentlich bestrebt ist, das Moralische unter ihr stolzes und unumschr?nktes Szepter zu beugen?
Wie dem auch sei! Eine Entwicklung ist ein Schicksal; und wie sollte nicht diejenige anders verlaufen, die von der Teilnahme, dem Massenzutrauen einer weiten ?ffentlichkeit begleitet wird, als jene, die sich ohne den Glanz und die Verbindlichkeiten des Ruhmes vollzieht? Nur ewiges Zigeunertum findet es langweilig und ist zu spotten geneigt, wenn ein gro?es Talent dem libertinischen Puppenstande entw?chst, die W��rde des Geistes ausdrucksvoll wahrzunehmen sich gew?hnt und die Hofsitten einer Einsamkeit annimmt, die voll unberatener, hart selbst?ndiger Leiden und K?mpfe war und es zu Macht und Ehren unter den Menschen brachte. Wieviel Spiel, Trotz, Genu? ist ��brigens in der Selbstgestaltung des Talentes! Etwas Amtlich-Erzieherisches trat mit der Zeit in Gustav Aschenbachs Vorf��hrungen ein, sein Stil entriet in sp?teren Jahren der unmittelbaren K��hnheiten, der subtilen und neuen Abschattungen, er wandelte sich ins Musterg��ltig-Feststehende, Geschliffen-Herk?mmliche, Erhaltende, Formelle, selbst Formelhafte, und wie die ��berlieferung es von Ludwig dem Vierzehnten wissen will, so verbannte der Alternde aus seiner Sprachweise jedes gemeine Wort: Damals geschah es, da? die Unterrichtsbeh?rde ausgew?hlte Seiten von ihm in die vorgeschriebenen Schulleseb��cher ��bernahm. Es war ihm innerlich gem??, und er lehnte nicht ab, als ein deutscher F��rst, soeben zum Throne gelangt, dem Dichter des ?Friedrich? zu seinem f��nfzigsten Geburtstag den pers?nlichen Adel verlieh.
Nach einigen Jahren der Unruhe, einigen Versuchsaufenthalten da und dort w?hlte er fr��hzeitig M��nchen zum dauernden Wohnsitz und lebte dort in b��rgerlichem Ehrenstande, wie er dem Geiste in besonderen Einzelf?llen zuteil wird. Die Ehe, die er in noch jugendlichem Alter mit einem M?dchen aus gelehrter Familie eingegangen, wurde nach kurzer Gl��cksfrist durch den Tod getrennt. Eine Tochter, schon Gattin, war ihm geblieben. Einen Sohn hatte er nie besessen.
Gustav von Aschenbach war ein wenig unter Mittelgr??e, br��nett, rasiert. Sein Kopf erschien ein wenig zu gro? im Verh?ltnis zu der fast zierlichen Gestalt. Sein r��ckw?rts geb��rstetes Haar, am Scheitel gelichtet, an den Schl?fen sehr voll und stark ergraut, umrahmte eine hohe,
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