Der Tod in Venedig | Page 9

Thomas Mann
über dem Wasser stand und noch ein Drittes,
ein Reden, ein Raunen,--das Flüstern des Gondoliers, der zwischen den
Zähnen, stoßweise, in Lauten, die von der Arbeit seiner Arme gepreßt
waren, zu sich selber sprach. Aschenbach blickte auf, und mit leichter
Befremdung gewahrte er, daß um ihn her die Lagune sich weitete und
seine Fahrt dem offenen Meere zugekehrt war. Es schien folglich, daß
er nicht allzu sehr ruhen dürfe, sondern auf den Vollzug seines Willens
ein wenig bedacht sein müsse.
--Zur Dampferstation also! sagte er mit einer halben Wendung
rückwärts. Das Raunen verstummte. Er erhielt keine Antwort.
--Zur Dampferstation also! wiederholte er, indem er sich vollends
umwandte und in das Gesicht des Gondoliers emporblickte, der hinter
ihm, auf erhöhtem Borde stehend, vor dem fahlen Himmel aufragte. Es
war ein Mann von ungefälliger, ja brutaler Physiognomie, seemännisch
blau gekleidet, mit einer gelben Schärpe gegürtet und einen formlosen
Strohhut, dessen Geflecht sich aufzulösen begann, verwegen schief auf
dem Kopfe. Seine Gesichtsbildung, sein blonder, lockiger Schnurrbart
unter der kurz aufgeworfenen Nase ließen ihn durchaus nicht
italienischen Schlages erscheinen. Obgleich eher schmächtig von
Leibesbeschaffenheit, so daß man ihn für seinen Beruf nicht sonderlich
geschickt geglaubt hätte, führte er das Ruder, bei jedem Schlage den
ganzen Körper einsetzend, mit großer Energie. Ein paarmal zog er vor
Anstrengung die Lippen zurück und entblößte seine weißen Zähne. Die
rötlichen Brauen gerunzelt, blickte er über den Gast hinweg, indem er
bestimmten, fast groben Tones erwiderte:
--Sie fahren zum Lido.
Aschenbach entgegnete:
--Allerdings. Aber ich habe die Gondel nur genommen, um mich nach
San Marco übersetzen zu lassen. Ich wünsche den Vaporetto zu
benutzen.

--Sie können den Vaporetto nicht benutzen, mein Herr.
--Und warum nicht?
--Weil der Vaporetto kein Gepäck befördert.
Das war richtig; Aschenbach erinnerte sich. Er schwieg. Aber die
schroffe, überhebliche, einem Fremden gegenüber so wenig
landesübliche Art des Menschen schien unleidlich. Er sagte:
--Das ist meine Sache. Vielleicht will ich mein Gepäck in Verwahrung
geben. Sie werden umkehren. Er blieb still. Das Ruder plätscherte, das
Wasser schlug dumpf an den Bug. Und das Reden und Raunen begann
wieder: der Gondolier sprach zwischen den Zähnen mit sich selbst.
Was war zu tun? Allein auf der Flut mit dem sonderbar unbotmäßigen,
unheimlich entschlossenen Menschen, sah der Reisende kein Mittel,
seinen Willen durchzusetzen. Wie weich er übrigens ruhen durfte,
wenn er sich nicht empörte. Hatte er nicht gewünscht, daß die Fahrt
lange, daß sie immer dauern möge? Es war das Klügste, den Dingen
ihren Lauf zu lassen, und es war hauptsächlich höchst angenehm. Ein
Bann der Trägheit schien auszugehen von seinem Sitz, von diesem
niedrigen, schwarzgepolsterten Armstuhl, so sanft gewiegt von den
Ruderschlägen des eigenmächtigen Gondoliers in seinem Rücken. Die
Vorstellung, einem Verbrecher in die Hände gefallen zu sein, streifte
träumerisch Aschenbachs Sinn,--unvermögend, seine Gedanken zu
tätiger Abwehr aufzurufen. Verdrießlicher schien die Möglichkeit, daß
alles auf simple Geldschneiderei angelegt sei. Eine Art Pflichtgefühl
oder Stolz, die Erinnerung gleichsam, daß man dem vorbeugen müsse,
vermochte ihn, sich noch einmal aufzuraffen. Er fragte:
--Was fordern Sie für die Fahrt?
Und über ihn hinsehend antwortete der Gondolier:
--Sie werden bezahlen.
Es stand fest, was hierauf zurückzugeben war. Aschenbach sagte
mechanisch:
--Ich werde nichts bezahlen, durchaus nichts, wenn Sie mich fahren,
wohin ich nicht will.
--Sie wollen zum Lido.
--Aber nicht mit Ihnen.
--Ich fahre Sie gut.
Das ist wahr, dachte Aschenbach und spannte sich ab. Das ist wahr, du
fährst mich gut. Selbst, wenn du es auf meine Barschaft abgesehen hast

und mich hinterrücks mit einem Ruderschlage ins Haus des Aides
schickst, wirst du mich gut gefahren haben. Allein nichts dergleichen
geschah. Sogar Gesellschaft stellte sich ein, ein Boot mit musikalischen
Wegelagerern, Männern und Weibern, die zur Guitarre, zur Mandoline
sangen, aufdringlich Bord an Bord mit der Gondel fuhren und die Stille
über den Wassern mit ihrer gewinnsüchtigen Fremdenpoesie erfüllten.
Aschenbach warf Geld in den hingehaltenen Hut. Sie schwiegen dann
und fuhren davon. Und das Flüstern des Gondoliers war wieder
wahrnehmbar, der stoßweise und abgerissen mit sich selber sprach.
So kam man denn an, geschaukelt vom Kielwasser eines zur Stadt
fahrenden Dampfers. Zwei Munizipalbeamte, die Hände auf dem
Rücken, die Gesichter der Lagune zugewandt, gingen am Ufer auf und
ab. Aschenbach verließ am Stege die Gondel, unterstützt von jenem
Alten, der an jedem Landungsplatze Venedigs mit seinem Enterhaken
zur Stelle ist; und da es ihm an kleinerem Gelde fehlte, ging er hinüber
in das der Dampferbrücke benachbarte Hotel, um dort zu wechseln und
den Ruderer nach Gutdünken abzulohnen. Er wird in der Halle bedient,
er kehrt zurück, er findet sein Reisegut auf einem Karren am Quai, und
Gondel und Gondolier sind verschwunden.
--Er hat sich fortgemacht, sagte der Alte mit dem Enterhaken. Ein
schlechter Mann, ein Mann ohne Konzession, gnädiger Herr. Er ist der
einzige Gondolier, der keine Konzession besitzt. Die andern haben
hierher telephoniert. Er sah, daß er erwartet wurde. Da hat er
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 36
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.