Der Mann von vierzig Jahren | Page 8

Jakob Wasserman
ihm die T��re seines Zimmers. Er wandte sich langsam um. Die Lampe war nicht angez��ndet, es flackerte nur eine Kerze auf dem Tisch. In dem entstehenden Luftzug wehte der Vorhang wie eine Fahne weit ins Zimmer hinein. Rahel schritt z?gernd ��ber die Schwelle, machte leise die T��re zu, blieb dann stehen und dr��ckte die H?nde gegen die Brust. Sie heftete die Blicke auf den Boden, und ihr Gesicht hatte einen Ausdruck von Tiefsinn und Verlorenheit.
Sylvester ging auf sie zu und schlo? sie in seine Arme. Sie wagte ihn anzusehen; ihre Augen schienen zu flehen: sag' mir, wer du bist. Er sp��rte den warmen K?rper unter dem Gewand, er sp��rte das z?rtlich ungest��me Blut, doch in seine Freude mischte sich eine wunderliche Trauer, und je l?nger er sie hielt, je k��hler wurde ihm ums Herz. Nachdenklich strich er mit der Hand ��ber Rahels Haar, und ebenso nachdenklich k��?te er die Schaudernde auf die Stirn und auf die Augen; pl?tzlich lauschten beide erschrocken. Vom Flur herein drangen streitende Stimmen. Gleich darauf wurde die T��re mit Heftigkeit ge?ffnet und ein alter Mann mit einem wei?en Bart trat ein.
Bei seinem Anblick duckte sich Rahel; ihr Kopf fiel wie gebrochen gegen die Brust. Sylvester wollte den Eindringling zur Rede stellen, aber er begegnete einem Blick voll solcher Raserei, da? ihm der Mut verging und er sich nur mit einer fragenden Miene an seinen Diener Adam Hund wandte, der mit philosophischem Ernst auf der Schwelle stand und einem Wachtposten glich, dem man zu seiner Verwunderung das Gewehr weggenommen hat. Eine Magd und ein Kellner hatten sich in den stattgefundenen Wortwechsel gemengt und sp?hten neugierig ins Zimmer.
Eine Weile betrachtete der alte Mann stumm seine Tochter. Die unz?hligen Falten in seinem Gesicht sahen aus wie Striche auf einem radierten Blatt; die wei?en Haarringeln, die von der Stirn herabfielen, waren na? vom Regen. Auf einmal packte er das M?dchen bei den Haaren und warf es nieder; Sylvester und Adam sprangen herzu, aber er rollte die Augen wie ein Wahnsinniger und stie? mit den F��?en nach ihnen. Mit einer Kraft, die ihm niemand zugetraut h?tte, schleifte er Rahel an den Haaren zum Zimmer hinaus, ��ber den Flur, ��ber die Stiege hinunter, so da? man die Schuhe der Ungl��cklichen auf den Stufen klappern h?rte, schleifte sie drunten an einigen Leuten vorbei, die versteinert zuschauten, weil das Entsetzliche des Vorgangs jeden Entschlu? l?hmte, schleifte sie ��ber den Gang bis zum Tor und dann noch ��ber die Stra?e in sein Haus. W?hrend alles dies mit ihr geschah, hatte das M?dchen nicht einen Laut h?ren lassen.
Zu sp?t gewann Sylvester Besinnung und ��berlegung zur��ck. Als er die Treppe hinuntergerannt und vor dem Haus des H?ndlers angelangt war, hatten sich ungeachtet des str?menden Regens eine Menge Menschen in der engen Gasse versammelt. Sylvester r��ttelte an der T��r, sie war verriegelt. In seiner Erregung forderte er die Umstehenden auf, da? sie ihm helfen m?chten, das Schlo? zu sprengen, doch keiner folgte seinem Gehei?, sp?ttisch und finster sahen sie ihn an. Da kehrte er um, und als er ��ber die Stiege hinaufging, fand er einen von Rahels Schuhen dort liegen. Er hob ihn auf und nahm ihn mit. In der Wohnung des Juden blieb es den ganzen Abend ��ber dunkel. Niemals erfuhr Sylvester, auf welche Weise der Alte von Rahels Flucht unterrichtet worden war, ob sie ihm selbst einen Hinweis gegeben, ob ihr Gef��hl und Trieb sie verraten, ob er die Gefahr mit dem Instinkt der Argw?hnischen gewittert und sie heimlich beobachtet hatte, ehe sie selbst noch gewu?t, was in ihrem Innern vorging.
Sylvester benutzte einen Teil der Nacht dazu, um seine Koffer zu packen. Am andern Morgen reiste er ab.
* * * * *
Als Agathe in der Stadt ankam, blieb ihr die Besch?mung nicht erspart, von den Hotelbediensteten erfahren zu m��ssen, da? Herr von Erfft abgereist sei. Kaum brachte sie es ��ber sich, zu fragen, ob er nicht eine Adresse hinterlassen habe. Die Antwort lautete verneinend.
Dann stand sie auf der Stra?e und ��berlegte. ?Zum Baron de Vriendts,? befahl sie dem Kutscher.
Der Domherr Baron de Vriendts wohnte in einem alten palast?hnlichen Hause am Residenzplatz. Sie wurde ��ber eine breite, mit roten Teppichen belegte Stiege in einen Saal gef��hrt und ��bergab dem livrierten Diener ihre Karte. Aus einem entfernten Raum t?nte das Spiel einer Orgel. De Vriendts galt f��r einen gro?en Liebhaber der Musik, und man erz?hlte sich, da? eine junge Verwandte bei ihm lebe, manche behaupteten auch, da? es eine Fremde sei, ein elternloses adeliges M?dchen, das eine Virtuosin auf der Orgel war.
In fr��heren Jahren war de Vriendts h?ufiger Gast bei Sylvester und Agathe gewesen; jetzt litt er derma?en am Podagra, da? er nicht mehr sein Zimmer, geschweige denn die Stadt verlassen konnte. Das k?rperliche ��bel hatte auch seiner Umg?nglichkeit Abbruch getan; so oft Sylvester in der Stadt gewesen, hatte er gegen Agathe Klagen gef��hrt ��ber die zunehmende Verd��sterung
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