Der Ketzer von Soana

Gerhart Hauptmann

Der Ketzer von Soana, by Gerhart Hauptmann

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Title: Der Ketzer von Soana
Author: Gerhart Hauptmann
Release Date: January 7, 2007 [EBook #20302]
Language: German
Character set encoding: ISO-8859-1
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[Anmerkung: Im Originaltext vorkommende unterschiedliche Schreibweisen wie ?zum erstenmal? : ?zum ersten Mal? oder ?stehen? : ?stehn? wurden beibehalten.]

DER KETZER VON SOANA
von
Gerhart Hauptmann
1922
S. Fischer, Verlag
Berlin
114. bis 124. Auflage
Copyright 1918 by S. Fischer, Verlag Berlin

Reisende k?nnen den Weg zum Gipfel des Monte Generoso in Mendrisio antreten oder in Capolago mit der Zahnradbahn, oder von Melide aus ��ber Soana, wo er am beschwerlichsten ist. Das ganze Gebiet geh?rt zum Tessin, einem Kanton der Schweiz, dessen Bev?lkerung italienisch ist.
In gro?er H?he trafen Bergsteiger nicht selten auf die Gestalt eines brilletragenden Ziegenhirten, dessen ?u?eres auch sonst auff?llig war. Das Gesicht lie? den Mann von Bildung erkennen, trotz seiner gebr?unten Haut. Er sah dem Bronzebildnis Johannes des T?ufers, dem Werke Donatellos im Dome zu Siena, nicht un?hnlich. Sein Haar war dunkel und ringelte ��ber die braunen Schultern. Sein Kleid bestand aus Ziegenfell.
Wenn ein Trupp Fremder diesem Menschen nahe kam, so lachten bereits die Bergf��hrer. Oft wenn dann die Touristen ihn sahen, brachen sie in ein ungezogenes Gebr��ll oder in laute Herausforderungen aus: Sie glaubten sich durch die Seltsamkeit des Anblicks berechtigt. Der Hirte achtete ihrer nicht. Er pflegte nicht einmal den Kopf zu wenden.
Alle Bergf��hrer schienen im Grunde mit ihm auf gutem Fu?e zu stehn. Oft kletterten sie zu ihm hin��ber und lie?en sich in vertrauliche Unterredungen ein. Wenn sie zur��ckkamen und von den Fremden gefragt wurden, was da f��r ein seltsamer Heiliger sei, taten sie meist so lange heimlich, bis er aus Gesichtsweite war. Diejenigen Reisenden aber, deren Neugier dann noch rege war, erfuhren nun, da? dieser Mensch eine dunkle Geschichte habe und, als ?der Ketzer von Soana? vom Volksmund bezeichnet, einer mit abergl?ubischer Furcht gemischten zweifelhaften Achtung genie?e.
* * * * *
Als der Herausgeber dieser Bl?tter noch jung an Jahren war und das Gl��ck hatte, ?fters herrliche Wochen in dem sch?nen Soana zuzubringen, konnte es nicht ausbleiben, da? er hin und wieder den Generoso bestieg und auch eines Tages den sogenannten ?Ketzer von Soana? zu sehen bekam. Den Anblick des Mannes aber verga? er nicht. Und nachdem er allerlei Widersprechendes ��ber ihn erkundet hatte, reifte in ihm der Entschlu?, ihn wiederzusehen, ja, ihn einfach zu besuchen.
Der Herausgeber wurde in seiner Absicht durch einen deutschen Schweizer, den Arzt von Soana, best?rkt, der ihm versicherte, wie der Sonderling Besuche gebildeter Leute nicht ungern sehe. Er selber hatte ihn einmal besucht. ?Eigentlich sollte ich ihm z��rnen,? sagte er, ?weil mir der Bursche ins Handwerk pfuscht. Aber er wohnt so hoch in der H?he, so weit entfernt, und wird Gott sei Dank nur von den wenigen heimlich um Rat gefragt, denen es nicht darauf ank?me, sich vom Teufel kurieren zu lassen.? Der Arzt fuhr fort: ?Sie m��ssen wissen, man glaubt im Volk, er habe sich dem Teufel verschrieben. Eine Ansicht, die von der Geistlichkeit darum nicht bestritten wird, weil sie von ihr ausgegangen ist. Urspr��nglich, sagt man, sei der Mann einem b?sen Zauber unterlegen, bis er dann selbst ein verstockter B?sewicht und h?llischer Zauberer geworden sei. Was mich betrifft, ich habe weder Klauen, noch H?rner an ihm bemerken k?nnen.?
* * * * *
An die Besuche bei dem wunderlichen Menschen erinnert sich der Herausgeber noch genau. Die Art der ersten Begegnung war merkw��rdig. Ein besonderer Umstand gab ihr den Charakter einer Zuf?lligkeit. An einer steilen Wegstelle fand sich n?mlich der Besucher einer hilflos dastehenden Ziegenmutter gegen��ber, die eben ein Lamm geworfen hatte, und dabei war, ein zweites zu geb?ren. Das vereinsamte Muttertier in seiner Not, das ihn furchtlos anblickte, als ob es seine Hilfe erwartet habe, das tiefe Mysterium der Geburt ��berhaupt inmitten der ��bergewaltigen Felsenwildnis, machten auf ihn den tiefsten Eindruck. Er beschleunigte aber seinen Lauf, denn er schlo?, da? dieses Tier zur Herde des Sonderlings geh?ren m��sse, und wollte diesen zu Hilfe rufen. Er traf ihn unter seinen Ziegen und Rindern an, erz?hlte ihm, was er beobachtet hatte, und f��hrte ihn zu der Geb?renden, hinter der bereits das zweite Ziegenl?mmchen, feucht und blutig, im Grase lag.
Mit der Sicherheit eines Arztes, mit der schonenden Liebe des barmherzigen Samariters, ward nun das Tier von seinem Besitzer behandelt. Nachdem er eine gewisse Zeit abgewartet hatte, nahm er jedes der Neugeborenen unter einen Arm und trat langsam, von der ihr schweres Euter fast schleifenden Mutter gefolgt, den Weg
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