Das blaue Fenster | Page 9

Hugo Salus
das dich so unscheinbar dünkt, nimm mit nach deiner
Heimat. Und hänge es vor das Fenster des Turmgemachs, darin deine
hohe Kranke dahinsiecht. Sie wird durch dieses Fenster schauen, und
ich verrate dir, es ist ein wunderbares Glas mit geheimen und tiefen
Tugenden begabt, das die übergroße und dem gemeinen Laienverstande
darum krankhaft scheinende Sehnsucht aus den Augen der
Hindurchschauenden ziehet, und so sie lange genug durch das Glas
geschaut haben wird, Wochen, Monde, und vielleicht Jahre lang, dann
werden ihre Augen klar und sie wird geheilt sein! Vergiß aber eines
nicht, wenn du jetzt heimreitest. Du darfst dieses künstliche und
außerordentliche Glas nicht etwa einem Knechte in die Hand geben
oder gar in deinen Halftersack stecken, das könnte sich an der zarten
Komplexion seines Aufbaues sündhaft rächen, sondern mußt es in
Händen nach Hause bringen, daß ihm kein Leids geschehe und es
immer an der Luft sei. Und wenn die Heilung naht, dann wird das Glas
selbst der Herold sein durch seine Farbe! Und nun reite heim und möge
das heiltüchtige Fenster auch deinen schwachen Körper stärken und
kräftigen!«
Leon dankte seinem Meister in heißen Worten und versprach ihm, so
ihn hoffentlich bald wieder ein beglückteres Ziel hierher führe, ihm zu
berichten und würdiger zu danken; wobei er ein überaus heiteres Bild
vor Augen hatte.
So zog er von dannen und ritt als ein gar seltsamer Reiter nach Norden.
Er hielt die Glasscheibe in Händen vor sich hin oder stützte sie aufs
Knie, wenn eine Hand den Zügel ergreifen mußte. Auch stieg er auf
den beschwerlichen Alpensteigen vom Pferde, den Zügel um den Arm
geschlungen, und ließ das Rößlein hinter sich hertraben, indem er wie
eine Monstranz das Glas in Händen trug. Viele Wochen vergingen so,
ehe er jenseits der Alpen war, und viele Wochen, ehe er sich seiner
Heimat näherte. Und je müder er wurde, je schmäler und dunkler sein
Gesicht, je öfter er Halt machen mußte, um sein fast versagend Herz zu

beruhigen, um so heißer ward seine Sehnsucht nach Hause, da ihn eine
große und schmerzliche Angst gefangen hielt; in welcher Sehnsucht
und Angst ihm das Bild seiner Geliebten verloren ging also, daß er
Tage und Nächte lang versuchte, sich daran zu erinnern, ohne dazu
imstande zu sein. Und krank und elend, mit Armen, die vom ewigen
Halten des Heilfensters fast zu Holz verdorrt waren, mit einem Herzen,
das eine bleischwere Müdigkeit am Schlagen hinderte, kam er eines
Morgens vor die Täler seiner Heimat.
* * * * *
Er hatte daran gedacht, erst seine Eltern zu begrüßen, seine geliebte
Mutter zu umarmen und seinem lauschenden Vater von seinen Studien
und dem wunderseltsamen Italien zu erzählen; und gleich zu erfahren,
was auf dem Schlosse Neues sich begeben; denn er hatte nun viele
Monde lang keinen Brief von Hause bekommen und wußte nicht, ob
sein Schreiben je in die Hände seiner Mutter und seiner Braut gelangt
war. Als er aber in dem Tale dahinritt, von dem aus die Wege nach
seinem Elternhause und dem Schlosse abzweigten, da war ein auffällig
großes Leben auf der Straße, viele Wagen fuhren dahin und
Edelknechte ritten an ihm vorüber, als ob gerade heute Gerichtstag auf
dem Schlosse wäre. Da stieg er, immer von seiner großen Angst
gepeinigt, vom Pferde und setzte sich an den Weg, jemanden zu fragen.
An einen Ritter wagte er sich nicht, da er vom langen Reiten verstaubt
und gering aussah, und so erbat er von einem Bäuerlein Bescheid, was
Ursach das Leben auf der Straße habe. Der schaute ihn schier
ungläubig an, ob er denn nicht wisse, daß morgen die Hochzeit sei.
»Die Hochzeit?« zitterten die bleichen Lippen Leons.
»Nun, des Landgrafen Hochzeit mit der Tochter unseres Grafen,« sagte
gleichmütig der Bauer und wollte weitererzählen. Aber er blieb mit
offenem Munde stehen, da der Frager aufgesprungen war und die
verstaubte Tafel in seinen Händen als einen Schild vor sich hielt.
»Berta? Berta?« schrie er dabei; und er sah so verändert und nicht von
dieser Erde aus, daß dem Bauer angst und bange wurde und er mit
großen Schritten weglief. Leon aber war indessen schon einem anderen

Wanderer entgegengelaufen, er fragte auch ihn, was auf dem Schlosse
sich begebe. Und er hatte kaum die Antwort gehört, so lief er drei
Weibern entgegen, die mit schweren Körben bepackt, daherhumpelten,
und die antworteten ihm gar nicht erst und hielten ihn für trunken, weil
er so seltsam schwankte, und riefen ihm zu, daß morgen erst Freibier
auf dem Schlosse fließen werde; da möge er sich nur für morgen seinen
Saufsack ordentlich ausleeren! Leon aber sagte ganz geistesabwesend
immer nur »meine Braut, meine Braut!« und »so etwas ist doch nicht
möglich!« und dann stieg er mühselig auf sein Pferd und wollte es in
einen rascheren Trab bringen; wozu das arme, müde Tier aber nicht zu
bewegen war.
So saß er auf dem Gaule, hielt
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