Das blaue Fenster | Page 2

Hugo Salus
Steige hat die
Sorge und das Leid zum Schlosse gefunden. Er war ein gar
lebensfreudiger Herr gewesen, der neben dem Fürsten sitzen durfte und
dessen Schimmel gleich hinter des Kaisers Rappen in das Geschirr
schäumte, wenn sie prächtig zum Reichstage ritten. Dann hatte ihn eine
edle Fürstentochter zum Gatten erwählt, und sie hatten ein glückliches
Jahr in dem weißen Schlosse verlebt und der Forst hatte Ja und Amen
dazu gerauscht: bis die Tochter Berta geboren ward, ein glückliches
Ereignis und doch allen Elends Anfang. Denn die junge Mutter verfiel
in eine schwere, hitzige Krankheit, aus der ihr Leib genas, indes ihr
Gemüt verwirrt blieb in einer tiefen Schwermut, daraus sie nie wieder
genesen sollte.
Sie saß die erste Zeit nach ihrer Krankheit trübselig auf ihrem Lager,
auf ihre entstellten, schlaffen Brüste niederstarrend oder im Spiegel die
verlorene Frische ihrer Wangen suchend, als könnte ihre Schönheit
unmöglich wiederkehren: so tiefe Runen hatten die Schmerzen der
Geburt und die Leiden ihres Siechtums in ihr zartes, mondscheinblasses
Gesicht geschrieben. Dann lachte sie traurig auf und barg sich hinter
dem Linnen, wenn der Graf sie besuchen kam und wollte sich um
keinen Preis zeigen: so häßlich schien sie sich, so zerstört deuchte sie
ihr Liebesglück, so abscheulich ihr Körper und ihr Antlitz, daß sie

immer wieder aufjammerte, nun werde der Graf sein Liebesverlangen
bei schöneren Frauen stillen. Und einmal ward sie von der Amme
überrascht, da sie sich eben über die Wiege des Kindes beugte mit
funkelnden, rachegierigen Augen, und dann blitzschnell den Säugling
in die Höhe hob, wohl um ihn an der Wand zu zerschmettern. Da war
ihr die starke Bauernmagd noch rechtzeitig in die Arme gefallen und
hatte das Kind gerettet. Die Gräfin aber wurde von dem Tage an in
einen fernen Teil des Schlosses gebracht und dort wohl bewacht, daß
sie nicht mehr zum Kinde kommen konnte.
Dort lebte die Kranke denn die jungen Jahre ihres Lebens dahin mit der
Wärterin und späterhin mit der Amme, da das Kind ihrer nicht mehr
bedurfte, trübselig vor sich hinstarrend und immer seltener in einen
jener fürchterlichen Wutausbrüche verfallend, daraus sie noch elender
und siecher hervorging.
So daß die mutterlose Berta eine traurige und liebeleere Kindheit
verträumte.
Denn der Graf hatte wohl die ersten Monate in inniger, liebreicher
Teilnahme sein verwirrtes Ehegemahl betreut, da er jeden Morgen von
neuem gehofft hatte, der böse Schleier, der sich um ihr Gemüt gelegt
hatte, müsse sich endlich heben und die Augen der Gräfin wieder klar,
heiter und warm zu ihm emporblicken. Aber Tag um Tag, Woche um
Woche verging, aus den Augen der Kranken starrte ihn ein
schreckhaftes Nichterkennen, eine böse Angst an, und der Sonnenstrahl,
der ihre einst so schönen, blauen Augen traf, wurde fahl und grau,
wenn er aus ihren düsteren Augensternen zurückkehrte; so daß der
Jammer mit knochigen Fingern immer fester des Grafen Herz umkrallte,
bis daß er hoffnungslos, gleichgültig und endlich fast feindselig sich
gegen sein Weib auflehnte und immer seltener das Gemach der
Kranken aufsuchte.
Zu Berta hatte er eine verwitwete Verwandte ins Schloß berufen, die in
Trauerkleidern das verschüchterte Kind leitete und die auch das
Trauerkleid von ihrer Seele nicht abstreifen konnte, so liebevoll und
zart sie auch mit dem Kinde umging. Und in den ersten Jugendjahren
war es für das Kind immer noch ein Fest, wenn die Amme einmal

herüberkam und mit ihr schön tat. Denn der Vater verstand die holde
Kunst schlecht, eines Kindes Seele zu eröffnen und ihr ein Lachen, ein
Jubeln, ein Jauchzen zu entlocken, das die eigene Seele wieder jung zu
machen und ihre Flügel zu lösen vermag.
So war das Kind zehn Jahre alt geworden und ein kluges, stilles und
verträumtes Kind mit den tiefsten und klarsten blauen Kinderaugen und
sah versonnen und traumverloren in die Welt, die ihr aus Zimmern,
seltsamen Menschen und Waldesrauschen bestand und darin ihr, ohne
daß sie wußte was, etwas fehlte, das ihre Augen hätte aufleuchten
lassen. Und es war wieder einmal die Amme bei ihr gewesen und hatte
ihr abergläubische und wunderbare Märchen erzählt bis in die
Dämmerung. Berta hatte sich an ihre Kniee geschmiegt und sie
hundertmal umarmt und ihr immer wieder verstohlen zugeflüstert:
»Ach, Amme, du bist gut!« Bis einer der Diener von der Gräfin drüben
sie holte; die sei wieder schlimm geworden. Da war die Amme
davongeeilt, um nach ihrer Kranken zu schauen. Und hatte nicht
gemerkt, daß das Kind, durch das Dunkel und die Märchen verwirrt, ihr
nachschlich, wohl weil seine Liebe es der guten Amme nachdrängte,
vielleicht auch, weil es etwas ahnte oder fürchtete in seinem erwachten
Kinderherzen, ein tiefes Geheimnis, das man ihm verbarg, und das es
entdecken wollte.
So geschah es, daß Berta auf dem dunklen Gange durch die verbotene
Tür schlüpfte und plötzlich in einem hohen, erleuchteten Zimmer stand,
darin eine große Frau mit aufgelösten Haaren schreiend und
händeringend umherirrte und sich dann
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