Das blaue Fenster | Page 6

Hugo Salus
ihr nachdenkliches Kindergesicht ihm zuwinken. Da kam aber auch schon der Pf?rtner und führte ihn ins Schlo?, wo ihn die junge Gr?fin erwarte.
* * * * *
Sie trat ihm an der Schwelle des gro?en Zimmers entgegen, darin sonst ihr Vater seine Gesch?fte zu erledigen pflegte. Es war dunkel auf dem Gange und er konnte im ersten Augenblicke, nachdem er sich tief verneigt hatte, ihr Gesicht nicht sehen; wohl aber sah er gegen die Helle des Zimmers eine gro?e M?dchengestalt und h?rte eine holde Stimme: ?Tretet ein zu mir, Ritter Leon!?, die ihm wie ein Orgelton durch die Seele ging. Und nun er hinter ihr in den hohen Saal eintrat, umfing sein Blick verwundert und ungl?ubig ihre schlanke, edle Gestalt, und er err?tete, da sie sich ihm zuwendete und er ihres Busens sanfte W?lbung streifte, weil es ihm ein Wunder schien, da? die Jungfrau das Kind von damals sein sollte. Und ihm ward bang und weh bei diesem Gedanken.
Dann standen sie einander gegenüber und sahen einander an. Er stammelte einige verlorene Worte von Dankbarkeit, von Schuld und Pflicht, bis sie ihm die H?nde entgegenstreckte und ihn herzlich begrü?te. Sie erinnerte sich seiner so gut aus jener Kinderzeit, wenn er freilich indessen auch ein Gelehrter geworden sei, der an ernstere Dinge denken müsse als an jene Kindertage. Sie sagte dies alles mit ihrer dunklen Stimme und so vollendet und überlegen, da? Leon, verwirrt und erstaunt, seiner Worte nicht m?chtig war und endlich mit w?rmerer Betonung, als der Sitte entsprechen mochte, erz?hlte, wie oft er jener Zeit gedacht und wie er bei jedem: Ave Maria, Mutter ...., aber da stockte er, denn er hatte sagen wollen, da? er bei seiner Rückkehr ins Kloster damals als Knabe sich vorgenommen habe, beim Worte 'Mutter' im Vaterunser immer an Bertas Mutter zu denken, und da? er diese Sitte dann schon aus Gewohnheit beibehalten habe. Nun erschrak er, da ihm dies Gest?ndnis entfliehen wollte, er wurde rot und sein Herz fing wiederum zu zerren an, da? er tief atmen mu?te, um es zu meistern.
Gr?fin Berta hatte ihn rot und bleich werden sehen, und, fast ohne da? sie es wu?te, trat sie ganz nahe an Leon heran und fragte ihn, ob er auch immer wohl gewesen sei und wie es Mutter und Vater ergehe, und ob die liebe Frau Anna noch so munter sei. Da konnte er denn viel und freudig berichten, wenngleich es ihn bedr?ngte, da? er nicht nach Bertas Mutter im Turme oben fragen solle.
Und dann sagte er unvermittelt: ?Ich will mir jetzt von Eurem gn?digen Herrn Vater die Erlaubnis erbitten, nach Italien an die hohe Schule zu gehen, die Geheimnisse der Medizin zu erfahren und ein Arzt zu werden.?
?Wie Ihr Euch schon damals vorgenommen habt,? sagte Berta. Dann schwiegen sie eine Weile still, pl?tzlich füllten schwere Tr?nen Bertas Augen und mit zuckenden Lippen sprach sie: ?Ich danke Euch!?
Und als ob die Tr?nen auch gleich ihr ganzes Leid vor ihre Seele br?chten, fuhr sie fort: ?Leon, Ihr wi?t ja nicht, wie unglücklich ich bin!?
?Gr?fin Berta, liebe, liebe Berta, Ihr unglücklich?! Und ich denke Euch in Stolz und Glück! Was qu?lt euch, Berta, liebe Gr?fin Berta, sagt mir, was macht Euch unglücklich??
Leon schien es, als ob Berta wanke, und er fing die Bebende auf: ?Wenn ich Euch helfen k?nnte! Meine arme, liebe ...?
Da richtete sie sich empor, ihre Augen waren voll Angst und sahen hilflos und hilfesuchend in die Augen Leons: ?Wer k?nnte mir helfen! Ich schreie nach Mitleid, nach ein wenig Mitleid und Güte und man gibt mir kaltes Geschmeide und leere Worte und Kleider. Ich bin unglücklich!? Und die Augen mit den H?nden bedeckend: ?Unglücklich!?
Und da verschwanden zwischen ihren eng aneinander gedr?ngten K?rpern wie in einer Versenkung die Jahre, seit sie einander nicht gesehen hatten, und das Kind Berta lehnte wieder an der Brust des Knaben Leon, sie fühlten, da? sie aufeinander all die Jahre gewartet hatten. Und er sprach in ihr abenddunkles Haar, das seine Lippen berührten, immer die gleichen Worte des Mitleids: ?O du mein armes, liebes Liebes!?
Sie k?mpfte mit den Tr?nen, die sie erschütterten, und suchte ein Wort und konnte keines finden, das ihre Lippen erschlossen h?tte, so fest drückte das Leid sie aufeinander, und endlich hatte sie das Wort gefunden und schrie es aus ihrer Seele empor: ?Mitleid! Nur ein Tr?nentr?pflein Mitleid!?
Da führte er die Erregte zu dem breiten Stuhle, wohl des Grafen Sitz, wenn er die Verwalter oder Bauern verh?rte, und lie? sie sanft niedergleiten. Er kniete zu ihr nieder und sprach still und mild auf sie ein. Und sprach so still und sanft, da? sie pl?tzlich die Stimme seiner Mutter nach langen Jahren h?rte und da? ihr Herz sich beruhigte.
?Wann wollt Ihr mir Euer Leid vertrauen, da? ich über Eure Rettung sinne?? fragte er. ?Wann kann ich Euch wiedersehen??
?Morgen, bei der Mutter Turm, beim Abendglockenl?uten!? sagte sie.
Und dann erhoben
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