Das blaue Fenster | Page 4

Hugo Salus
den Wald gehen und ich will dein Lehrer sein. Willst du, willst du?? fragte er in der eindringlichen Art von Kindern.
?Ja, ich will,? sagte sie. ?Aber du mu?t auch einmal zu uns aufs Schlo? kommen.? Dabei rückte sie noch einmal so eng an Leon heran und senkte ihre Stimme und flüsterte ihm ins Ohr: ?Und dann mu?t du über den dunklen Gang in das hohe Zimmer gehen, wo die arme traurige Frau ist, und mu?t ihr sagen, sie dürfe nicht so traurig sein und solle mit uns kommen! Willst du, willst du??
?Deine Mutter,? sagte Leon geheimnisvoll und stolz, da? er um das Geheimnis wu?te. ?Ist das meine Mutter?? brachten die bleichen Lippen Bertas mühsam hervor. ?Ich habe keine Mutter! Wenn sie meine Mutter ist, die arme, erschrockene Frau drüben, warum lassen sie mich nicht zu ihr? Warum hat sie die Arme so vor sich ausgestreckt, wie sie mich erblickte?? Und sie streckte die H?nde weit von sich und machte das entsetzte Larvengesicht wie damals, da sie bei der Kranken gewesen war.
Darauf wu?te der Knabe aber keine Antwort, und sie sa?en eng umschlungen unter dem alten Baume, und sie weinte, w?hrend der Knabe die von Tr?nen Erschütterte nur immer an sich hielt und streichelte.
?Mutter,? fragte Leon in der D?mmerung, da sie allein miteinander waren, ?Mutter, sprich, warum wei? Berta nicht, da? die kranke Frau in dem gro?en Zimmer im Schlosse ihre Mutter ist? Warum weint sie und glaubt, da? sie keine Mutter habe??
Da stand die Mutter auf und holte Berta und sagte ihr mild und sanft, da? jene bleiche Frau im Saale eben ihre Mutter sei, eine gute, liebe Mutter, nur da? sie krank sei, denn ein Nebel habe sich vor ihre Augen gesenkt, so da? sie weder den Grafen, noch auch ihr eigenes geliebtes Kind sehen k?nne und immer nach ihnen begehre und sie herbei wünsche. Wenn dann der Graf zu ihr k?me und liebreich zu ihr spreche, dann glaube sie ihm nicht, und kein Arzt habe sie bisher heilen k?nnen. Aber einmal werde gewi? der gro?e Arzt kommen, der sie erl?sen und heilen werde!
?Und der werde ich sein,? sagte der Knabe.
?Du nicht, du wahrhaftig nicht,? sprach erschrocken die Mutter, ?an dich habe ich bei diesen Worten nicht gedacht, so sei Gott meiner Seele gn?dig und behüte dich!? Und sie bekreuzte den Knaben.
?Ich will aber Berten ihre Mutter gesund machen und Berta glücklich,? trotzte der Knabe. ?Und darum will ich im Kloster flei?ig lernen und dann noch lernen und immer lernen, bis ich ein berühmter Arzt sein werde. Und dann will ich die Frau Gr?fin gesund machen und Berta soll sich freuen und lachen!? Und er fügte tiefsinnig hinzu: ?Denn du mu?t wissen, Mutter, da? Berta noch nicht gelacht hat, seit sie bei uns ist, und ich habe ihr doch schon die Geschichte vom dummen Peter erz?hlt, über die du selbst immer lachen mu?t!?
?Ich aber habe sie schon lachen gesehen,? sagte die Mutter. ?In der Nacht habe ich mich mit dem Kienspan in der Hand an ihr Bett gesetzt, und da hat sie immer, wenn das Licht über ihr Gesicht huschte, aus dem Schlafe gelacht. Siehst du, genau so wie jetzt, nicht laut, aber ihr Gesicht hat gelacht. Und da hat sie sicher ein sch?nes M?rchen getr?umt!? ?Ja,? sagte Berta eifrig, ?und Leon ritt auf einem Pferde und es war Winter und das Pferd hatte Pelzschuhe an den Fü?en!?
Da lachten sie alle drei und Bertas Stimme lachte laut mit.
* * * * *
Als der Herbst gekommen war und der Knabe von Berta Abschied nehmen sollte, da führte er sie noch einmal in den Wald hinaus zu ihrem Lieblingspl?tzchen und sie waren beide beklommen und traurig.
?Du hast es gut, Berta,? sagte Leon, ?du wirst den Winter über bei uns bleiben, ich aber mu? fort und kann erst in ein oder zwei Jahren wieder zurück.?
?Warum in zwei Jahren?? fragte Berta erschrocken.
?Weil ich jetzt Chorknabe werden soll. Da mu? ich auch über den Sommer im Kloster bleiben. Aber vielleicht lassen sie mich im n?chsten Jahre noch heim und behalten mich erst übers Jahr im Kloster.?
?Ich will aber nicht, da? du wegbleibst!? sagte Berta fast zornig, ?und wenn ich es meinem Vater sage, so wird er es den Klosterleuten verbieten!?
?Bis dahin hast du mich l?ngst vergessen,? meinte der Knabe, ?was liegt dir denn an mir!?
Da schaute ihn das M?dchen mit einem langen, vorwurfsvollen Blicke an und es mu?te ihr sehr nahe gehen, denn langsam überzogen sich ihre Augen mit einem feuchten Schimmer und der ward zu Tr?nen, die gro? und schwer über ihre Lider sickerten. Und sie konnte nichts sagen, kein W?rtlein, weil ihre Lippen so zitterten. Der Knabe stand ganz ratlos neben ihr und wu?te auch nichts Gescheiteres zu tun und weinte auch. Und dann gingen die beiden Hand in Hand und immer wieder aufschluchzend nach Hause.
?Da? nur die Mutter nichts sieht!? sagte
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